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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Zwischen Meeren und Rratern

und überhaupt mit dem Nutzen zusammenhängt, daß aber beide nicht identi
siziert werden dürfen, haben wir wiederholt gezeigt. Wenn Folkmar den Utili-
tarisnms aus dem Grunde für unhaltbar erklärt, daß der Schmerz und auch
der Krieg für die Erreichung des Weltzwecks notwendig seien, so verwechselt er
den Militarismus mit dem Eudämonismus, wie er Seite 165 Wahrnehmungen
oder Empfindungen mit Vorstellungen verwechselt, indem er sagt, Herbart lasse
das Wollen ans einem Kampfe sntrs Iss ssntimsnts hervorgehn (statt von-
ooMns). Übrigens ist er so ehrlich, wie Hartmnnn zu gesteh", daß in der
teleologischen Moral selbstverständlich der Grundsatz gelte: Der Zweck heiligt
das Mittel, und hie und da hat er einen ganz hübschen Einfall. So zeigt er
auf Seite 304, daß die allgemeine Anerkennung des Determinismus an dein
Laufe der Strafjustiz nichts zu untern brauche. Sage der Angeklagte: Ich bin
ein geborner Verbrecher, oder: Ich bin durchs Milieu gezwungen worden, das
Verbrechen zu begehn, kann also nichts dafür, so könne ihm der Richter ant¬
worten: Das ist ein Unglück für dich, denn wie dn zum Verbreche" prädestiniert
und gezwungen bist, so ist die Gesellschaft prädestiniert und gezwungen, dich
durch mich dafür zu strafe". Übrigens ist der Einfall "icht ganz ne". Vom
Stoiker Zenon wird erzählt, als er einmal einen Sklaven wegen eines Dieb¬
stahls habe züchtige" wolle", habe der Missethäter gesagt: Es war mir vom
Schicksal bestimmt, zu stehlen; Ze"o aber habe erwidert: Und so ist es dir auch
bestimmt, dafür schlüge zu bekommen.

(Schluß folgt)




Zwischen Meeren und Kratern
G. von Graevenitz von

er Zug rasselt aus der dunkeln, schmutzigen und rauchersüllten
Bahnhofshalle von Neapel ins Freie, in die entzückende Garten-
lcmdschnft, die sich südlich von Neapel in unabsehbarer Ausdehnung
ausbreitet. Baumpflanzungen und Weingelände, Blumen- und
-- Gemüsefelder, Ortschaften und Gehöfte, flachgedeckte Villen und
uuttelalterliche Türme, die an Seeräuber- und Sarazenenangriffe erinnernde"
"Obelisken der italienischen Westküste," das alles fliegt in raschem Wechsel an
uns vorbei. Aber das eigentlich Charakteristische der Landschaft liegt noch in
etwas anderen als diesen Augenblicksbildern, mögen sie auch durchweg einen
eMen südlichen Anstrich haben: es liegt in ihrer Einfassung mit dem weiß-
blauen Doppelstreifen des Meeresstrandes und in ihrer Krönung durch den
Vesuv und seine Pinienrauchwolke, die sich stetig neu bildet und daran erinnert,
daß all diese Schönheit auf einem Boden erwächst, dem von oben und unten


Zwischen Meeren und Rratern

und überhaupt mit dem Nutzen zusammenhängt, daß aber beide nicht identi
siziert werden dürfen, haben wir wiederholt gezeigt. Wenn Folkmar den Utili-
tarisnms aus dem Grunde für unhaltbar erklärt, daß der Schmerz und auch
der Krieg für die Erreichung des Weltzwecks notwendig seien, so verwechselt er
den Militarismus mit dem Eudämonismus, wie er Seite 165 Wahrnehmungen
oder Empfindungen mit Vorstellungen verwechselt, indem er sagt, Herbart lasse
das Wollen ans einem Kampfe sntrs Iss ssntimsnts hervorgehn (statt von-
ooMns). Übrigens ist er so ehrlich, wie Hartmnnn zu gesteh», daß in der
teleologischen Moral selbstverständlich der Grundsatz gelte: Der Zweck heiligt
das Mittel, und hie und da hat er einen ganz hübschen Einfall. So zeigt er
auf Seite 304, daß die allgemeine Anerkennung des Determinismus an dein
Laufe der Strafjustiz nichts zu untern brauche. Sage der Angeklagte: Ich bin
ein geborner Verbrecher, oder: Ich bin durchs Milieu gezwungen worden, das
Verbrechen zu begehn, kann also nichts dafür, so könne ihm der Richter ant¬
worten: Das ist ein Unglück für dich, denn wie dn zum Verbreche» prädestiniert
und gezwungen bist, so ist die Gesellschaft prädestiniert und gezwungen, dich
durch mich dafür zu strafe». Übrigens ist der Einfall »icht ganz ne». Vom
Stoiker Zenon wird erzählt, als er einmal einen Sklaven wegen eines Dieb¬
stahls habe züchtige» wolle», habe der Missethäter gesagt: Es war mir vom
Schicksal bestimmt, zu stehlen; Ze»o aber habe erwidert: Und so ist es dir auch
bestimmt, dafür schlüge zu bekommen.

