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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

stilisiert sein. Mir die Ornamentik und Heraldik haben solche Wiedergaben ihren
Wert, wer aber symbolisierte und stilisierte Menschen und Landschaften malt,
der zeigt, daß er das Wesen der Kunst nicht begriffen hat; man will natu¬
ralistisch malen und malt uun statt des Schonen das Häßliche, ohne zu be¬
denken, daß das Schöne ebenso naturalistisch ist wie das Häßliche. Diese
Schweincidyllen, diese Bilder mit violetten Kiihen, roten Bäumen und grünen
Wolken rühren von einer prätentiösen Talentlosigkeit her, die daS Schone nicht
malen kann. Das einzig passende an dieser Richtung ist der Name Sezession;
aus dem herrlichen Reich der schonen Künste ist sie fortgezogen. Nicht minder
verderblich hat die Mode die Dramatik und die Lyrik beeinflußt. Da haben wir
Dramen, die bis in den Himmel gelobt werden, und in denen wir eine Ober¬
flächlichkeit der Charakteristik finden, die erstaunlich ist. Die Motivierung fehlt,
ihrer Art nach sind die Charaktere widerlich, es sind geistlose, unbedeutende,
gewissenlose Menschen; die Handlung ist ohne Interesse, überall herrscht pro¬
saische Nüchternheit, und die Dichter solcher Dramen werden mit Preisen ge¬
krönt. Andersens Märchen "Des Kaisers neue Kleider" darf wohl als bekannt
vorausgesetzt werden, und an das erlösende Wort darin- "Aber der Kaiser
hat ja gar nichts an" wurde man erinnert durch eine vor kurzem erschienene
Schrift: "Die Insel der Blödsinnigen. Die Tollheiten der Moderne in Wort
und Bild," die endlich die Leistungen der modernen Kunst und Litteratur mit
dem rechten Namen bezeichnet.

Auch einzelne Menschen können Mode werden. Wenn jemand ein Schiff
bauen will, wird er sich nicht an einen Handschuhmacher, und wenn jemand
einen Garten anlegen Null, wird er sich nicht an einen Tischler wenden; zahl¬
lose Kranke aber, und darunter solche der gebildetsten Stände, tuenden sich
nicht all einen studierten Arzt, sondern an einen Schuster, einen katholischen
Pfarrer und einen Schäfer -- ich meine den verstorbnen Schuster Lampe in
Goslar, den Pfarrer Kneipp und den Schäfer Ast. Diese sind Mode geworden.
Alle diese teils lächerlichen, teils häßlichen, teils entsetzlichen Verirrungen sind
Folge der Mode, die sich die urteilslose Menge in wachem Zustande sugge¬
rieren läßt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Philosophie und die exakten Wissenschaften.

Man läßt es nicht
gern gelten, wenn sich jemand der reinen Philosophie widmen will. Bei vielen
philosophischen Fakultäten erlaubt man dein Studenten nur mit einigem Widerstreben,
Philosophie allein als sei" Fach anzugeben. Philosophie betrachtet man lieber als
den Allgemeinbegriff, dem sich die einzelnen Disziplinen der Fakultät unterordnen,
und der Student soll sich für eine oder einige dieser Disziplinen entscheiden. Daß
er sie alle in gleicher Weise betreiben könnte, hält man mit Recht für unmöglich.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

stilisiert sein. Mir die Ornamentik und Heraldik haben solche Wiedergaben ihren
Wert, wer aber symbolisierte und stilisierte Menschen und Landschaften malt,
der zeigt, daß er das Wesen der Kunst nicht begriffen hat; man will natu¬
ralistisch malen und malt uun statt des Schonen das Häßliche, ohne zu be¬
denken, daß das Schöne ebenso naturalistisch ist wie das Häßliche. Diese
Schweincidyllen, diese Bilder mit violetten Kiihen, roten Bäumen und grünen
Wolken rühren von einer prätentiösen Talentlosigkeit her, die daS Schone nicht
malen kann. Das einzig passende an dieser Richtung ist der Name Sezession;
aus dem herrlichen Reich der schonen Künste ist sie fortgezogen. Nicht minder
verderblich hat die Mode die Dramatik und die Lyrik beeinflußt. Da haben wir
Dramen, die bis in den Himmel gelobt werden, und in denen wir eine Ober¬
flächlichkeit der Charakteristik finden, die erstaunlich ist. Die Motivierung fehlt,
ihrer Art nach sind die Charaktere widerlich, es sind geistlose, unbedeutende,
gewissenlose Menschen; die Handlung ist ohne Interesse, überall herrscht pro¬
saische Nüchternheit, und die Dichter solcher Dramen werden mit Preisen ge¬
krönt. Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider" darf wohl als bekannt
vorausgesetzt werden, und an das erlösende Wort darin- „Aber der Kaiser
hat ja gar nichts an" wurde man erinnert durch eine vor kurzem erschienene
Schrift: „Die Insel der Blödsinnigen. Die Tollheiten der Moderne in Wort
und Bild," die endlich die Leistungen der modernen Kunst und Litteratur mit
dem rechten Namen bezeichnet.

