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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Bedeutung wie keiner sonst verkörperte, den vornehmsten Rang erhalten zu
wollen unter den patriotischen Erziehungsmitteln für die preußische Jugend auch
im zwanzigsten Jahrhundert, für die Königsöhne wie für die Bürgersöhne.

(Fortsetzung folgt)




Volksbibliotheken und Lesehallen

er bekannte eifrige Agitator für die Verbreitung von Volks¬
bildung, Ernst Schultze (siehe den 4. Band des Jahrgangs 1900
der Grenzboten, S> 104), hat das Ergebnis seiner langjährigen
Studien über seinen Gegenstand in einem hübschen, mit vielen
Illustrationen versehenen Bande niedergelegt: Freie öffentliche
Bibliotheken. Volksbibliotheken und Lesehallen (Stettin, Dannen-
berg u. Comp., 1900). Freie öffentliche Bibliotheken ist die in den angel¬
sächsischen Ländern übliche Bezeichnung für die mit Lesehallen verbundnen
Volksbibliotheken. In diesen Ländern pflegt die Zeitschriftenlesehalle das
erste zu sein und die Bibliothek nachzufolgen, bei uns ist es bekanntlich um¬
gekehrt.

In einer langen Einleitung beweist der Berfasser, daß eine Erhöhung
der Volksbildung notwendig und nützlich sei. Die Frage nach dem Werte und
den Wirkungen des Bücherwissens und Zeitungslesers ist so unzähligemal und
so gründlich erörtert worden, daß es keinen Gebildeten giebt, der die Für und
die Wider nicht am Schnürchen hätte, sodaß es überflüssig erscheint, Schultzes
Ausführungen zu rekapitulieren. Wir wollen nur ein paar Gründe für die
Errichtung von Volksbibliotheken anführen, die wir nicht erst aus Schultze
gelernt haben, und die auch der Anhänger der Stiehlschen Regulative gelten
lassen muß. Daß bei den untern Ständen vielfach ein starker Lesehunger
erwacht ist, steht fest. Nun wird dieser großenteils durch Kolportageromaue
der scheußlichsten und verderblichsten Art befriedigt und durch Tagesblätter,
die entweder bloß auf Sensation spekulieren oder Parteiblätter von irre¬
führender Einseitigkeit sind. Gelesen wird also allgemein und bei dem heutigen
Mangel an vernünftigen Veranstaltungen meist Schlechtes oder wenigstens
Wertloses. Da ist es denn doch besser, es wird dem Volke wenigstens die
Gelegenheit geboten, Gutes zu genießen. Dann: wie Schultze erzählt, hat
ein Beobachter in einer öffentlichen Bibliothek den Eindruck gewonnen, daß
viele der Lesenden Arbeitlose seien. Und es ist ja auch von vornherein an¬
zunehmen, daß die vielen Arbeitlosen, die es jederzeit in jeder Großstadt giebt,
infolge einer wirtschaftlichen Depression oder wegen eines Ausstands, einen


Bedeutung wie keiner sonst verkörperte, den vornehmsten Rang erhalten zu
wollen unter den patriotischen Erziehungsmitteln für die preußische Jugend auch
im zwanzigsten Jahrhundert, für die Königsöhne wie für die Bürgersöhne.

(Fortsetzung folgt)




Volksbibliotheken und Lesehallen

er bekannte eifrige Agitator für die Verbreitung von Volks¬
bildung, Ernst Schultze (siehe den 4. Band des Jahrgangs 1900
der Grenzboten, S> 104), hat das Ergebnis seiner langjährigen
Studien über seinen Gegenstand in einem hübschen, mit vielen
Illustrationen versehenen Bande niedergelegt: Freie öffentliche
Bibliotheken. Volksbibliotheken und Lesehallen (Stettin, Dannen-
berg u. Comp., 1900). Freie öffentliche Bibliotheken ist die in den angel¬
sächsischen Ländern übliche Bezeichnung für die mit Lesehallen verbundnen
Volksbibliotheken. In diesen Ländern pflegt die Zeitschriftenlesehalle das
erste zu sein und die Bibliothek nachzufolgen, bei uns ist es bekanntlich um¬
gekehrt.

