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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Unstern

Vielseitigkeit kommt ihm kein holländischer Genremaler gleich. Eine junge
Dame am Klavier, über das sich der Musiklehrer gelehnt hat (National
Gallert), ehemals 1671 datiert), hat den feinen Typus eines van der Meer,
z. B. des lesenden Mädchens (in Dresden). Ein Bettraum mit einer jungen
Frau, die sich einen Strumpf anzieht, von einer Architektur mit Marmorflicsen
eingerahmt (Buckingham Palace, 1661), leuchtet wie ein Pieter de Hooch. Er
kann auch zart und weich werden. Was mag den Anlaß gegeben haben zu
der "Menagerie" im Haag von 1660? Eine weißgekleidete Unschuld sitzt auf
ihrem Geflügelhof und tränkt ihre Lämmlein, während der Haushofmeister und
el" häßlicher kleiner Gnon mit Wohlgefallen der Herrin zusehen. Und wie
ist das Geflügel gemalt und der Durchblick ans das Schloß, ein jetzt nicht
mehr vorhandnes Bauwerk! Fürwahr, Jan Steen konnte viel -- wenn nur
sein Leben ihn ein wenig anders geführt hätte.




Unstern
Aus den Erzählungen eines alten Advokaten
Lduard Dnpre von(Schluß)

rst Montag mittags sah ich die Freunde wieder, als ich mich mit
gewöhnlicher Verspätung zur gemeinsamen Tafel im Hotel Berner
einfand. Kollege Schiefrich, dem ich gegenübersaß, fiel mir auf durch
seine feierliche Miene, und dadurch kam mir auf einmal auch sein
Anliegen in den Sinn, womit er mich in der verhängnisvollen Sitzung
so unzeitgemäß zu stören versucht hatte. -- Verzeihen Sie, Herr
Kollege, daß ich vorgestern mit Ihnen so kurz war. Sie werden jn verstehn. Was
war es denn?

Schiefrich sah sich ängstlich um.

Ach, seine neuste Unthat! sagte der Friedensrichter; wir sprechen besser hier
nicht davon. Nachher!

Als wir nach Tisch den üblichen Spaziergang machten, hörte ich, was noch
geschehn war. Schiefrich hatte seiner heimlichen Flamme Ceeile Berner zu Ehren
die Gewohnheit angenommen, zuweilen auch sein Abendessen im Hotel einzunehmen,
wo sonst niemand von uns erschien. Der alte Berner unterhielt sich dn zwangloser
mit den wenigen Gästen, und nachher erschienen wohl auch ein paar alte Herren,
um eine feinere Flasche französischen Rotweins zu trinken. Die waren duldsamer
als die jüngere Generntion; Schiefrich hatte Bekanntschaft gemacht, er sprach ordentlich
französisch und war mit seiner naiven schmiegsamen Art, die so ganz entfernt war
von der gefürchteten preußischen Schneidtgkcit, wohl gelitten. Am Tage vor der
Verhandlung gegen den Postdirektor hatte er gerade wieder einen solchen "zahmen


Unstern

Vielseitigkeit kommt ihm kein holländischer Genremaler gleich. Eine junge
Dame am Klavier, über das sich der Musiklehrer gelehnt hat (National
Gallert), ehemals 1671 datiert), hat den feinen Typus eines van der Meer,
z. B. des lesenden Mädchens (in Dresden). Ein Bettraum mit einer jungen
Frau, die sich einen Strumpf anzieht, von einer Architektur mit Marmorflicsen
eingerahmt (Buckingham Palace, 1661), leuchtet wie ein Pieter de Hooch. Er
kann auch zart und weich werden. Was mag den Anlaß gegeben haben zu
der „Menagerie" im Haag von 1660? Eine weißgekleidete Unschuld sitzt auf
ihrem Geflügelhof und tränkt ihre Lämmlein, während der Haushofmeister und
el» häßlicher kleiner Gnon mit Wohlgefallen der Herrin zusehen. Und wie
ist das Geflügel gemalt und der Durchblick ans das Schloß, ein jetzt nicht
mehr vorhandnes Bauwerk! Fürwahr, Jan Steen konnte viel — wenn nur
sein Leben ihn ein wenig anders geführt hätte.