(Schluß folgt)




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er Zug rasselt aus der dunkeln, schmutzigen und rauchersüllten
Bahnhofshalle von Neapel ins Freie, in die entzückende Garten-
lcmdschnft, die sich südlich von Neapel in unabsehbarer Ausdehnung
ausbreitet. Baumpflanzungen und Weingelände, Blumen- und
— Gemüsefelder, Ortschaften und Gehöfte, flachgedeckte Villen und
uuttelalterliche Türme, die an Seeräuber- und Sarazenenangriffe erinnernde»
"Obelisken der italienischen Westküste," das alles fliegt in raschem Wechsel an
uns vorbei. Aber das eigentlich Charakteristische der Landschaft liegt noch in
etwas anderen als diesen Augenblicksbildern, mögen sie auch durchweg einen
eMen südlichen Anstrich haben: es liegt in ihrer Einfassung mit dem weiß-
blauen Doppelstreifen des Meeresstrandes und in ihrer Krönung durch den
Vesuv und seine Pinienrauchwolke, die sich stetig neu bildet und daran erinnert,
daß all diese Schönheit auf einem Boden erwächst, dem von oben und unten


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[0035] Zwischen Meeren und Rratern und überhaupt mit dem Nutzen zusammenhängt, daß aber beide nicht identi siziert werden dürfen, haben wir wiederholt gezeigt. Wenn Folkmar den Utili- tarisnms aus dem Grunde für unhaltbar erklärt, daß der Schmerz und auch der Krieg für die Erreichung des Weltzwecks notwendig seien, so verwechselt er den Militarismus mit dem Eudämonismus, wie er Seite 165 Wahrnehmungen oder Empfindungen mit Vorstellungen verwechselt, indem er sagt, Herbart lasse das Wollen ans einem Kampfe sntrs Iss ssntimsnts hervorgehn (statt von- ooMns). Übrigens ist er so ehrlich, wie Hartmnnn zu gesteh», daß in der teleologischen Moral selbstverständlich der Grundsatz gelte: Der Zweck heiligt das Mittel, und hie und da hat er einen ganz hübschen Einfall. So zeigt er auf Seite 304, daß die allgemeine Anerkennung des Determinismus an dein Laufe der Strafjustiz nichts zu untern brauche. Sage der Angeklagte: Ich bin ein geborner Verbrecher, oder: Ich bin durchs Milieu gezwungen worden, das Verbrechen zu begehn, kann also nichts dafür, so könne ihm der Richter ant¬ worten: Das ist ein Unglück für dich, denn wie dn zum Verbreche» prädestiniert und gezwungen bist, so ist die Gesellschaft prädestiniert und gezwungen, dich durch mich dafür zu strafe». Übrigens ist der Einfall »icht ganz ne». Vom Stoiker Zenon wird erzählt, als er einmal einen Sklaven wegen eines Dieb¬ stahls habe züchtige» wolle», habe der Missethäter gesagt: Es war mir vom Schicksal bestimmt, zu stehlen; Ze»o aber habe erwidert: Und so ist es dir auch bestimmt, dafür schlüge zu bekommen. (Schluß folgt) Zwischen Meeren und Kratern G. von Graevenitz von er Zug rasselt aus der dunkeln, schmutzigen und rauchersüllten Bahnhofshalle von Neapel ins Freie, in die entzückende Garten- lcmdschnft, die sich südlich von Neapel in unabsehbarer Ausdehnung ausbreitet. Baumpflanzungen und Weingelände, Blumen- und — Gemüsefelder, Ortschaften und Gehöfte, flachgedeckte Villen und uuttelalterliche Türme, die an Seeräuber- und Sarazenenangriffe erinnernde» "Obelisken der italienischen Westküste," das alles fliegt in raschem Wechsel an uns vorbei. Aber das eigentlich Charakteristische der Landschaft liegt noch in etwas anderen als diesen Augenblicksbildern, mögen sie auch durchweg einen eMen südlichen Anstrich haben: es liegt in ihrer Einfassung mit dem weiß- blauen Doppelstreifen des Meeresstrandes und in ihrer Krönung durch den Vesuv und seine Pinienrauchwolke, die sich stetig neu bildet und daran erinnert, daß all diese Schönheit auf einem Boden erwächst, dem von oben und unten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/35>, abgerufen am 27.04.2024.