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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Gedanken zur Revision des Urankenversichernngsgesetzes

mehr als die Mehrheit, die nichts rechtes von den Getreidezöllen profitiert.
Eine Erhöhung der Zölle aber in den Grenzen, wie sie allein für die nicht¬
landwirtschaftliche Mehrheit der Gesamtbevölkerung und die wirtschaftliche
Expansion des Reichs zulässig und denkbar ist, wird auch den wirklich not¬
leidenden Rittergutsbesitzern und Großbauern nicht auf die Beine helfen;
vollends nicht, wenn sie infolge der Zvllerhöhnng glauben sollten, nnn die
Güterpreise bei Kauf, Erbesübernahme und Schnldbelastnng wieder höher be¬
messen zu dürfen, statt von ihnen gebührend, trotz der Zollerhöhung, abschreiben
zu müssen. Auch deu Großgrundbesitzern und Großbauern muß die Hoffnung,
daß ihnen dnrch Steigerung der Zollschranken wirklich und dauernd geholfen
werden kann, endlich genommen werden, und deshalb darf der Kaiser sich die
Zollsätze von deu Agrariern nimmermehr diktieren lassen. Stellte sich die
Regierung auf den Boden der agrarischen Behauptungen lind Trugschlüsse, so
würde nach zwölf Jahren der Notstand in den Großbetrieben ärger sein als
/? heute. Auch darin würde Conrad zweifellos Recht behalten.




Gedanken zur Revision des Krankenversicherungs¬
gesetzes

^le auf der Tagesordnung stehende Diskussion über die Revision
des Krankenversichernngsgesetzes hat die verschiedensten Klagen
und Wünsche hervorgerufen. Alle beteiligten Kreise haben die
vom Ministerium in einer amtlichen Rundfrage zur Debatte ge-
Istellteu Fragen erlüntert. Als Ergebnis der Erörterung kann
ich feststellen, daß sich die mir bekannt gewordnen Resolutionen der Unter¬
nehmer und der Arbeiter ebenso schroff gegenüber stehn wie die Wünsche und
die Beschlüsse der Kassenverbände und der Ärzte. Erklärlich wird dieser Gegen¬
satz bei der Erwägung, daß die großen Standesorganisationen wesentlich aus
materiellen Interessen heraus die Fragen zu entscheiden pflegen, und daß sich
hierbei einerseits die pekuniären Interessen der Unternehmer und der Arbeiter,
andrerseits die finanziellen Interessen der Krankenkassen und der Ärzte gegen¬
über stehn. Wo kann man da den Mittelweg finden?

Das zur Zeit am heißesten umstrittne Problem ist die Kassenarztfrage.
Während sich die dentschen Ärzte ganz entschieden ausgesprochen haben für die
gesetzliche Einführung der freien Wahl der Ärzte als einzig befriedigende Lösung
der Kasseuarztfrage, haben die Krankenkassenverbünde ebenso einhellig wie die Ver¬
tretungskörper der Unternehmer, besonders die Organisationen der Industriellen,
die gesetzliche Einführung der freien Wahl des Arztes für ausgeschlossen erklärt.


Gedanken zur Revision des Urankenversichernngsgesetzes

mehr als die Mehrheit, die nichts rechtes von den Getreidezöllen profitiert.
Eine Erhöhung der Zölle aber in den Grenzen, wie sie allein für die nicht¬
landwirtschaftliche Mehrheit der Gesamtbevölkerung und die wirtschaftliche
Expansion des Reichs zulässig und denkbar ist, wird auch den wirklich not¬
leidenden Rittergutsbesitzern und Großbauern nicht auf die Beine helfen;
vollends nicht, wenn sie infolge der Zvllerhöhnng glauben sollten, nnn die
Güterpreise bei Kauf, Erbesübernahme und Schnldbelastnng wieder höher be¬
messen zu dürfen, statt von ihnen gebührend, trotz der Zollerhöhung, abschreiben
zu müssen. Auch deu Großgrundbesitzern und Großbauern muß die Hoffnung,
daß ihnen dnrch Steigerung der Zollschranken wirklich und dauernd geholfen
werden kann, endlich genommen werden, und deshalb darf der Kaiser sich die
Zollsätze von deu Agrariern nimmermehr diktieren lassen. Stellte sich die
Regierung auf den Boden der agrarischen Behauptungen lind Trugschlüsse, so
würde nach zwölf Jahren der Notstand in den Großbetrieben ärger sein als
/? heute. Auch darin würde Conrad zweifellos Recht behalten.




