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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die genossenschaftliche Rreditorganisation in der Landwirtschaft

ein albanesischer .Kongreß auf italienischem Boden statt, wo starke albanesische
Niederlassungen bestehn. Es würde für Italien alles keinesfalls an Wegen
fehlen, die nach Rußland führen, denn bekanntlich ist die Königin von Italien
eine Tochter des Fürsten von Montenegro, den Alexander 111. einmal den
einzigen Freund Rußlands genannt, und der, viel klüger als diese haltlosen
serbischen Obrenowitsch, nach sehr verschiednen Richtungen hin Familienver¬
bindungen mit mächtigen Herrscherhäusern angeknüpft hat. Fiir Osterreich und
Deutschland aber würde die Trennung Italiens vom Dreibunde eine be¬
ständige Bedrohung der österreichischen Südgrenze bedeuten, sie würde im Falle
des Kriegs eine ganze Armee dort fesseln, also für beide mitteleuropäischen
Mächte die militärische Lage sehr verschlechtern und dnrch solche Aussichten die
Möglichkeit eines russisch-französischen Angriffs näher rücken. Wirksam auf
Italien zu drücken, um es beim Dreibünde festzuhalten, vermöchte vor allem
England. Und angesichts solcher Möglichkeiten, die niemals zu Wirklichkeiten
werden zu lassen unser höchstes Interesse ist, gebärden sich unsre Agrarier, als
wenn die neuen Zolltarife vom Willen Deutschlands allein abhingen, ver¬
denken es unsre Zeitungs- nud Bierbankpolitiker der Rcichsregiernng, wenn
sie eine gewisse Rückendeckung an England sucht und, ganz nach Bismarck, zwei
Eisen im Feuer, zwei Sehne" ans dein Bogen hat! Ja, die große Politik
ist eben nicht "ungemein einfach," sondern eine höchst verwickelte Sache, eine
sehr, sehr schwierige Kunst, die nicht nach bloßen Stimmungen gemacht
^ werden kann.




Die genossenschaftliche Kreditorganisation in der Land¬
wirtschaft
von Paul von Hart manu

eher die städtischen Genossenschaften nach Schutze-Delitzschischen
Grundsätzen ist schou so viel geschrieben worden, daß sie als
hinlänglich bekannt angesehen werden dürfen: weit weniger be¬
kannt sind dagegen die Entwicklung und die Bedeutung des
landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens. Zwar kann es nicht
so imponierende Zahlen für Umsatz und Kapital aufweise", weil es andern
Verhältnissen angepaßt ist, aber darum wirkt es nicht minder segensreich.

Der deutsche Bauer wurde zu einem änßerst gefährlichen Zeitpunkt wirt¬
schaftlich für mündig erklärt. Die deutsche Landwirtschaft stand gerade im
Übergangsstadium von der Natural- zur Geldwirtschaft. Wirtschaftlich ein
Kind, sollte der Bauer seine Verpflichtungen dem Staate gegenüber und seine


Die genossenschaftliche Rreditorganisation in der Landwirtschaft

ein albanesischer .Kongreß auf italienischem Boden statt, wo starke albanesische
Niederlassungen bestehn. Es würde für Italien alles keinesfalls an Wegen
fehlen, die nach Rußland führen, denn bekanntlich ist die Königin von Italien
eine Tochter des Fürsten von Montenegro, den Alexander 111. einmal den
einzigen Freund Rußlands genannt, und der, viel klüger als diese haltlosen
serbischen Obrenowitsch, nach sehr verschiednen Richtungen hin Familienver¬
bindungen mit mächtigen Herrscherhäusern angeknüpft hat. Fiir Osterreich und
Deutschland aber würde die Trennung Italiens vom Dreibunde eine be¬
ständige Bedrohung der österreichischen Südgrenze bedeuten, sie würde im Falle
des Kriegs eine ganze Armee dort fesseln, also für beide mitteleuropäischen
Mächte die militärische Lage sehr verschlechtern und dnrch solche Aussichten die
Möglichkeit eines russisch-französischen Angriffs näher rücken. Wirksam auf
Italien zu drücken, um es beim Dreibünde festzuhalten, vermöchte vor allem
England. Und angesichts solcher Möglichkeiten, die niemals zu Wirklichkeiten
werden zu lassen unser höchstes Interesse ist, gebärden sich unsre Agrarier, als
wenn die neuen Zolltarife vom Willen Deutschlands allein abhingen, ver¬
denken es unsre Zeitungs- nud Bierbankpolitiker der Rcichsregiernng, wenn
sie eine gewisse Rückendeckung an England sucht und, ganz nach Bismarck, zwei
Eisen im Feuer, zwei Sehne» ans dein Bogen hat! Ja, die große Politik
ist eben nicht „ungemein einfach," sondern eine höchst verwickelte Sache, eine
sehr, sehr schwierige Kunst, die nicht nach bloßen Stimmungen gemacht
^ werden kann.




