Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Wie in Breslnu der Staat für Arbeiterwohnungen sorgt. Bezug Maßgebliches und Unmaßgebliches Wie in Breslnu der Staat für Arbeiterwohnungen sorgt. Bezug <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0530" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233764"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> </div> <div n="2"> <head> Wie in Breslnu der Staat für Arbeiterwohnungen sorgt.</head> <p xml:id="ID_1723" next="#ID_1724"> Bezug<lb/> nehmend ans die Klagen der süddeutschen Fabrikantenfrau über den verderblichen<lb/> Wirtshansunfug im 20. Heft der Grenzboten und auf den Bericht über die neuste<lb/> wohnuugspvlitische Schrift von Lechler und Schaffte im 26. Heft sendet uns Herr<lb/> Hauptmann a. D. und Gutsbesitzer Moecke ein gedrucktes „Expose" der Neuen<lb/> Breslauer Spar- und Baugenossenschaft, in deren Aufsichtsrat er den Vorsitz hat.<lb/> Darin wird zunächst gesagt, die Gründer der Genossenschaft seien von der Über¬<lb/> zeugung ausgegangen, daß das Wohuungseleud der Arbeiter die Hcmptnrsnche ihres<lb/> Kneipenlebens und andrer Übel sei, daß aber auch der Arbeiter in der Wahl seiner<lb/> Wohnung frei sein wolle, darum die Wohnungsnot nur auf dem Wege genossen¬<lb/> schaftlicher Selbsthilfe erfolgreich bekämpft werden könne. Dann wird erzählt, wie<lb/> es der Genossenschaft mit ihrem Versuch einer Villenanlage für Breslauer Arbeiter<lb/> ergangen ist. Sie hat in einem durch elektrische Bahn mit der Stadt verbundnen<lb/> Vorort ein Gelände erworben, eine Straße angelegt und nach erhaltner baupoli¬<lb/> zeilicher Erlaubnis das erste Haus errichtet. Die Erlaubnis zum Bau des zweiten<lb/> aber wurde verweigert, weil eine Kolonie zu gründe» beabsichtigt werde und des¬<lb/> halb nach Z 18 des Gesetzes vom 25. August 1876 zuvor die Gemeinde-, Kirchen-<lb/> uud Schullasteu zu regeln seien. Die Gemeinde aber hatte, wie vermutet wird auf<lb/> höhere Anordnung, ein Statut erlassen, wonach die Bauerlaubnis für Gebäude an<lb/> neu anzulegenden Straßen nur dann zu geben ist, wenn diese zehn Meter breit mit<lb/> Granitwurfeln Ur. 4 gepflastert, entwässert und beleuchtet pfandfrei in das Eigentum<lb/> der Gemeinde ausgelassen worden find. Der Aufsichtsrat der Baugenossenschaft glaubt<lb/> bewiesen zu haben, daß seine Villenkolonie keine Kolonie im Sinne des angezogneu<lb/> Gesetzes sei, und macht außerdem geltend, daß so hohe Anforderungen in andern<lb/> Breslauer Vororten an die Bauunternehmer nicht gestellt würden, daß mehrere<lb/> dieser Vororte trotz zahlreicher städtischer Häuser ungepflasterte Straßen hätten, daß<lb/> es keinen Sinn habe, Arbeitern, die, um wohlfeil zu wohnen, aufs Laud ziehn,<lb/> großstädtischen Straßenluxus aufzunötigen, daß die vvrgeschriebue Straßeupslasterung<lb/> allein 90000 bis 100000 Mark kosten würde, und daß demnach jedes der vier¬<lb/> unddreißig geplanten Hänser jährlich 300 bis 400 Mark >?j Verzinsung der Straßen¬<lb/> kosten und außerdem 150 Mark Schulkvsten zu tragen haben würde. Es handle<lb/> sich aber um Arbeiter, die 1,80 bis 2 Mark Tagelohn verdienten, die also höchstens<lb/> 30 bis 40 Pfennige täglich auf Wohnungsmiete zurücklegen könnten; damit könnten<lb/> die wirklichen Anlagekosten verzinst werden, aber daran, daß die Geuosseuschnfts-<lb/> mitglieder die von Staat und Gemeinde aufgelegten Mehrkosten zu erschwingen -<lb/> vermöchten, sei gar nicht zu denken, und beharrten die Behörden auf ihren Förte-Z<lb/> rungen, so seien damit die Hoffnung und der Versuch der Genossen, sich aus eigner<lb/> Kraft menschenwürdige Wohnungen zu schaffe«, vereitelt. Diese Vorstellungen nutzten<lb/> nichts, die Genossenschaft wurde in allen Instanzen abgewiesen, und auch ihr Gesuch<lb/> um ein 35/z prvzentiges Darlehn zur Ausführung des vorgeschriebnen Straßenbaues<lb/> ist von allen Staats-, Provinz- und Kreisbehörden abschlägig beschieden worden,<lb/> weil — diesen Grund habe der Dezernent des Eisenbahnfiskus in einer Unter¬<lb/> redung eingestanden — die geplante Kolonie der Kolonie Brocknu Konkurrenz<lb/> mache» würde. Brockau ist einer der Vorortbahnhöfe, die zur Entlastung des Zentral-<lb/> bahuhvfes erweitert worden sind. Diese von, Eisenbahufiskus angelegte Arbeiter¬<lb/> und Beamteukvlouie ist nun allerdings mit städtischem Pflaster und allem übrigen<lb/> Zubehör versehn, aber, führt die Genossenschaftsdenkschrift ans, sie ist auch nicht im<lb/> ländlichen Stile angelegt, „sondern eine ganz nach großstädtischen Muster Haus<lb/> an Haus gebaute Stadt, wo Gartencmlngen und Raum für Stallungen fehlen. In<lb/> ihr haben auch weniger Arbeiter als Beamte des Eisenbahufiskus Aufnahme ge¬<lb/> funden, denn die Arbeiter waren trotz Wvhnungsgeldzuschüssen nicht imstande, die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0530]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Wie in Breslnu der Staat für Arbeiterwohnungen sorgt. Bezug
nehmend ans die Klagen der süddeutschen Fabrikantenfrau über den verderblichen
Wirtshansunfug im 20. Heft der Grenzboten und auf den Bericht über die neuste
wohnuugspvlitische Schrift von Lechler und Schaffte im 26. Heft sendet uns Herr
Hauptmann a. D. und Gutsbesitzer Moecke ein gedrucktes „Expose" der Neuen
Breslauer Spar- und Baugenossenschaft, in deren Aufsichtsrat er den Vorsitz hat.
