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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

nommer zeugte der Vorbeimarsch von einer Unordnung und Schlappheit der
Mannschaften, daß er nur auf Kinder einen Eindruck machen konnte, Wenn
dieser anderthalbstündige Parademarsch den Einwohnern Pretorias einen Be¬
griff von der militärischen Stärke Englands geben sollte, dann war der Zweck
entschieden verfehlt, denn die ganze Parade war nichts andres als eine
Posse.

Von dem Regierungsgebäude wehte nun der Union Jack -- Pretoria
war englisch. Der Schreiber dieser Zeilen hörte während der Festlichkeiten
die Unterhaltung zweier englischer Offiziere, Der eine von ihnen bemerkte
jedenfalls in richtiger Erkenntnis der Dinge: "Zum viertenmale bisher wir
an dieser Stelle unsre Flagge, ob sie Wohl da oben bleiben wird?"




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nochmals die albanesische Frage. Noch ehe unser Artikel "Italien und
die albanesische Frage" in Ur. 33 erschien, war die italienische Regierung in, Sinne
derer vorgegangen, die einen kräftigern Schutz der italienischen Interessen an der
Ostküste der Adria fordern. Gestützt auf eine Flottendemvnstration vor Durazzo,
wo um 10. Juli drei italienische Kriegsschiffe vor Anker gingen, hat sie nicht nur
Genugthuung für die Schädigung eines italienischen Unternehmers, sondern auch die
Erlaubnis zur Errichtung italienischer Postämter in Skutari, Durnzzo, Valona,
Prevesa und Janina erlangt, wie denn mich schon ein italienischer Dampfer erschienen
ist, um die italienische Post von San Giovanni ti Metra nach Skutari zu be¬
fördern. Zugleich will die apulische Schiffahrtsgesellschaft (LoeistÄ all imviZÄüiouö
t'ug'Im) eine regelmäßige Verbindung mit jenem Hafen einrichten, und italienische
Exportfirmen suchen Geschäftsverbindungen mit Albanien anzuknüpfen. Unsers Tr¬
achtens sind das durchaus berechtigte Bestrebungen, die vielleicht den österreichischen
Geschäftsleuten unbequem werden, aber der österreichischen Regierung doch keine
politischen Besorgnisse erwecken können. Denn gegen deren Interesse wäre es doch
nur, wenn sich Italien militärisch in Albanien festsetzte, so gut wie es Italien
nicht dulden konnte, daß Österreich das thäte. Es erscheint uns deshalb nicht un¬
bedenklich, daß die österreichische Presse in der ganzen Frage vielfach eine so un-
freundliche Haltung gegenüber Italien einnimmt. In Italien empfindet man das
schwer und meint, man scheine jenseits der Alpen ganz zu vergessen, daß Italien eine
Mittelmeermacht sei, und daß es genau dasselbe Recht habe, seinen Einfluß auf
friedlichem Wege auszudehnen wie Dentschland und Österreich. Jedenfalls sollte man
die Schwierigkeiten, die der Erneuerung des Dreibundes ohnehin entgegenstehn, nicht
durch eine derartige Behandlung der italienischen Maßregeln zur Forderung be¬
rechtigter Interessen noch vermehren. Zum Glück ist die Haltung der beiden Re¬
gierungen durchaus korrekt; sie stimmen darin überein, daß der politische Status aus
in Albanien so lange wie möglich erhalten bleiben müsse. Aber wer kann ans der
ewig gärenden Balkanhalbinsel irgend welche Bürgschaft für die Zukunft über¬
nehmen ?




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Ncrlag von Fr, Will), Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

nommer zeugte der Vorbeimarsch von einer Unordnung und Schlappheit der
Mannschaften, daß er nur auf Kinder einen Eindruck machen konnte, Wenn
dieser anderthalbstündige Parademarsch den Einwohnern Pretorias einen Be¬
griff von der militärischen Stärke Englands geben sollte, dann war der Zweck
entschieden verfehlt, denn die ganze Parade war nichts andres als eine
Posse.

Von dem Regierungsgebäude wehte nun der Union Jack — Pretoria
war englisch. Der Schreiber dieser Zeilen hörte während der Festlichkeiten
die Unterhaltung zweier englischer Offiziere, Der eine von ihnen bemerkte
jedenfalls in richtiger Erkenntnis der Dinge: „Zum viertenmale bisher wir
an dieser Stelle unsre Flagge, ob sie Wohl da oben bleiben wird?"




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nochmals die albanesische Frage. Noch ehe unser Artikel „Italien und
die albanesische Frage" in Ur. 33 erschien, war die italienische Regierung in, Sinne
derer vorgegangen, die einen kräftigern Schutz der italienischen Interessen an der
Ostküste der Adria fordern. Gestützt auf eine Flottendemvnstration vor Durazzo,
wo um 10. Juli drei italienische Kriegsschiffe vor Anker gingen, hat sie nicht nur
Genugthuung für die Schädigung eines italienischen Unternehmers, sondern auch die
Erlaubnis zur Errichtung italienischer Postämter in Skutari, Durnzzo, Valona,
Prevesa und Janina erlangt, wie denn mich schon ein italienischer Dampfer erschienen
ist, um die italienische Post von San Giovanni ti Metra nach Skutari zu be¬
fördern. Zugleich will die apulische Schiffahrtsgesellschaft (LoeistÄ all imviZÄüiouö
t'ug'Im) eine regelmäßige Verbindung mit jenem Hafen einrichten, und italienische
Exportfirmen suchen Geschäftsverbindungen mit Albanien anzuknüpfen. Unsers Tr¬
achtens sind das durchaus berechtigte Bestrebungen, die vielleicht den österreichischen
Geschäftsleuten unbequem werden, aber der österreichischen Regierung doch keine
politischen Besorgnisse erwecken können. Denn gegen deren Interesse wäre es doch
nur, wenn sich Italien militärisch in Albanien festsetzte, so gut wie es Italien
nicht dulden konnte, daß Österreich das thäte. Es erscheint uns deshalb nicht un¬
bedenklich, daß die österreichische Presse in der ganzen Frage vielfach eine so un-
freundliche Haltung gegenüber Italien einnimmt. In Italien empfindet man das
schwer und meint, man scheine jenseits der Alpen ganz zu vergessen, daß Italien eine
Mittelmeermacht sei, und daß es genau dasselbe Recht habe, seinen Einfluß auf
friedlichem Wege auszudehnen wie Dentschland und Österreich. Jedenfalls sollte man
die Schwierigkeiten, die der Erneuerung des Dreibundes ohnehin entgegenstehn, nicht
durch eine derartige Behandlung der italienischen Maßregeln zur Forderung be¬
rechtigter Interessen noch vermehren. Zum Glück ist die Haltung der beiden Re¬
gierungen durchaus korrekt; sie stimmen darin überein, daß der politische Status aus
in Albanien so lange wie möglich erhalten bleiben müsse. Aber wer kann ans der
ewig gärenden Balkanhalbinsel irgend welche Bürgschaft für die Zukunft über¬
nehmen ?




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Ncrlag von Fr, Will), Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/440>, abgerufen am 27.04.2024.