Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Vor hundert Jahren
von Reinhold Günther
1

lie großen Ereignisse hängen immer nur an einem Harre, schrieb
der General Bonaparte 1797 aus Italien. "Der geschickte Mann
zieht Vorteil aus allem, vernachlässigt nichts von alledem, was
ihm einige Glücksmöglichkeiten mehr geben kann; der weniger
geschickte Mann bringt manchmal alles zum. scheitern, weil er
den einen oder den andern Zufall mißachtet." Niemals mehr als gerade im
Jahre 1800 hat der letzte und zugleich größte aller dem italienischen Volke
entsprossenen Condottieri nach diesem Grundsatze gehandelt. Und nicht der
18. Brumaire mit seinem ebenso plump angelegten wie brutal ausgeführten
Staatsstreich machte ihn zu dem Herrn Frankreichs, zu dem Leiter der euro¬
päischen Geschicke für volle anderthalb Jahrzehnte, sondern es war der in der
Ebene von Marengo abschließende Feldzug der Reservearmee, der die Grund¬
lagen fiir den napoleonischen Kmserthron schuf. Napoleon selbst hat dies
wiederholt ausdrücklich anerkannt, der "Donnerschlag an der Bormida" galt
ihm als das "nichtigste Ereignis seines Lebens, und wir werden weiterhin noch
scheu, welche Anstrengungen der Kaiser machte, der Nachwelt eine entsprechend
gefärbte Darstellung der Vorgänge in der Schlacht zu überliefern.

Bonaparte nimmt als Staatsmann im Beginn seiner Hcrrschcrlaufbahn
i^wiß das höchste Interesse in Arisprnch, denn er formte damals das moderne
Frankreich, die "große Kaserne," das Gebäude, das von allen folgenden Re¬
gierungen mit Bequemlichkeit benutzt wurde. Wir sehen ihn als Diplomaten
die Umstünde auf dus geschickteste seiner Politik anpassen. Er macht sich den
Zaren zum Freunde, denselben Zaren, der noch wenig Monate zuvor das that¬
kräftigste Glied der Koalition war, und er versteht eS, dem Kabinett von
Se. James vor aller Welt die Rolle des ewige" Friedensstörers zuzuweisen,
während er selbst doch seinen Soldaten zuruft, sie seien nicht nnr da, die


Grenzboten til IW0 M


Vor hundert Jahren
von Reinhold Günther
1

lie großen Ereignisse hängen immer nur an einem Harre, schrieb
der General Bonaparte 1797 aus Italien. „Der geschickte Mann
zieht Vorteil aus allem, vernachlässigt nichts von alledem, was
ihm einige Glücksmöglichkeiten mehr geben kann; der weniger
geschickte Mann bringt manchmal alles zum. scheitern, weil er
den einen oder den andern Zufall mißachtet." Niemals mehr als gerade im
Jahre 1800 hat der letzte und zugleich größte aller dem italienischen Volke
entsprossenen Condottieri nach diesem Grundsatze gehandelt. Und nicht der
18. Brumaire mit seinem ebenso plump angelegten wie brutal ausgeführten
Staatsstreich machte ihn zu dem Herrn Frankreichs, zu dem Leiter der euro¬
päischen Geschicke für volle anderthalb Jahrzehnte, sondern es war der in der
Ebene von Marengo abschließende Feldzug der Reservearmee, der die Grund¬
lagen fiir den napoleonischen Kmserthron schuf. Napoleon selbst hat dies
wiederholt ausdrücklich anerkannt, der „Donnerschlag an der Bormida" galt
ihm als das »nichtigste Ereignis seines Lebens, und wir werden weiterhin noch
scheu, welche Anstrengungen der Kaiser machte, der Nachwelt eine entsprechend
gefärbte Darstellung der Vorgänge in der Schlacht zu überliefern.

Bonaparte nimmt als Staatsmann im Beginn seiner Hcrrschcrlaufbahn
i^wiß das höchste Interesse in Arisprnch, denn er formte damals das moderne
Frankreich, die „große Kaserne," das Gebäude, das von allen folgenden Re¬
gierungen mit Bequemlichkeit benutzt wurde. Wir sehen ihn als Diplomaten
die Umstünde auf dus geschickteste seiner Politik anpassen. Er macht sich den
Zaren zum Freunde, denselben Zaren, der noch wenig Monate zuvor das that¬
kräftigste Glied der Koalition war, und er versteht eS, dem Kabinett von
Se. James vor aller Welt die Rolle des ewige» Friedensstörers zuzuweisen,
während er selbst doch seinen Soldaten zuruft, sie seien nicht nnr da, die