Darin wird zunächst gesagt, die Gründer der Genossenschaft seien von der Über¬
zeugung ausgegangen, daß das Wohuungseleud der Arbeiter die Hcmptnrsnche ihres
Kneipenlebens und andrer Übel sei, daß aber auch der Arbeiter in der Wahl seiner
Wohnung frei sein wolle, darum die Wohnungsnot nur auf dem Wege genossen¬
schaftlicher Selbsthilfe erfolgreich bekämpft werden könne. Dann wird erzählt, wie
es der Genossenschaft mit ihrem Versuch einer Villenanlage für Breslauer Arbeiter
ergangen ist. Sie hat in einem durch elektrische Bahn mit der Stadt verbundnen
Vorort ein Gelände erworben, eine Straße angelegt und nach erhaltner baupoli¬
zeilicher Erlaubnis das erste Haus errichtet. Die Erlaubnis zum Bau des zweiten
aber wurde verweigert, weil eine Kolonie zu gründe» beabsichtigt werde und des¬
halb nach Z 18 des Gesetzes vom 25. August 1876 zuvor die Gemeinde-, Kirchen-
uud Schullasteu zu regeln seien. Die Gemeinde aber hatte, wie vermutet wird auf
höhere Anordnung, ein Statut erlassen, wonach die Bauerlaubnis für Gebäude an
neu anzulegenden Straßen nur dann zu geben ist, wenn diese zehn Meter breit mit
Granitwurfeln Ur. 4 gepflastert, entwässert und beleuchtet pfandfrei in das Eigentum
der Gemeinde ausgelassen worden find. Der Aufsichtsrat der Baugenossenschaft glaubt
bewiesen zu haben, daß seine Villenkolonie keine Kolonie im Sinne des angezogneu
Gesetzes sei, und macht außerdem geltend, daß so hohe Anforderungen in andern
Breslauer Vororten an die Bauunternehmer nicht gestellt würden, daß mehrere
dieser Vororte trotz zahlreicher städtischer Häuser ungepflasterte Straßen hätten, daß
es keinen Sinn habe, Arbeitern, die, um wohlfeil zu wohnen, aufs Laud ziehn,
großstädtischen Straßenluxus aufzunötigen, daß die vvrgeschriebue Straßeupslasterung
allein 90000 bis 100000 Mark kosten würde, und daß demnach jedes der vier¬
unddreißig geplanten Hänser jährlich 300 bis 400 Mark >?j Verzinsung der Straßen¬
kosten und außerdem 150 Mark Schulkvsten zu tragen haben würde. Es handle
sich aber um Arbeiter, die 1,80 bis 2 Mark Tagelohn verdienten, die also höchstens
30 bis 40 Pfennige täglich auf Wohnungsmiete zurücklegen könnten; damit könnten
die wirklichen Anlagekosten verzinst werden, aber daran, daß die Geuosseuschnfts-
mitglieder die von Staat und Gemeinde aufgelegten Mehrkosten zu erschwingen -
vermöchten, sei gar nicht zu denken, und beharrten die Behörden auf ihren Förte-Z
rungen, so seien damit die Hoffnung und der Versuch der Genossen, sich aus eigner
Kraft menschenwürdige Wohnungen zu schaffe«, vereitelt. Diese Vorstellungen nutzten
nichts, die Genossenschaft wurde in allen Instanzen abgewiesen, und auch ihr Gesuch
um ein 35/z prvzentiges Darlehn zur Ausführung des vorgeschriebnen Straßenbaues
ist von allen Staats-, Provinz- und Kreisbehörden abschlägig beschieden worden,
weil — diesen Grund habe der Dezernent des Eisenbahnfiskus in einer Unter¬
redung eingestanden — die geplante Kolonie der Kolonie Brocknu Konkurrenz
mache» würde. Brockau ist einer der Vorortbahnhöfe, die zur Entlastung des Zentral-
bahuhvfes erweitert worden sind. Diese von, Eisenbahufiskus angelegte Arbeiter¬
und Beamteukvlouie ist nun allerdings mit städtischem Pflaster und allem übrigen
Zubehör versehn, aber, führt die Genossenschaftsdenkschrift ans, sie ist auch nicht im
ländlichen Stile angelegt, „sondern eine ganz nach großstädtischen Muster Haus
an Haus gebaute Stadt, wo Gartencmlngen und Raum für Stallungen fehlen. In
ihr haben auch weniger Arbeiter als Beamte des Eisenbahufiskus Aufnahme ge¬
funden, denn die Arbeiter waren trotz Wvhnungsgeldzuschüssen nicht imstande, die
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