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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Baedeker

in 3. November 1801 wurde zu Essen Karl Baedeker geboren,
der Begründer der Reisehandbücher, die seinen Namen in die
ganze Welt getragen und zu einer Gattungsbezeichnung für zu¬
verlässige Reiseführer erhoben haben. Kein Werk deutschen Ur¬
sprungs hat im letzten Halbjahrhundert eine solche Verbreitung
im Ausland gefunden wie die "Baedeker." Diese Bücher haben allbekannte
äußere Vorzüge, aber ihre Erfolge danken sie hauptsächlich innern, nämlich
ihrer Zuverlässigkeit und methodischen Durch- und Fortbildung. Darum dürfen
wir alle darauf stolz sein, wenn Engländer und Franzosen ihre eignen Länder
mit dem roten Buche in der Hand bereisen. Es ist ein Triumph guter
deutscher Eigenschaften, errungen im scharfen Wettbewerb mit fremden Leistungen
auf einem vollkommen neutralen Boden. Zugleich bezeichnen diese Bücher
einen Abschnitt in der Entwicklung der Reiselitteratur im weitesten Sinn, die
auf ein hohes Alter zurücksieht. Wer da glaubte, das Reisehandbuch sei eine
Eigentümlichkeit unsrer reiselustige" Zeit, wäre im Irrtum. Reisenden zu
raten, wie sie gehn, wo sie nächtigen, wie sie sich in fremden Ländern zu Ver¬
halten haben, ist eine alte Pflicht. So gut wie das Altertum seine gezeich-
neten Wegkarten hatte, verfügte es auch über geschriebne Wegbeschreibungen
und Reisecmweisungen. Ein großer Teil der Reisebeschreibungen hatte den
doppelten Zweck, die Daheimgeblielmen zu unterhalten, zu belehren, vielleicht
auch zu erbanen nud den Nachreisenden den Weg zu weisen. Besonders gilt
das von den Pilgerreisen nach dein heiligen Lande, deren Zahl vom spätern
Mittelalter an wuchs, schon im fünfzehnten Jahrhundert groß war und mit
der Erfindung der Buchdruckerkunst, wie die ganze Litteratur der Reisebeschrei-
bungen, gewaltig anschwoll. Vielfach leitete ihre Verfasser ein eingeftandnes
religiöses Pflichtgefühl: sie wollten den Pilgern, die nach ihnen die schweren
Wege nach Jerusalem und an den Sinai einschlugen, ihr frommes Vornehmen
erleichtern. Daher nicht bloß genaue Wegangaben, sondern auch Verzeichnisse
von Preisen und Warnungen vor Gefahren und Übervorteilungen. Das sech¬
zehnte Jahrhundert hat aber auf seinen reichen und mannigfaltig ausgestatteten
Büchermärkten auch schon allgemeine Reiseanweisungen und Anleitungen zum
Reisen in einzelnen Teilen des Abendlandes erscheinen sehen. Die Menschen,
die sich von der geistigen Gebundenheit des Mittelalters befreit fühlten, regten
sich auch körperlich und räumlich ganz anders. Ganze Stände waren auf




