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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Kursächsische Streifzüge

bewiesen hat, als er der Universität Heidelberg zu Ehren ihrer letzten Säkular¬
feier ein Verzeichnis der Bücher und Handschriften überreichen ließ, die aus
der Palatinischeu Bibliothek man weiß ja wann und auf welche Weise --
nach Rom gelangt und dort verblieben sind. An die erwähnte Handschrift
der Annalen, die jetzt in Florenz ist, hat offenbar Gustav Freytag gedacht,
als er seinen Roman "Die Verlorne Handschrift" entwarf,


F. Anntze


Kursächsische ^treifzüge
G. L, Schmidt vonin
Auf den Spuren Aarls V. und Johann Friedrichs des Großmütigen

s war an einem schönen Julitage, die Luft zitterte in licht-
fluteudeu Schwingungen über den Getreidepnppeu der Felder,
und der Horizont erschien in durchsichtiger Klarheit, als wir auf
der vou Strehla nach Pnußuitz nud Schirmeuitz führenden Straße
dahiuwanderten. Zur Linke" hatten wir deu waldige" Abhang
-^des Dürren- und Lattenberges (175 Meter), zur Rechten den
^mal ans die grüne Elbaue, die sich hier etwa 90 Meter über den Spiegel
ver Ostsee erhebt. Die Landschaft trägt weit lind breit dasselbe etwas ni'n-
Wninge Gepräge der Übergangsfvrmation vom Meißner Hochlande zum nord¬
deutschen Flachlande. Und doch waren wir in der gehobnen Stimmung, die
?en beobachtenden und denkenden Menschen immer ergreift, wenn er sich deu
Schauplätzen weltgeschichtlicher Entscheidungen naht. Wir wanderten nämlich
Melde Straße, .ins der Karl V. am 24. April 1547 seine" Aumnrsch zur
-Uaihlberger Schlacht ausgeführt hatte, und es war unser Vorsatz, heute auch
weiterhin desselben Pfades zu ziehn, auf dem damals sei" buutgemischtes Heer
gezogen war bis zu dein Punkte, wo sein unglücklicher Gegner, der Kurfürst
^whaun Friedrich vou Sachsen, am Abend desselben Tages geschlagen und ge¬
langen wurde. In der festen Überzeugung, daß der Schauplatz großer Er¬
eignisse oft vernehmlicher und deutlicher zum Beobachter spreche als die beste
moderne Schlachtenschildrung, wollten wir an der Hand der ältesten Überliefe¬
rungen über die Kämpfe um Mühlberg sorgsam das Gelände betrachten und
^uso sorgsam alle die Spuren sammeln, die der Zug des Kaisers und sein
Aufenthalt an der Elbe etwa noch i" der Erin"er"ng der Bewohner oder in
andern Denkmälern zurückgelassen habe.

Das Landschaftsbild hat sich hier, wo man weder das Geleise einer Eiseu-
vnhn noch starke Anzeichen moderner Großindustrie sieht, seit deu 350 Jahren,
vie uns von der Zeit des Schmalkaldischen Kriegs trennen, kaum verändert.
'Iber Himmel, Luft und Licht machten am Sonntage Miserieordiasdomini 1547
Wien wesentlich andern Eindruck, denn wir wandern hier längs der abgeernteten
Wiesen und Felder unter dem azurnen Blau eines heiße" Sommerhimmels,
Karl V. und sein Heer aber zogen unter schwerer, bleigrauer Wolkendecke und
bel dichtem Nebel dahin an Wiesen und Feldern, ans denen die ersten Frühliugs-
wume" und die junge Saat sproßte", lind das war el" großer Vorteil für
das kaiserliche Kriegsvolk; denn es hatte, als es die Dörfer Pcmßuitz n"d


Kursächsische Streifzüge

bewiesen hat, als er der Universität Heidelberg zu Ehren ihrer letzten Säkular¬
feier ein Verzeichnis der Bücher und Handschriften überreichen ließ, die aus
der Palatinischeu Bibliothek man weiß ja wann und auf welche Weise —
nach Rom gelangt und dort verblieben sind. An die erwähnte Handschrift
der Annalen, die jetzt in Florenz ist, hat offenbar Gustav Freytag gedacht,
als er seinen Roman „Die Verlorne Handschrift" entwarf,


F. Anntze


Kursächsische ^treifzüge
G. L, Schmidt vonin
Auf den Spuren Aarls V. und Johann Friedrichs des Großmütigen

s war an einem schönen Julitage, die Luft zitterte in licht-
fluteudeu Schwingungen über den Getreidepnppeu der Felder,
und der Horizont erschien in durchsichtiger Klarheit, als wir auf
der vou Strehla nach Pnußuitz nud Schirmeuitz führenden Straße
dahiuwanderten. Zur Linke» hatten wir deu waldige» Abhang
-^des Dürren- und Lattenberges (175 Meter), zur Rechten den
^mal ans die grüne Elbaue, die sich hier etwa 90 Meter über den Spiegel
ver Ostsee erhebt. Die Landschaft trägt weit lind breit dasselbe etwas ni'n-
Wninge Gepräge der Übergangsfvrmation vom Meißner Hochlande zum nord¬
deutschen Flachlande. Und doch waren wir in der gehobnen Stimmung, die
?en beobachtenden und denkenden Menschen immer ergreift, wenn er sich deu
Schauplätzen weltgeschichtlicher Entscheidungen naht. Wir wanderten nämlich
Melde Straße, .ins der Karl V. am 24. April 1547 seine» Aumnrsch zur
-Uaihlberger Schlacht ausgeführt hatte, und es war unser Vorsatz, heute auch
weiterhin desselben Pfades zu ziehn, auf dem damals sei» buutgemischtes Heer
gezogen war bis zu dein Punkte, wo sein unglücklicher Gegner, der Kurfürst
^whaun Friedrich vou Sachsen, am Abend desselben Tages geschlagen und ge¬
langen wurde. In der festen Überzeugung, daß der Schauplatz großer Er¬
eignisse oft vernehmlicher und deutlicher zum Beobachter spreche als die beste
moderne Schlachtenschildrung, wollten wir an der Hand der ältesten Überliefe¬
rungen über die Kämpfe um Mühlberg sorgsam das Gelände betrachten und
^uso sorgsam alle die Spuren sammeln, die der Zug des Kaisers und sein
Aufenthalt an der Elbe etwa noch i» der Erin»er»ng der Bewohner oder in
andern Denkmälern zurückgelassen habe.