Gedanken zur Revision des Krankenversicherungs¬
gesetzes

^le auf der Tagesordnung stehende Diskussion über die Revision
des Krankenversichernngsgesetzes hat die verschiedensten Klagen
und Wünsche hervorgerufen. Alle beteiligten Kreise haben die
vom Ministerium in einer amtlichen Rundfrage zur Debatte ge-
Istellteu Fragen erlüntert. Als Ergebnis der Erörterung kann
ich feststellen, daß sich die mir bekannt gewordnen Resolutionen der Unter¬
nehmer und der Arbeiter ebenso schroff gegenüber stehn wie die Wünsche und
die Beschlüsse der Kassenverbände und der Ärzte. Erklärlich wird dieser Gegen¬
satz bei der Erwägung, daß die großen Standesorganisationen wesentlich aus
materiellen Interessen heraus die Fragen zu entscheiden pflegen, und daß sich
hierbei einerseits die pekuniären Interessen der Unternehmer und der Arbeiter,
andrerseits die finanziellen Interessen der Krankenkassen und der Ärzte gegen¬
über stehn. Wo kann man da den Mittelweg finden?

Das zur Zeit am heißesten umstrittne Problem ist die Kassenarztfrage.
Während sich die dentschen Ärzte ganz entschieden ausgesprochen haben für die
gesetzliche Einführung der freien Wahl der Ärzte als einzig befriedigende Lösung
der Kasseuarztfrage, haben die Krankenkassenverbünde ebenso einhellig wie die Ver¬
tretungskörper der Unternehmer, besonders die Organisationen der Industriellen,
die gesetzliche Einführung der freien Wahl des Arztes für ausgeschlossen erklärt.


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[0168] Gedanken zur Revision des Urankenversichernngsgesetzes mehr als die Mehrheit, die nichts rechtes von den Getreidezöllen profitiert. Eine Erhöhung der Zölle aber in den Grenzen, wie sie allein für die nicht¬ landwirtschaftliche Mehrheit der Gesamtbevölkerung und die wirtschaftliche Expansion des Reichs zulässig und denkbar ist, wird auch den wirklich not¬ leidenden Rittergutsbesitzern und Großbauern nicht auf die Beine helfen; vollends nicht, wenn sie infolge der Zvllerhöhnng glauben sollten, nnn die Güterpreise bei Kauf, Erbesübernahme und Schnldbelastnng wieder höher be¬ messen zu dürfen, statt von ihnen gebührend, trotz der Zollerhöhung, abschreiben zu müssen. Auch deu Großgrundbesitzern und Großbauern muß die Hoffnung, daß ihnen dnrch Steigerung der Zollschranken wirklich und dauernd geholfen werden kann, endlich genommen werden, und deshalb darf der Kaiser sich die Zollsätze von deu Agrariern nimmermehr diktieren lassen. Stellte sich die Regierung auf den Boden der agrarischen Behauptungen lind Trugschlüsse, so würde nach zwölf Jahren der Notstand in den Großbetrieben ärger sein als /? heute. Auch darin würde Conrad zweifellos Recht behalten. Gedanken zur Revision des Krankenversicherungs¬ gesetzes ^le auf der Tagesordnung stehende Diskussion über die Revision des Krankenversichernngsgesetzes hat die verschiedensten Klagen und Wünsche hervorgerufen. Alle beteiligten Kreise haben die vom Ministerium in einer amtlichen Rundfrage zur Debatte ge- Istellteu Fragen erlüntert. Als Ergebnis der Erörterung kann ich feststellen, daß sich die mir bekannt gewordnen Resolutionen der Unter¬ nehmer und der Arbeiter ebenso schroff gegenüber stehn wie die Wünsche und die Beschlüsse der Kassenverbände und der Ärzte. Erklärlich wird dieser Gegen¬ satz bei der Erwägung, daß die großen Standesorganisationen wesentlich aus materiellen Interessen heraus die Fragen zu entscheiden pflegen, und daß sich hierbei einerseits die pekuniären Interessen der Unternehmer und der Arbeiter, andrerseits die finanziellen Interessen der Krankenkassen und der Ärzte gegen¬ über stehn. Wo kann man da den Mittelweg finden? Das zur Zeit am heißesten umstrittne Problem ist die Kassenarztfrage. Während sich die dentschen Ärzte ganz entschieden ausgesprochen haben für die gesetzliche Einführung der freien Wahl der Ärzte als einzig befriedigende Lösung der Kasseuarztfrage, haben die Krankenkassenverbünde ebenso einhellig wie die Ver¬ tretungskörper der Unternehmer, besonders die Organisationen der Industriellen, die gesetzliche Einführung der freien Wahl des Arztes für ausgeschlossen erklärt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/168>, abgerufen am 05.05.2024.