Baedeker

in 3. November 1801 wurde zu Essen Karl Baedeker geboren,
der Begründer der Reisehandbücher, die seinen Namen in die
ganze Welt getragen und zu einer Gattungsbezeichnung für zu¬
verlässige Reiseführer erhoben haben. Kein Werk deutschen Ur¬
sprungs hat im letzten Halbjahrhundert eine solche Verbreitung
im Ausland gefunden wie die „Baedeker." Diese Bücher haben allbekannte
äußere Vorzüge, aber ihre Erfolge danken sie hauptsächlich innern, nämlich
ihrer Zuverlässigkeit und methodischen Durch- und Fortbildung. Darum dürfen
wir alle darauf stolz sein, wenn Engländer und Franzosen ihre eignen Länder
mit dem roten Buche in der Hand bereisen. Es ist ein Triumph guter
deutscher Eigenschaften, errungen im scharfen Wettbewerb mit fremden Leistungen
auf einem vollkommen neutralen Boden. Zugleich bezeichnen diese Bücher
einen Abschnitt in der Entwicklung der Reiselitteratur im weitesten Sinn, die
auf ein hohes Alter zurücksieht. Wer da glaubte, das Reisehandbuch sei eine
Eigentümlichkeit unsrer reiselustige» Zeit, wäre im Irrtum. Reisenden zu
raten, wie sie gehn, wo sie nächtigen, wie sie sich in fremden Ländern zu Ver¬
halten haben, ist eine alte Pflicht. So gut wie das Altertum seine gezeich-
neten Wegkarten hatte, verfügte es auch über geschriebne Wegbeschreibungen
und Reisecmweisungen. Ein großer Teil der Reisebeschreibungen hatte den
doppelten Zweck, die Daheimgeblielmen zu unterhalten, zu belehren, vielleicht
auch zu erbanen nud den Nachreisenden den Weg zu weisen. Besonders gilt
das von den Pilgerreisen nach dein heiligen Lande, deren Zahl vom spätern
Mittelalter an wuchs, schon im fünfzehnten Jahrhundert groß war und mit
der Erfindung der Buchdruckerkunst, wie die ganze Litteratur der Reisebeschrei-
bungen, gewaltig anschwoll. Vielfach leitete ihre Verfasser ein eingeftandnes
religiöses Pflichtgefühl: sie wollten den Pilgern, die nach ihnen die schweren
Wege nach Jerusalem und an den Sinai einschlugen, ihr frommes Vornehmen
erleichtern. Daher nicht bloß genaue Wegangaben, sondern auch Verzeichnisse
von Preisen und Warnungen vor Gefahren und Übervorteilungen. Das sech¬
zehnte Jahrhundert hat aber auf seinen reichen und mannigfaltig ausgestatteten
Büchermärkten auch schon allgemeine Reiseanweisungen und Anleitungen zum
Reisen in einzelnen Teilen des Abendlandes erscheinen sehen. Die Menschen,
die sich von der geistigen Gebundenheit des Mittelalters befreit fühlten, regten
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[0243] [Abbildung] Baedeker in 3. November 1801 wurde zu Essen Karl Baedeker geboren, der Begründer der Reisehandbücher, die seinen Namen in die ganze Welt getragen und zu einer Gattungsbezeichnung für zu¬ verlässige Reiseführer erhoben haben. Kein Werk deutschen Ur¬ sprungs hat im letzten Halbjahrhundert eine solche Verbreitung im Ausland gefunden wie die „Baedeker." Diese Bücher haben allbekannte äußere Vorzüge, aber ihre Erfolge danken sie hauptsächlich innern, nämlich ihrer Zuverlässigkeit und methodischen Durch- und Fortbildung. Darum dürfen wir alle darauf stolz sein, wenn Engländer und Franzosen ihre eignen Länder mit dem roten Buche in der Hand bereisen. Es ist ein Triumph guter deutscher Eigenschaften, errungen im scharfen Wettbewerb mit fremden Leistungen auf einem vollkommen neutralen Boden. Zugleich bezeichnen diese Bücher einen Abschnitt in der Entwicklung der Reiselitteratur im weitesten Sinn, die auf ein hohes Alter zurücksieht. Wer da glaubte, das Reisehandbuch sei eine Eigentümlichkeit unsrer reiselustige» Zeit, wäre im Irrtum. Reisenden zu raten, wie sie gehn, wo sie nächtigen, wie sie sich in fremden Ländern zu Ver¬ halten haben, ist eine alte Pflicht. So gut wie das Altertum seine gezeich- neten Wegkarten hatte, verfügte es auch über geschriebne Wegbeschreibungen und Reisecmweisungen. Ein großer Teil der Reisebeschreibungen hatte den doppelten Zweck, die Daheimgeblielmen zu unterhalten, zu belehren, vielleicht auch zu erbanen nud den Nachreisenden den Weg zu weisen. Besonders gilt das von den Pilgerreisen nach dein heiligen Lande, deren Zahl vom spätern Mittelalter an wuchs, schon im fünfzehnten Jahrhundert groß war und mit der Erfindung der Buchdruckerkunst, wie die ganze Litteratur der Reisebeschrei- bungen, gewaltig anschwoll. Vielfach leitete ihre Verfasser ein eingeftandnes religiöses Pflichtgefühl: sie wollten den Pilgern, die nach ihnen die schweren Wege nach Jerusalem und an den Sinai einschlugen, ihr frommes Vornehmen erleichtern. Daher nicht bloß genaue Wegangaben, sondern auch Verzeichnisse von Preisen und Warnungen vor Gefahren und Übervorteilungen. Das sech¬ zehnte Jahrhundert hat aber auf seinen reichen und mannigfaltig ausgestatteten Büchermärkten auch schon allgemeine Reiseanweisungen und Anleitungen zum Reisen in einzelnen Teilen des Abendlandes erscheinen sehen. Die Menschen, die sich von der geistigen Gebundenheit des Mittelalters befreit fühlten, regten sich auch körperlich und räumlich ganz anders. Ganze Stände waren auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/243>, abgerufen am 03.05.2024.