Grenzboten til IW0 M
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0441" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233675"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341871_233233/figures/grenzboten_341871_233233_233675_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Vor hundert Jahren<lb/><note type="byline"> von Reinhold Günther</note></head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 1</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1458"> lie großen Ereignisse hängen immer nur an einem Harre, schrieb<lb/>
der General Bonaparte 1797 aus Italien. &#x201E;Der geschickte Mann<lb/>
zieht Vorteil aus allem, vernachlässigt nichts von alledem, was<lb/>
ihm einige Glücksmöglichkeiten mehr geben kann; der weniger<lb/>
geschickte Mann bringt manchmal alles zum. scheitern, weil er<lb/>
den einen oder den andern Zufall mißachtet." Niemals mehr als gerade im<lb/>
Jahre 1800 hat der letzte und zugleich größte aller dem italienischen Volke<lb/>
entsprossenen Condottieri nach diesem Grundsatze gehandelt. Und nicht der<lb/>
18. Brumaire mit seinem ebenso plump angelegten wie brutal ausgeführten<lb/>
Staatsstreich machte ihn zu dem Herrn Frankreichs, zu dem Leiter der euro¬<lb/>
päischen Geschicke für volle anderthalb Jahrzehnte, sondern es war der in der<lb/>
Ebene von Marengo abschließende Feldzug der Reservearmee, der die Grund¬<lb/>
lagen fiir den napoleonischen Kmserthron schuf. Napoleon selbst hat dies<lb/>
wiederholt ausdrücklich anerkannt, der &#x201E;Donnerschlag an der Bormida" galt<lb/>
ihm als das »nichtigste Ereignis seines Lebens, und wir werden weiterhin noch<lb/>
scheu, welche Anstrengungen der Kaiser machte, der Nachwelt eine entsprechend<lb/>
gefärbte Darstellung der Vorgänge in der Schlacht zu überliefern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1459" next="#ID_1460"> Bonaparte nimmt als Staatsmann im Beginn seiner Hcrrschcrlaufbahn<lb/>
i^wiß das höchste Interesse in Arisprnch, denn er formte damals das moderne<lb/>
Frankreich, die &#x201E;große Kaserne," das Gebäude, das von allen folgenden Re¬<lb/>
gierungen mit Bequemlichkeit benutzt wurde. Wir sehen ihn als Diplomaten<lb/>
die Umstünde auf dus geschickteste seiner Politik anpassen. Er macht sich den<lb/>
Zaren zum Freunde, denselben Zaren, der noch wenig Monate zuvor das that¬<lb/>
kräftigste Glied der Koalition war, und er versteht eS, dem Kabinett von<lb/>
Se. James vor aller Welt die Rolle des ewige» Friedensstörers zuzuweisen,<lb/>
während er selbst doch seinen Soldaten zuruft, sie seien nicht nnr da, die</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten til IW0 M</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0441] [Abbildung] Vor hundert Jahren von Reinhold Günther 1 lie großen Ereignisse hängen immer nur an einem Harre, schrieb der General Bonaparte 1797 aus Italien. „Der geschickte Mann zieht Vorteil aus allem, vernachlässigt nichts von alledem, was ihm einige Glücksmöglichkeiten mehr geben kann; der weniger geschickte Mann bringt manchmal alles zum. scheitern, weil er den einen oder den andern Zufall mißachtet." Niemals mehr als gerade im Jahre 1800 hat der letzte und zugleich größte aller dem italienischen Volke entsprossenen Condottieri nach diesem Grundsatze gehandelt. Und nicht der 18. Brumaire mit seinem ebenso plump angelegten wie brutal ausgeführten Staatsstreich machte ihn zu dem Herrn Frankreichs, zu dem Leiter der euro¬ päischen Geschicke für volle anderthalb Jahrzehnte, sondern es war der in der Ebene von Marengo abschließende Feldzug der Reservearmee, der die Grund¬ lagen fiir den napoleonischen Kmserthron schuf. Napoleon selbst hat dies wiederholt ausdrücklich anerkannt, der „Donnerschlag an der Bormida" galt ihm als das »nichtigste Ereignis seines Lebens, und wir werden weiterhin noch scheu, welche Anstrengungen der Kaiser machte, der Nachwelt eine entsprechend gefärbte Darstellung der Vorgänge in der Schlacht zu überliefern. Bonaparte nimmt als Staatsmann im Beginn seiner Hcrrschcrlaufbahn i^wiß das höchste Interesse in Arisprnch, denn er formte damals das moderne Frankreich, die „große Kaserne," das Gebäude, das von allen folgenden Re¬ gierungen mit Bequemlichkeit benutzt wurde. Wir sehen ihn als Diplomaten die Umstünde auf dus geschickteste seiner Politik anpassen. Er macht sich den Zaren zum Freunde, denselben Zaren, der noch wenig Monate zuvor das that¬ kräftigste Glied der Koalition war, und er versteht eS, dem Kabinett von Se. James vor aller Welt die Rolle des ewige» Friedensstörers zuzuweisen, während er selbst doch seinen Soldaten zuruft, sie seien nicht nnr da, die Grenzboten til IW0 M

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_233233
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_233233/441
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_233233/441>, abgerufen am 02.05.2024.