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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die Entwicklung der deutschen Monarchie
Hermann Borge von

n eine Menge von Völkerschaften zerspalten, die sich bekämpfen
oder sich in feindlicher Spannung gegenüberstelln und sich nur
in seltnen Fällen gemeinsamer Not auf kurze Zeit zusammen¬
schließen, die unstet umherschweifen, Weib, Kind und alle Habe
auf ihren Karren mit sich führen, sich in langem Zuge langsam
vorwärts bewegen, ein Bild schwerfälliger Kraft, so treten uns unsre Vor¬
fahren vor nunmehr zweitausend Jahren, als sie das erstemal mit dem Nvmertum
zusammenstoßen, entgegen. Wenig greifbare Züge wissen uns die Quellen aus
dieser ältesten Periode der deutschen Geschichte zu berichten. Wir hören von
der heldenhaften Durchbrechung des römischen Grenzgürtels durch die Cimbern
und Teutonen, von dein Auszug snebischer Scharen unter Ariovist aus der
germanischen Heimat nach Gallien. Aber diese Einzeldaten geben uns keine
Anschauung von den ungeheuern Schiebungen und Stößen, durch die damals
der gesamte von Germanen bewohnte Boden erschüttert wurde. Kein Zweifel:
das Dasein der ältesten germanischen Völkerschaften verlief, wie das aller
Menschengruppen mit nomadischer Lebensführung, in der Form beständiger
Kollisionen und Konflikte mit den Nnchbarstämmen.

Bei der allgemeinen Unsicherheit und bei der Notwendigkeit, in Fällen rasch
aufziehender Gefahr rasch die Kräfte zusammenzuraffen und Entscheidungen zu
treffen, konnten die Völkerschaften einer dauernden persönlichen Oberleitung
nicht entbehren. So ergab sich den ältesten Germanen das nomadische Heer¬
königtum als die natürliche Verfassung. Ans erlesenen Geschlecht wurde der
Herrscher gekürt -- schon der Name "König," von Kuimi (Geschlecht) kommend,
bedeutet einen "Mann von vornehmer Abstammung." Den Germanen fehlte
noch die Gabe abstrakten Denkens; drum suchten sie sich durch symbolische
Handlungen den Sinn rechtlicher Vorgänge klar zu macheu. Ein so bedeutungs¬
voller Akt vollends, wie die Wahl eines Königs, mußte durch ein eindruckst


Grenzboten II 1901 7


Die Entwicklung der deutschen Monarchie
Hermann Borge von

n eine Menge von Völkerschaften zerspalten, die sich bekämpfen
oder sich in feindlicher Spannung gegenüberstelln und sich nur
in seltnen Fällen gemeinsamer Not auf kurze Zeit zusammen¬
schließen, die unstet umherschweifen, Weib, Kind und alle Habe
auf ihren Karren mit sich führen, sich in langem Zuge langsam
vorwärts bewegen, ein Bild schwerfälliger Kraft, so treten uns unsre Vor¬
fahren vor nunmehr zweitausend Jahren, als sie das erstemal mit dem Nvmertum
zusammenstoßen, entgegen. Wenig greifbare Züge wissen uns die Quellen aus
dieser ältesten Periode der deutschen Geschichte zu berichten. Wir hören von
der heldenhaften Durchbrechung des römischen Grenzgürtels durch die Cimbern
und Teutonen, von dein Auszug snebischer Scharen unter Ariovist aus der
germanischen Heimat nach Gallien. Aber diese Einzeldaten geben uns keine
Anschauung von den ungeheuern Schiebungen und Stößen, durch die damals
der gesamte von Germanen bewohnte Boden erschüttert wurde. Kein Zweifel:
das Dasein der ältesten germanischen Völkerschaften verlief, wie das aller
Menschengruppen mit nomadischer Lebensführung, in der Form beständiger
Kollisionen und Konflikte mit den Nnchbarstämmen.

Bei der allgemeinen Unsicherheit und bei der Notwendigkeit, in Fällen rasch
aufziehender Gefahr rasch die Kräfte zusammenzuraffen und Entscheidungen zu
treffen, konnten die Völkerschaften einer dauernden persönlichen Oberleitung
nicht entbehren. So ergab sich den ältesten Germanen das nomadische Heer¬
königtum als die natürliche Verfassung. Ans erlesenen Geschlecht wurde der
Herrscher gekürt — schon der Name „König," von Kuimi (Geschlecht) kommend,
bedeutet einen „Mann von vornehmer Abstammung." Den Germanen fehlte
noch die Gabe abstrakten Denkens; drum suchten sie sich durch symbolische
Handlungen den Sinn rechtlicher Vorgänge klar zu macheu. Ein so bedeutungs¬
voller Akt vollends, wie die Wahl eines Königs, mußte durch ein eindruckst


Grenzboten II 1901 7
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[0057] [Abbildung] Die Entwicklung der deutschen Monarchie Hermann Borge von n eine Menge von Völkerschaften zerspalten, die sich bekämpfen oder sich in feindlicher Spannung gegenüberstelln und sich nur in seltnen Fällen gemeinsamer Not auf kurze Zeit zusammen¬ schließen, die unstet umherschweifen, Weib, Kind und alle Habe auf ihren Karren mit sich führen, sich in langem Zuge langsam vorwärts bewegen, ein Bild schwerfälliger Kraft, so treten uns unsre Vor¬ fahren vor nunmehr zweitausend Jahren, als sie das erstemal mit dem Nvmertum zusammenstoßen, entgegen. Wenig greifbare Züge wissen uns die Quellen aus dieser ältesten Periode der deutschen Geschichte zu berichten. Wir hören von der heldenhaften Durchbrechung des römischen Grenzgürtels durch die Cimbern und Teutonen, von dein Auszug snebischer Scharen unter Ariovist aus der germanischen Heimat nach Gallien. Aber diese Einzeldaten geben uns keine Anschauung von den ungeheuern Schiebungen und Stößen, durch die damals der gesamte von Germanen bewohnte Boden erschüttert wurde. Kein Zweifel: das Dasein der ältesten germanischen Völkerschaften verlief, wie das aller Menschengruppen mit nomadischer Lebensführung, in der Form beständiger Kollisionen und Konflikte mit den Nnchbarstämmen. Bei der allgemeinen Unsicherheit und bei der Notwendigkeit, in Fällen rasch aufziehender Gefahr rasch die Kräfte zusammenzuraffen und Entscheidungen zu treffen, konnten die Völkerschaften einer dauernden persönlichen Oberleitung nicht entbehren. So ergab sich den ältesten Germanen das nomadische Heer¬ königtum als die natürliche Verfassung. Ans erlesenen Geschlecht wurde der Herrscher gekürt — schon der Name „König," von Kuimi (Geschlecht) kommend, bedeutet einen „Mann von vornehmer Abstammung." Den Germanen fehlte noch die Gabe abstrakten Denkens; drum suchten sie sich durch symbolische Handlungen den Sinn rechtlicher Vorgänge klar zu macheu. Ein so bedeutungs¬ voller Akt vollends, wie die Wahl eines Königs, mußte durch ein eindruckst Grenzboten II 1901 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/57>, abgerufen am 05.05.2024.