Auch einzelne Menschen können Mode werden. Wenn jemand ein Schiff
bauen will, wird er sich nicht an einen Handschuhmacher, und wenn jemand
einen Garten anlegen Null, wird er sich nicht an einen Tischler wenden; zahl¬
lose Kranke aber, und darunter solche der gebildetsten Stände, tuenden sich
nicht all einen studierten Arzt, sondern an einen Schuster, einen katholischen
Pfarrer und einen Schäfer — ich meine den verstorbnen Schuster Lampe in
Goslar, den Pfarrer Kneipp und den Schäfer Ast. Diese sind Mode geworden.
Alle diese teils lächerlichen, teils häßlichen, teils entsetzlichen Verirrungen sind
Folge der Mode, die sich die urteilslose Menge in wachem Zustande sugge¬
rieren läßt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Philosophie und die exakten Wissenschaften.

Man läßt es nicht
gern gelten, wenn sich jemand der reinen Philosophie widmen will. Bei vielen
philosophischen Fakultäten erlaubt man dein Studenten nur mit einigem Widerstreben,
Philosophie allein als sei» Fach anzugeben. Philosophie betrachtet man lieber als
den Allgemeinbegriff, dem sich die einzelnen Disziplinen der Fakultät unterordnen,
und der Student soll sich für eine oder einige dieser Disziplinen entscheiden. Daß
er sie alle in gleicher Weise betreiben könnte, hält man mit Recht für unmöglich.


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[0483] Maßgebliches und Unmaßgebliches stilisiert sein. Mir die Ornamentik und Heraldik haben solche Wiedergaben ihren Wert, wer aber symbolisierte und stilisierte Menschen und Landschaften malt, der zeigt, daß er das Wesen der Kunst nicht begriffen hat; man will natu¬ ralistisch malen und malt uun statt des Schonen das Häßliche, ohne zu be¬ denken, daß das Schöne ebenso naturalistisch ist wie das Häßliche. Diese Schweincidyllen, diese Bilder mit violetten Kiihen, roten Bäumen und grünen Wolken rühren von einer prätentiösen Talentlosigkeit her, die daS Schone nicht malen kann. Das einzig passende an dieser Richtung ist der Name Sezession; aus dem herrlichen Reich der schonen Künste ist sie fortgezogen. Nicht minder verderblich hat die Mode die Dramatik und die Lyrik beeinflußt. Da haben wir Dramen, die bis in den Himmel gelobt werden, und in denen wir eine Ober¬ flächlichkeit der Charakteristik finden, die erstaunlich ist. Die Motivierung fehlt, ihrer Art nach sind die Charaktere widerlich, es sind geistlose, unbedeutende, gewissenlose Menschen; die Handlung ist ohne Interesse, überall herrscht pro¬ saische Nüchternheit, und die Dichter solcher Dramen werden mit Preisen ge¬ krönt. Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider" darf wohl als bekannt vorausgesetzt werden, und an das erlösende Wort darin- „Aber der Kaiser hat ja gar nichts an" wurde man erinnert durch eine vor kurzem erschienene Schrift: „Die Insel der Blödsinnigen. Die Tollheiten der Moderne in Wort und Bild," die endlich die Leistungen der modernen Kunst und Litteratur mit dem rechten Namen bezeichnet. Auch einzelne Menschen können Mode werden. Wenn jemand ein Schiff bauen will, wird er sich nicht an einen Handschuhmacher, und wenn jemand einen Garten anlegen Null, wird er sich nicht an einen Tischler wenden; zahl¬ lose Kranke aber, und darunter solche der gebildetsten Stände, tuenden sich nicht all einen studierten Arzt, sondern an einen Schuster, einen katholischen Pfarrer und einen Schäfer — ich meine den verstorbnen Schuster Lampe in Goslar, den Pfarrer Kneipp und den Schäfer Ast. Diese sind Mode geworden. Alle diese teils lächerlichen, teils häßlichen, teils entsetzlichen Verirrungen sind Folge der Mode, die sich die urteilslose Menge in wachem Zustande sugge¬ rieren läßt. Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Philosophie und die exakten Wissenschaften. Man läßt es nicht gern gelten, wenn sich jemand der reinen Philosophie widmen will. Bei vielen philosophischen Fakultäten erlaubt man dein Studenten nur mit einigem Widerstreben, Philosophie allein als sei» Fach anzugeben. Philosophie betrachtet man lieber als den Allgemeinbegriff, dem sich die einzelnen Disziplinen der Fakultät unterordnen, und der Student soll sich für eine oder einige dieser Disziplinen entscheiden. Daß er sie alle in gleicher Weise betreiben könnte, hält man mit Recht für unmöglich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/483>, abgerufen am 27.04.2024.