Unstern
Aus den Erzählungen eines alten Advokaten
Lduard Dnpre von(Schluß)

rst Montag mittags sah ich die Freunde wieder, als ich mich mit
gewöhnlicher Verspätung zur gemeinsamen Tafel im Hotel Berner
einfand. Kollege Schiefrich, dem ich gegenübersaß, fiel mir auf durch
seine feierliche Miene, und dadurch kam mir auf einmal auch sein
Anliegen in den Sinn, womit er mich in der verhängnisvollen Sitzung
so unzeitgemäß zu stören versucht hatte. — Verzeihen Sie, Herr
Kollege, daß ich vorgestern mit Ihnen so kurz war. Sie werden jn verstehn. Was
war es denn?

Schiefrich sah sich ängstlich um.

Ach, seine neuste Unthat! sagte der Friedensrichter; wir sprechen besser hier
nicht davon. Nachher!

Als wir nach Tisch den üblichen Spaziergang machten, hörte ich, was noch
geschehn war. Schiefrich hatte seiner heimlichen Flamme Ceeile Berner zu Ehren
die Gewohnheit angenommen, zuweilen auch sein Abendessen im Hotel einzunehmen,
wo sonst niemand von uns erschien. Der alte Berner unterhielt sich dn zwangloser
mit den wenigen Gästen, und nachher erschienen wohl auch ein paar alte Herren,
um eine feinere Flasche französischen Rotweins zu trinken. Die waren duldsamer
als die jüngere Generntion; Schiefrich hatte Bekanntschaft gemacht, er sprach ordentlich
französisch und war mit seiner naiven schmiegsamen Art, die so ganz entfernt war
von der gefürchteten preußischen Schneidtgkcit, wohl gelitten. Am Tage vor der
Verhandlung gegen den Postdirektor hatte er gerade wieder einen solchen „zahmen


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[0636] Unstern Vielseitigkeit kommt ihm kein holländischer Genremaler gleich. Eine junge Dame am Klavier, über das sich der Musiklehrer gelehnt hat (National Gallert), ehemals 1671 datiert), hat den feinen Typus eines van der Meer, z. B. des lesenden Mädchens (in Dresden). Ein Bettraum mit einer jungen Frau, die sich einen Strumpf anzieht, von einer Architektur mit Marmorflicsen eingerahmt (Buckingham Palace, 1661), leuchtet wie ein Pieter de Hooch. Er kann auch zart und weich werden. Was mag den Anlaß gegeben haben zu der „Menagerie" im Haag von 1660? Eine weißgekleidete Unschuld sitzt auf ihrem Geflügelhof und tränkt ihre Lämmlein, während der Haushofmeister und el» häßlicher kleiner Gnon mit Wohlgefallen der Herrin zusehen. Und wie ist das Geflügel gemalt und der Durchblick ans das Schloß, ein jetzt nicht mehr vorhandnes Bauwerk! Fürwahr, Jan Steen konnte viel — wenn nur sein Leben ihn ein wenig anders geführt hätte. Unstern Aus den Erzählungen eines alten Advokaten Lduard Dnpre von(Schluß) rst Montag mittags sah ich die Freunde wieder, als ich mich mit gewöhnlicher Verspätung zur gemeinsamen Tafel im Hotel Berner einfand. Kollege Schiefrich, dem ich gegenübersaß, fiel mir auf durch seine feierliche Miene, und dadurch kam mir auf einmal auch sein Anliegen in den Sinn, womit er mich in der verhängnisvollen Sitzung so unzeitgemäß zu stören versucht hatte. — Verzeihen Sie, Herr Kollege, daß ich vorgestern mit Ihnen so kurz war. Sie werden jn verstehn. Was war es denn? Schiefrich sah sich ängstlich um. Ach, seine neuste Unthat! sagte der Friedensrichter; wir sprechen besser hier nicht davon. Nachher! Als wir nach Tisch den üblichen Spaziergang machten, hörte ich, was noch geschehn war. Schiefrich hatte seiner heimlichen Flamme Ceeile Berner zu Ehren die Gewohnheit angenommen, zuweilen auch sein Abendessen im Hotel einzunehmen, wo sonst niemand von uns erschien. Der alte Berner unterhielt sich dn zwangloser mit den wenigen Gästen, und nachher erschienen wohl auch ein paar alte Herren, um eine feinere Flasche französischen Rotweins zu trinken. Die waren duldsamer als die jüngere Generntion; Schiefrich hatte Bekanntschaft gemacht, er sprach ordentlich französisch und war mit seiner naiven schmiegsamen Art, die so ganz entfernt war von der gefürchteten preußischen Schneidtgkcit, wohl gelitten. Am Tage vor der Verhandlung gegen den Postdirektor hatte er gerade wieder einen solchen „zahmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/636>, abgerufen am 27.04.2024.