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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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der Überbürdung der Schwachen und der Langeweile, zu der die Begabtesten in
gewöhnlichen Schulen verurteilt sind, mit einem Wort, sie macht die individuelle
Behandlung möglich. Die Erfolge dieser Schule, die gegenwärtig siebzehn Schüler
zählt, sollen glänzend sein. Manche bereiten sich darin nur für die Kaufmanns¬
lehre vor, die aber aufs Ghmnasium übergehn, werden mit fünfzehn Jahren gute
Obertertianer oder Untersekundaner und zeichnen sich von den Durchschnitts-
ghmnasiasten durch Frische und Lernfreudigkeit aus. Man sage nicht: Was kümmert
uns eine Schule vou siebzehn Schülern in einem winzigen Städtchen! Es giebt
in Dentschland vielleicht zweitausend kleine Städte, deren Bürgerschaft und Jugend
uuter den bestehenden Verhältnissen leidet; es kann sich dabei um dreißigtausend
und mehr Knaben handeln. Die sind es schon wert, das; man den in dem hol¬
steinischen Städtchen verwirklichten Gedanken erwägt. Schwarz weist auch ans die
sozialen Wirkungen hin, die die Verallgemeinerung der Einrichtung haben würde;
sie würde den Zug nach der Großstadt abschwächen, denn viele ziehn nur der er¬
leichterten Schulung ihrer Kinder wegen dorthin, und sie würde zur Versöhnung der
Klassen beitrage", weil die Schiller einer solchen Sprachschule länger mit den Kindern
des ärmern Volks znsnmmensitzen. Freilich dürfte bei der Verwirklichung dieses
Reformgedankens nicht vergessen werden, daß in einer solchen Schule noch viel
mehr als in unsern gewöhnlichen Anstalten auf die Persönlichkeit des Lehrers an¬
kommt. Wenn man vor allem auf Wohlfeilheit halten und meinen sollte, durch-
gefallue oder verbummelte Kandidaten seien gut genug für so ein paar Söhne
nicht sehr vornehmer Eltern, dann wäre die Sache von vornherein verpfuscht.




Litteratur

Von den Antillen zum fernen Westen. Reiseskizzen eines Naturforschers. Von Frnnz
Doflein. Jena, Gustav Fischer, 1900

Für frische, warm empfuudue Reiseschilderungeu bleiben wir immer empfänglich.
Das Publikum kauft zwar solche Bücher nicht in Massen wie Romane, wie uns
die Verleger versichern, aber gelesen werden sie fleißig, wie wir aus eigner Er¬
fahrung bestätigen können. Das vorliegende Werkchen zeichnet sich durch treffliche
Natur- und Völkerschilderungen aus, denen man es anmerkt, daß der Verfasser nicht
bloß naturwissenschaftlich beobachtet, er ist Zoologe, sondern anch künstlerisch sieht
und wiedergiebt. Schade, daß er aus seinem eigensten Studiengebiet, dem Tier¬
leben des Antillenmeeres, nicht mehr geboten hat. Dein künstlerischen Zug der
Schilderung entspricht die hübsche bildliche Ausstattung. Wer Reiseschilderungeu
vergleichend betrachtet, wird in der Dofleinschen den koloristischen Zug in der Dar¬
stellung der Naturszenen beachten. Gegenüber seinen genauen Angaben über die
Farben in der tropischen Landschaft möchte man sogar A. von Humboldt als nahezu
farbenblind bezeichnen. Gesehen hat dieser ja annähernd dasselbe wie Doflein, aber
feine Landschaften begnügte er sich in Umrissen zu zeichnen und leicht zu kolorieren:
genau wie die Maler seiner Zeit.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Mar.qunrt in Leipzig

der Überbürdung der Schwachen und der Langeweile, zu der die Begabtesten in
gewöhnlichen Schulen verurteilt sind, mit einem Wort, sie macht die individuelle
Behandlung möglich. Die Erfolge dieser Schule, die gegenwärtig siebzehn Schüler
zählt, sollen glänzend sein. Manche bereiten sich darin nur für die Kaufmanns¬
lehre vor, die aber aufs Ghmnasium übergehn, werden mit fünfzehn Jahren gute
Obertertianer oder Untersekundaner und zeichnen sich von den Durchschnitts-
ghmnasiasten durch Frische und Lernfreudigkeit aus. Man sage nicht: Was kümmert
uns eine Schule vou siebzehn Schülern in einem winzigen Städtchen! Es giebt
in Dentschland vielleicht zweitausend kleine Städte, deren Bürgerschaft und Jugend
uuter den bestehenden Verhältnissen leidet; es kann sich dabei um dreißigtausend
und mehr Knaben handeln. Die sind es schon wert, das; man den in dem hol¬
steinischen Städtchen verwirklichten Gedanken erwägt. Schwarz weist auch ans die
sozialen Wirkungen hin, die die Verallgemeinerung der Einrichtung haben würde;
sie würde den Zug nach der Großstadt abschwächen, denn viele ziehn nur der er¬
leichterten Schulung ihrer Kinder wegen dorthin, und sie würde zur Versöhnung der
Klassen beitrage», weil die Schiller einer solchen Sprachschule länger mit den Kindern
des ärmern Volks znsnmmensitzen. Freilich dürfte bei der Verwirklichung dieses
Reformgedankens nicht vergessen werden, daß in einer solchen Schule noch viel
mehr als in unsern gewöhnlichen Anstalten auf die Persönlichkeit des Lehrers an¬
kommt. Wenn man vor allem auf Wohlfeilheit halten und meinen sollte, durch-
gefallue oder verbummelte Kandidaten seien gut genug für so ein paar Söhne
nicht sehr vornehmer Eltern, dann wäre die Sache von vornherein verpfuscht.