Das Landschaftsbild hat sich hier, wo man weder das Geleise einer Eiseu-
vnhn noch starke Anzeichen moderner Großindustrie sieht, seit deu 350 Jahren,
vie uns von der Zeit des Schmalkaldischen Kriegs trennen, kaum verändert.
'Iber Himmel, Luft und Licht machten am Sonntage Miserieordiasdomini 1547
Wien wesentlich andern Eindruck, denn wir wandern hier längs der abgeernteten
Wiesen und Felder unter dem azurnen Blau eines heiße» Sommerhimmels,
Karl V. und sein Heer aber zogen unter schwerer, bleigrauer Wolkendecke und
bel dichtem Nebel dahin an Wiesen und Feldern, ans denen die ersten Frühliugs-
wume» und die junge Saat sproßte», lind das war el» großer Vorteil für
das kaiserliche Kriegsvolk; denn es hatte, als es die Dörfer Pcmßuitz n»d


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[0653] Kursächsische Streifzüge bewiesen hat, als er der Universität Heidelberg zu Ehren ihrer letzten Säkular¬ feier ein Verzeichnis der Bücher und Handschriften überreichen ließ, die aus der Palatinischeu Bibliothek man weiß ja wann und auf welche Weise — nach Rom gelangt und dort verblieben sind. An die erwähnte Handschrift der Annalen, die jetzt in Florenz ist, hat offenbar Gustav Freytag gedacht, als er seinen Roman „Die Verlorne Handschrift" entwarf, F. Anntze Kursächsische ^treifzüge G. L, Schmidt vonin Auf den Spuren Aarls V. und Johann Friedrichs des Großmütigen s war an einem schönen Julitage, die Luft zitterte in licht- fluteudeu Schwingungen über den Getreidepnppeu der Felder, und der Horizont erschien in durchsichtiger Klarheit, als wir auf der vou Strehla nach Pnußuitz nud Schirmeuitz führenden Straße dahiuwanderten. Zur Linke» hatten wir deu waldige» Abhang -^des Dürren- und Lattenberges (175 Meter), zur Rechten den ^mal ans die grüne Elbaue, die sich hier etwa 90 Meter über den Spiegel ver Ostsee erhebt. Die Landschaft trägt weit lind breit dasselbe etwas ni'n- Wninge Gepräge der Übergangsfvrmation vom Meißner Hochlande zum nord¬ deutschen Flachlande. Und doch waren wir in der gehobnen Stimmung, die ?en beobachtenden und denkenden Menschen immer ergreift, wenn er sich deu Schauplätzen weltgeschichtlicher Entscheidungen naht. Wir wanderten nämlich Melde Straße, .ins der Karl V. am 24. April 1547 seine» Aumnrsch zur -Uaihlberger Schlacht ausgeführt hatte, und es war unser Vorsatz, heute auch weiterhin desselben Pfades zu ziehn, auf dem damals sei» buutgemischtes Heer gezogen war bis zu dein Punkte, wo sein unglücklicher Gegner, der Kurfürst ^whaun Friedrich vou Sachsen, am Abend desselben Tages geschlagen und ge¬ langen wurde. In der festen Überzeugung, daß der Schauplatz großer Er¬ eignisse oft vernehmlicher und deutlicher zum Beobachter spreche als die beste moderne Schlachtenschildrung, wollten wir an der Hand der ältesten Überliefe¬ rungen über die Kämpfe um Mühlberg sorgsam das Gelände betrachten und ^uso sorgsam alle die Spuren sammeln, die der Zug des Kaisers und sein Aufenthalt an der Elbe etwa noch i» der Erin»er»ng der Bewohner oder in andern Denkmälern zurückgelassen habe. Das Landschaftsbild hat sich hier, wo man weder das Geleise einer Eiseu- vnhn noch starke Anzeichen moderner Großindustrie sieht, seit deu 350 Jahren, vie uns von der Zeit des Schmalkaldischen Kriegs trennen, kaum verändert. 'Iber Himmel, Luft und Licht machten am Sonntage Miserieordiasdomini 1547 Wien wesentlich andern Eindruck, denn wir wandern hier längs der abgeernteten Wiesen und Felder unter dem azurnen Blau eines heiße» Sommerhimmels, Karl V. und sein Heer aber zogen unter schwerer, bleigrauer Wolkendecke und bel dichtem Nebel dahin an Wiesen und Feldern, ans denen die ersten Frühliugs- wume» und die junge Saat sproßte», lind das war el» großer Vorteil für das kaiserliche Kriegsvolk; denn es hatte, als es die Dörfer Pcmßuitz n»d

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/653>, abgerufen am 03.05.2024.