In einer langen Einleitung beweist der Berfasser, daß eine Erhöhung
der Volksbildung notwendig und nützlich sei. Die Frage nach dem Werte und
den Wirkungen des Bücherwissens und Zeitungslesers ist so unzähligemal und
so gründlich erörtert worden, daß es keinen Gebildeten giebt, der die Für und
die Wider nicht am Schnürchen hätte, sodaß es überflüssig erscheint, Schultzes
Ausführungen zu rekapitulieren. Wir wollen nur ein paar Gründe für die
Errichtung von Volksbibliotheken anführen, die wir nicht erst aus Schultze
gelernt haben, und die auch der Anhänger der Stiehlschen Regulative gelten
lassen muß. Daß bei den untern Ständen vielfach ein starker Lesehunger
erwacht ist, steht fest. Nun wird dieser großenteils durch Kolportageromaue
der scheußlichsten und verderblichsten Art befriedigt und durch Tagesblätter,
die entweder bloß auf Sensation spekulieren oder Parteiblätter von irre¬
führender Einseitigkeit sind. Gelesen wird also allgemein und bei dem heutigen
Mangel an vernünftigen Veranstaltungen meist Schlechtes oder wenigstens
Wertloses. Da ist es denn doch besser, es wird dem Volke wenigstens die
Gelegenheit geboten, Gutes zu genießen. Dann: wie Schultze erzählt, hat
ein Beobachter in einer öffentlichen Bibliothek den Eindruck gewonnen, daß
viele der Lesenden Arbeitlose seien. Und es ist ja auch von vornherein an¬
zunehmen, daß die vielen Arbeitlosen, die es jederzeit in jeder Großstadt giebt,
infolge einer wirtschaftlichen Depression oder wegen eines Ausstands, einen


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[0362] Bedeutung wie keiner sonst verkörperte, den vornehmsten Rang erhalten zu wollen unter den patriotischen Erziehungsmitteln für die preußische Jugend auch im zwanzigsten Jahrhundert, für die Königsöhne wie für die Bürgersöhne. (Fortsetzung folgt) Volksbibliotheken und Lesehallen er bekannte eifrige Agitator für die Verbreitung von Volks¬ bildung, Ernst Schultze (siehe den 4. Band des Jahrgangs 1900 der Grenzboten, S> 104), hat das Ergebnis seiner langjährigen Studien über seinen Gegenstand in einem hübschen, mit vielen Illustrationen versehenen Bande niedergelegt: Freie öffentliche Bibliotheken. Volksbibliotheken und Lesehallen (Stettin, Dannen- berg u. Comp., 1900). Freie öffentliche Bibliotheken ist die in den angel¬ sächsischen Ländern übliche Bezeichnung für die mit Lesehallen verbundnen Volksbibliotheken. In diesen Ländern pflegt die Zeitschriftenlesehalle das erste zu sein und die Bibliothek nachzufolgen, bei uns ist es bekanntlich um¬ gekehrt. In einer langen Einleitung beweist der Berfasser, daß eine Erhöhung der Volksbildung notwendig und nützlich sei. Die Frage nach dem Werte und den Wirkungen des Bücherwissens und Zeitungslesers ist so unzähligemal und so gründlich erörtert worden, daß es keinen Gebildeten giebt, der die Für und die Wider nicht am Schnürchen hätte, sodaß es überflüssig erscheint, Schultzes Ausführungen zu rekapitulieren. Wir wollen nur ein paar Gründe für die Errichtung von Volksbibliotheken anführen, die wir nicht erst aus Schultze gelernt haben, und die auch der Anhänger der Stiehlschen Regulative gelten lassen muß. Daß bei den untern Ständen vielfach ein starker Lesehunger erwacht ist, steht fest. Nun wird dieser großenteils durch Kolportageromaue der scheußlichsten und verderblichsten Art befriedigt und durch Tagesblätter, die entweder bloß auf Sensation spekulieren oder Parteiblätter von irre¬ führender Einseitigkeit sind. Gelesen wird also allgemein und bei dem heutigen Mangel an vernünftigen Veranstaltungen meist Schlechtes oder wenigstens Wertloses. Da ist es denn doch besser, es wird dem Volke wenigstens die Gelegenheit geboten, Gutes zu genießen. Dann: wie Schultze erzählt, hat ein Beobachter in einer öffentlichen Bibliothek den Eindruck gewonnen, daß viele der Lesenden Arbeitlose seien. Und es ist ja auch von vornherein an¬ zunehmen, daß die vielen Arbeitlosen, die es jederzeit in jeder Großstadt giebt, infolge einer wirtschaftlichen Depression oder wegen eines Ausstands, einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/362>, abgerufen am 05.05.2024.