Litteratur

Von den Antillen zum fernen Westen. Reiseskizzen eines Naturforschers. Von Frnnz
Doflein. Jena, Gustav Fischer, 1900

Für frische, warm empfuudue Reiseschilderungeu bleiben wir immer empfänglich.
Das Publikum kauft zwar solche Bücher nicht in Massen wie Romane, wie uns
die Verleger versichern, aber gelesen werden sie fleißig, wie wir aus eigner Er¬
fahrung bestätigen können. Das vorliegende Werkchen zeichnet sich durch treffliche
Natur- und Völkerschilderungen aus, denen man es anmerkt, daß der Verfasser nicht
bloß naturwissenschaftlich beobachtet, er ist Zoologe, sondern anch künstlerisch sieht
und wiedergiebt. Schade, daß er aus seinem eigensten Studiengebiet, dem Tier¬
leben des Antillenmeeres, nicht mehr geboten hat. Dein künstlerischen Zug der
Schilderung entspricht die hübsche bildliche Ausstattung. Wer Reiseschilderungeu
vergleichend betrachtet, wird in der Dofleinschen den koloristischen Zug in der Dar¬
stellung der Naturszenen beachten. Gegenüber seinen genauen Angaben über die
Farben in der tropischen Landschaft möchte man sogar A. von Humboldt als nahezu
farbenblind bezeichnen. Gesehen hat dieser ja annähernd dasselbe wie Doflein, aber
feine Landschaften begnügte er sich in Umrissen zu zeichnen und leicht zu kolorieren:
genau wie die Maler seiner Zeit.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Mar.qunrt in Leipzig
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[0296] der Überbürdung der Schwachen und der Langeweile, zu der die Begabtesten in gewöhnlichen Schulen verurteilt sind, mit einem Wort, sie macht die individuelle Behandlung möglich. Die Erfolge dieser Schule, die gegenwärtig siebzehn Schüler zählt, sollen glänzend sein. Manche bereiten sich darin nur für die Kaufmanns¬ lehre vor, die aber aufs Ghmnasium übergehn, werden mit fünfzehn Jahren gute Obertertianer oder Untersekundaner und zeichnen sich von den Durchschnitts- ghmnasiasten durch Frische und Lernfreudigkeit aus. Man sage nicht: Was kümmert uns eine Schule vou siebzehn Schülern in einem winzigen Städtchen! Es giebt in Dentschland vielleicht zweitausend kleine Städte, deren Bürgerschaft und Jugend uuter den bestehenden Verhältnissen leidet; es kann sich dabei um dreißigtausend und mehr Knaben handeln. Die sind es schon wert, das; man den in dem hol¬ steinischen Städtchen verwirklichten Gedanken erwägt. Schwarz weist auch ans die sozialen Wirkungen hin, die die Verallgemeinerung der Einrichtung haben würde; sie würde den Zug nach der Großstadt abschwächen, denn viele ziehn nur der er¬ leichterten Schulung ihrer Kinder wegen dorthin, und sie würde zur Versöhnung der Klassen beitrage», weil die Schiller einer solchen Sprachschule länger mit den Kindern des ärmern Volks znsnmmensitzen. Freilich dürfte bei der Verwirklichung dieses Reformgedankens nicht vergessen werden, daß in einer solchen Schule noch viel mehr als in unsern gewöhnlichen Anstalten auf die Persönlichkeit des Lehrers an¬ kommt. Wenn man vor allem auf Wohlfeilheit halten und meinen sollte, durch- gefallue oder verbummelte Kandidaten seien gut genug für so ein paar Söhne nicht sehr vornehmer Eltern, dann wäre die Sache von vornherein verpfuscht. Litteratur Von den Antillen zum fernen Westen. Reiseskizzen eines Naturforschers. Von Frnnz Doflein. Jena, Gustav Fischer, 1900 Für frische, warm empfuudue Reiseschilderungeu bleiben wir immer empfänglich. Das Publikum kauft zwar solche Bücher nicht in Massen wie Romane, wie uns die Verleger versichern, aber gelesen werden sie fleißig, wie wir aus eigner Er¬ fahrung bestätigen können. Das vorliegende Werkchen zeichnet sich durch treffliche Natur- und Völkerschilderungen aus, denen man es anmerkt, daß der Verfasser nicht bloß naturwissenschaftlich beobachtet, er ist Zoologe, sondern anch künstlerisch sieht und wiedergiebt. Schade, daß er aus seinem eigensten Studiengebiet, dem Tier¬ leben des Antillenmeeres, nicht mehr geboten hat. Dein künstlerischen Zug der Schilderung entspricht die hübsche bildliche Ausstattung. Wer Reiseschilderungeu vergleichend betrachtet, wird in der Dofleinschen den koloristischen Zug in der Dar¬ stellung der Naturszenen beachten. Gegenüber seinen genauen Angaben über die Farben in der tropischen Landschaft möchte man sogar A. von Humboldt als nahezu farbenblind bezeichnen. Gesehen hat dieser ja annähernd dasselbe wie Doflein, aber feine Landschaften begnügte er sich in Umrissen zu zeichnen und leicht zu kolorieren: genau wie die Maler seiner Zeit. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Mar.qunrt in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/296>, abgerufen am 05.05.2024.