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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Verwirrung im deutschen Ruderkoinmaudo

männer ihre Entscheidungen treffen werden im Sinne des Gesamtwohls und
deshalb hochstehend über den Parteien, den wirtschaftlichen Sonderinteressen
und -- Gott seis geklagt, daß wir es sagen müssen - - auch hoch über den
Berlin beherrschenden Strömungen der modernen nationalökonomischen Wissen¬
schaft,




Die Verwirrung im deutschen Ruderkommando
vom Navigationslehrer Ihnken

u einem der wichtigsten Dinge des Seeschiffahrtsbetriebs, im
Ruderkommando, herrscht gegenwärtig eine starke Verwirrung.
Statt eines einheitlichen Kommandos für das Steuern der Schiffe,
wie wir es früher in unsrer Kriegs- und Handelsmarine in Über¬
einstimmung mit den Gebräuchen ans den Flotten andrer Nationen
hatten, sind wir in den beiden letzten Jahrzehnten endlich dahin gelangt, drei ganz
verschiedne und sich zum Teil direkt widersprechende Kommandos für Nuder¬
manöver zik haben. Wo Einheit eine gebieterische Notwendigkeit wäre, um
Sicherheit in dem Verkehr auf der hohen See zu erhalten, soweit sie auf den
Meereswogen überhaupt erreichbar ist, ist eine Vielheit entstanden, die Tag
für Tag Leben und Eigentum gefährdet. Und was fast das Schlimmste ist:
nachgerade haben sich diese schlimmen Verhältnisse derart entwickelt, daß anch
die Einsichtigen kaum noch glauben, es könnte in die heillos verfcchrnen Zu¬
stände wieder Ordnung gebracht werden.

Wir haben erstens unsre alten Rnderkommandos: "Backbord!" und
"Steuerbord!", die seit Jahrhunderten an Bord aller Schiffe in ausschlie߬
lichem Gebrauch sind. Man nennt sie jetzt das Handelskommando, weil es
in der deutschen Handelsmarine nach wie vor weiter geführt und gebraucht
wird. Zweitens haben wir das gerade entgegengesetzte Marinckommando, das
lediglich auf deutschen Kriegsschiffen gilt. Es sind dieselben Worte "Back¬
bord" und "Steuerbord," aber was in der Handelsflotte Backbord bedeutet,
heißt in der Kriegsflotte "Steuerbord" und umgekehrt. Es ist in der That,
wie der Altmeister der Steuermannswust, der verstorbne Direktor der Navi¬
gationsschule in Bremen, Dr. Arthur Breusiug, einmal ausrief, rein die ver¬
kehrte Welt! Zu diesem beiden Kommandos, die die Köpfe unsrer Seeleute
schon genug verwirren, gesellt sich als drittes im Bunde noch das Kommando
unsrer beiden riesigen Dampfergesellschaften, der Gesellschaften, die alle Reede¬
reien der Welt durch die Zahl und Größe ihrer Schiffe aus dem Felde ge¬
schlagen haben, des Norddeutschen Lloyds und der Hamburg-Amerika-Linie. Diese
Linien haben an Bord ihrer Schiffe, um, wie sie sagten, dem allgemeinen


Die Verwirrung im deutschen Ruderkoinmaudo

männer ihre Entscheidungen treffen werden im Sinne des Gesamtwohls und
deshalb hochstehend über den Parteien, den wirtschaftlichen Sonderinteressen
und — Gott seis geklagt, daß wir es sagen müssen - - auch hoch über den
Berlin beherrschenden Strömungen der modernen nationalökonomischen Wissen¬
schaft,




Die Verwirrung im deutschen Ruderkommando
vom Navigationslehrer Ihnken

u einem der wichtigsten Dinge des Seeschiffahrtsbetriebs, im
Ruderkommando, herrscht gegenwärtig eine starke Verwirrung.
Statt eines einheitlichen Kommandos für das Steuern der Schiffe,
wie wir es früher in unsrer Kriegs- und Handelsmarine in Über¬
einstimmung mit den Gebräuchen ans den Flotten andrer Nationen
hatten, sind wir in den beiden letzten Jahrzehnten endlich dahin gelangt, drei ganz
verschiedne und sich zum Teil direkt widersprechende Kommandos für Nuder¬
manöver zik haben. Wo Einheit eine gebieterische Notwendigkeit wäre, um
Sicherheit in dem Verkehr auf der hohen See zu erhalten, soweit sie auf den
Meereswogen überhaupt erreichbar ist, ist eine Vielheit entstanden, die Tag
für Tag Leben und Eigentum gefährdet. Und was fast das Schlimmste ist:
nachgerade haben sich diese schlimmen Verhältnisse derart entwickelt, daß anch
die Einsichtigen kaum noch glauben, es könnte in die heillos verfcchrnen Zu¬
stände wieder Ordnung gebracht werden.

Wir haben erstens unsre alten Rnderkommandos: „Backbord!" und
„Steuerbord!", die seit Jahrhunderten an Bord aller Schiffe in ausschlie߬
lichem Gebrauch sind. Man nennt sie jetzt das Handelskommando, weil es
in der deutschen Handelsmarine nach wie vor weiter geführt und gebraucht
wird. Zweitens haben wir das gerade entgegengesetzte Marinckommando, das
lediglich auf deutschen Kriegsschiffen gilt. Es sind dieselben Worte „Back¬
bord" und „Steuerbord," aber was in der Handelsflotte Backbord bedeutet,
heißt in der Kriegsflotte „Steuerbord" und umgekehrt. Es ist in der That,
wie der Altmeister der Steuermannswust, der verstorbne Direktor der Navi¬
gationsschule in Bremen, Dr. Arthur Breusiug, einmal ausrief, rein die ver¬
kehrte Welt! Zu diesem beiden Kommandos, die die Köpfe unsrer Seeleute
schon genug verwirren, gesellt sich als drittes im Bunde noch das Kommando
unsrer beiden riesigen Dampfergesellschaften, der Gesellschaften, die alle Reede¬
reien der Welt durch die Zahl und Größe ihrer Schiffe aus dem Felde ge¬
schlagen haben, des Norddeutschen Lloyds und der Hamburg-Amerika-Linie. Diese
Linien haben an Bord ihrer Schiffe, um, wie sie sagten, dem allgemeinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/278>, abgerufen am 02.05.2024.