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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Lernjahre eines Theologen

und Erlösung zu warten?" Immerhin our dieser Zustand doch nur ein Dnrch-
gangsstadium, und wenn es auch ein unnatürliches Leben war, das mich ganz
der Wirklichkeit entfremdete, so hatte es doch durch die gewaltsame Anspannung
des Denkens seine guten Folgen, Gerade als die Zeit der Abspannung, der
Ermüdung, des Verzagens an der Kraft, die höchsten Welträtsel selber zu
lösen, am stärksten in mir war, wurde ich aus dieser Welt der Abstraktion
herausgerissen und in das thätige Leben hineingestellt. Bisher hatte ich ge¬
glaubt, daß der im Leben am besten zu brauchen wäre, der die Weltan¬
schauungsfragen am gründlichsten gelöst habe. Jetzt sah ich, wie die Welt von
ganz andern Dingen regiert werde, wie es Schiller so unübertrefflich sagt:

Ich lernte das Heer der wilden Leidenschaften kennen, die Sinnlichkeit, den
Ehrgeiz, das Strebertum. Ich lernte Menschen kennen, Menschen von Fleisch
und Blut, nicht zurechtphantasierte, die keine Weltanschammgsfragen im Kopf
trugen. Alle Lebensberufe haben das Gute, daß sie den Menschen zwingen,
die Welt nicht bloß in seinem Verstände, sondern sie mit lebendigem Herzen
und Willen anzufassen.


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Jeder, der am Ende seiner theologischen Studienzeit steht, wird jetzt noch
einmal vor die ernste Frage gestellt: Willst du wirklich den heiligen Beruf
übernehmen, Geistlicher einer Gemeinde zu sein? Es find oft nicht die schlech¬
testen Theologen, die für das geistliche Amt verloren gehn. Denn das Uni-
versitütsstudium führt durchaus nicht geradeswegs zum geistlichen Amt als
seinem natürlichen Zielpunkt hin. Alle Wissenschaft, auch die theologische, will
nur wissen, um zu wissen. Die Erforschung der Wahrheit und nichts andres
ist ihr einziges Ziel. Sehr viele Wahrheiten, die sich der Theologe durch sein
Studium erarbeitet, find nun nicht derart, daß sie geeignet wären, im prak¬
tischen Wirken des Geistlichen die Grundlagen zu sein. Drei Gründe für
diese Diskrepanz von theologischen Studium und geistlichem Amt lassen sich
finden, ein allgemeiner, der sich auch in andern Lebensberufen findet, und
Zwei mit der Eigentümlichkeit des theologisch-kirchlichen Berufs zusammen¬
hängende. Zunächst ist es der Ruhm und die Art der Universität über¬
haupt, daß sie die Stätte ist, in der reine Wissenschaft gepflegt wird, auch ab¬
gesehen von ihrer praktischen Verwendbarkeit. Sie sucht ihre Zöglinge nicht
handwerksmäßig zu besondern Berufen abzurichten. Sie bedarf darum vielleicht
zu ihrer Ergänzung praktischer Seminare. Es ist in der Theologie wie in der
Philologie: Ein tüchtiger Philologe ist noch kein tüchtiger Pädagog und Lehrer.
Mitunter ist er sogar durch sein Studium dazu verdorben. So ist auch ein
wissenschaftlich hervorragender Theolog noch nicht geeignet, ein wirksamer,


Lernjahre eines Theologen

und Erlösung zu warten?" Immerhin our dieser Zustand doch nur ein Dnrch-
gangsstadium, und wenn es auch ein unnatürliches Leben war, das mich ganz
der Wirklichkeit entfremdete, so hatte es doch durch die gewaltsame Anspannung
des Denkens seine guten Folgen, Gerade als die Zeit der Abspannung, der
Ermüdung, des Verzagens an der Kraft, die höchsten Welträtsel selber zu
lösen, am stärksten in mir war, wurde ich aus dieser Welt der Abstraktion
herausgerissen und in das thätige Leben hineingestellt. Bisher hatte ich ge¬
glaubt, daß der im Leben am besten zu brauchen wäre, der die Weltan¬
schauungsfragen am gründlichsten gelöst habe. Jetzt sah ich, wie die Welt von
ganz andern Dingen regiert werde, wie es Schiller so unübertrefflich sagt:

Ich lernte das Heer der wilden Leidenschaften kennen, die Sinnlichkeit, den
Ehrgeiz, das Strebertum. Ich lernte Menschen kennen, Menschen von Fleisch
und Blut, nicht zurechtphantasierte, die keine Weltanschammgsfragen im Kopf
trugen. Alle Lebensberufe haben das Gute, daß sie den Menschen zwingen,
die Welt nicht bloß in seinem Verstände, sondern sie mit lebendigem Herzen
und Willen anzufassen.


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Jeder, der am Ende seiner theologischen Studienzeit steht, wird jetzt noch
einmal vor die ernste Frage gestellt: Willst du wirklich den heiligen Beruf
übernehmen, Geistlicher einer Gemeinde zu sein? Es find oft nicht die schlech¬
testen Theologen, die für das geistliche Amt verloren gehn. Denn das Uni-
versitütsstudium führt durchaus nicht geradeswegs zum geistlichen Amt als
seinem natürlichen Zielpunkt hin. Alle Wissenschaft, auch die theologische, will
nur wissen, um zu wissen. Die Erforschung der Wahrheit und nichts andres
ist ihr einziges Ziel. Sehr viele Wahrheiten, die sich der Theologe durch sein
Studium erarbeitet, find nun nicht derart, daß sie geeignet wären, im prak¬
tischen Wirken des Geistlichen die Grundlagen zu sein. Drei Gründe für
diese Diskrepanz von theologischen Studium und geistlichem Amt lassen sich
finden, ein allgemeiner, der sich auch in andern Lebensberufen findet, und
Zwei mit der Eigentümlichkeit des theologisch-kirchlichen Berufs zusammen¬
hängende. Zunächst ist es der Ruhm und die Art der Universität über¬
haupt, daß sie die Stätte ist, in der reine Wissenschaft gepflegt wird, auch ab¬
gesehen von ihrer praktischen Verwendbarkeit. Sie sucht ihre Zöglinge nicht
handwerksmäßig zu besondern Berufen abzurichten. Sie bedarf darum vielleicht
zu ihrer Ergänzung praktischer Seminare. Es ist in der Theologie wie in der
Philologie: Ein tüchtiger Philologe ist noch kein tüchtiger Pädagog und Lehrer.
Mitunter ist er sogar durch sein Studium dazu verdorben. So ist auch ein
wissenschaftlich hervorragender Theolog noch nicht geeignet, ein wirksamer,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/301>, abgerufen am 04.06.2024.