Die genossenschaftliche Kreditorganisation in der Land¬
wirtschaft
von Paul von Hart manu

eher die städtischen Genossenschaften nach Schutze-Delitzschischen
Grundsätzen ist schou so viel geschrieben worden, daß sie als
hinlänglich bekannt angesehen werden dürfen: weit weniger be¬
kannt sind dagegen die Entwicklung und die Bedeutung des
landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens. Zwar kann es nicht
so imponierende Zahlen für Umsatz und Kapital aufweise«, weil es andern
Verhältnissen angepaßt ist, aber darum wirkt es nicht minder segensreich.

Der deutsche Bauer wurde zu einem änßerst gefährlichen Zeitpunkt wirt¬
schaftlich für mündig erklärt. Die deutsche Landwirtschaft stand gerade im
Übergangsstadium von der Natural- zur Geldwirtschaft. Wirtschaftlich ein
Kind, sollte der Bauer seine Verpflichtungen dem Staate gegenüber und seine


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[0444] Die genossenschaftliche Rreditorganisation in der Landwirtschaft ein albanesischer .Kongreß auf italienischem Boden statt, wo starke albanesische Niederlassungen bestehn. Es würde für Italien alles keinesfalls an Wegen fehlen, die nach Rußland führen, denn bekanntlich ist die Königin von Italien eine Tochter des Fürsten von Montenegro, den Alexander 111. einmal den einzigen Freund Rußlands genannt, und der, viel klüger als diese haltlosen serbischen Obrenowitsch, nach sehr verschiednen Richtungen hin Familienver¬ bindungen mit mächtigen Herrscherhäusern angeknüpft hat. Fiir Osterreich und Deutschland aber würde die Trennung Italiens vom Dreibunde eine be¬ ständige Bedrohung der österreichischen Südgrenze bedeuten, sie würde im Falle des Kriegs eine ganze Armee dort fesseln, also für beide mitteleuropäischen Mächte die militärische Lage sehr verschlechtern und dnrch solche Aussichten die Möglichkeit eines russisch-französischen Angriffs näher rücken. Wirksam auf Italien zu drücken, um es beim Dreibünde festzuhalten, vermöchte vor allem England. Und angesichts solcher Möglichkeiten, die niemals zu Wirklichkeiten werden zu lassen unser höchstes Interesse ist, gebärden sich unsre Agrarier, als wenn die neuen Zolltarife vom Willen Deutschlands allein abhingen, ver¬ denken es unsre Zeitungs- nud Bierbankpolitiker der Rcichsregiernng, wenn sie eine gewisse Rückendeckung an England sucht und, ganz nach Bismarck, zwei Eisen im Feuer, zwei Sehne» ans dein Bogen hat! Ja, die große Politik ist eben nicht „ungemein einfach," sondern eine höchst verwickelte Sache, eine sehr, sehr schwierige Kunst, die nicht nach bloßen Stimmungen gemacht ^ werden kann. Die genossenschaftliche Kreditorganisation in der Land¬ wirtschaft von Paul von Hart manu eher die städtischen Genossenschaften nach Schutze-Delitzschischen Grundsätzen ist schou so viel geschrieben worden, daß sie als hinlänglich bekannt angesehen werden dürfen: weit weniger be¬ kannt sind dagegen die Entwicklung und die Bedeutung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens. Zwar kann es nicht so imponierende Zahlen für Umsatz und Kapital aufweise«, weil es andern Verhältnissen angepaßt ist, aber darum wirkt es nicht minder segensreich. Der deutsche Bauer wurde zu einem änßerst gefährlichen Zeitpunkt wirt¬ schaftlich für mündig erklärt. Die deutsche Landwirtschaft stand gerade im Übergangsstadium von der Natural- zur Geldwirtschaft. Wirtschaftlich ein Kind, sollte der Bauer seine Verpflichtungen dem Staate gegenüber und seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/444>, abgerufen am 05.05.2024.