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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor Duttmnller und sein Freund

Verschieden war, und unsre heutigen Aufführungen in vielen Beziehungen den
Intentionen der alten Komponisten nicht gerecht werden. Ebenfalls dürfte es
einleuchten, daß es- sehr wünschenswert wäre, die alten Schütze durch Neu¬
belebung wieder zu gewinnen. Dahin zu gelangen, wird noch viel, sehr viel
Arbeit nötig sein. Zu allererst sollten die Bestrebungen in eine äußerlich ge¬
regelte Bahn gelenkt werden können. "Hätten unsre Kultusministerien, wie
für die bildenden Künste, so auch für die Musik ständige und auf der Höhe
der Sache stehende Referenten, so wären wir weiter und längst im Besitz der
unentbehrlichen Organisation," sagt Kretzschmar. Aber auf Unterstützung von
dieser Seite scheint man vor der Hand nicht rechnen zu dürfen, denn er fährt
fort: "Einstweilen muß eine regere Privathilfe die Schwierigkeiten wegzuräumen
suchen, vor welche die Nenansgnben den modernen Musiker stellen." Das
wichtigste wäre, die angehenden Tonkünstler für die alte Musik zu Schulen;
vollständige Spezialkurse für sie solle man einrichten, verlangt Kretzschmar. Der
natürliche Ort dafür wären die Konservatorien. Oder man müßte besondre
Schulen gründen. Anfänge beider Art find schon gemacht worden; die König¬
liche Hochschule für Musik in Berlin ist als eine Anstalt zu nennen, in der
neben der neuen auch die alte Musik eifrig gepflegt wird, und I. Hubert
hat in seiner Regensburger Kircheumusikschule ein besondres Institut für den
Unterricht in ihr geschaffen. Aber diese Anfänge sind noch sehr vereinzelt;
lebhaft muß gewünscht werden, daß sie sich bald verallgemeinern. Wenn das
geschieht, dann werden die Neuausgaben alter Tonwerke nicht mehr bloß für
die Wissenschaft ein großer Gewinn sein, sondern auch für die lebende Kunst
". Res und die ganze an ihr teilnehmende Menschheit.




Doktor Duttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von
Erstes Aapitel
Gewogen, zu leicht befunden

n der Unterprima des Gymnasiums zu Braunfels herrschte einige
Spannung. Man hatte "den Alten" mit einem Stoße blauer Hefte
unter dem Arm auf dem Hofe wandeln sehen, und seine Mienen
hatten nichts gutes geweissagt. Es stand fest, daß in der nächsten
Stunde die lateinischen Versetzungsextemporalten zurückgegeben werden
würden, und daß dies für manche der Uuterprimauer schmerzliche Augen¬
blicke mit sich bringen werde. Louis Duttmüller freilich war seiner Sache sicher
"ut machte einen spitzen Mund und ein gleichgiltiges Gesicht, das nur unvollständig
einen innern Triumph verdeckte; aber andre waren ihrer Sache nicht sicher, und
")re Wchx hatten eine etwas gezwungne Tonart.

Der Alte erschien. Alle Zeichen deuteten auf Unwetter. Er warf seine Hefte
"uff Katheder und setzte sich aufstöhnend nieder. Dann fuhr er sich mehrmals über


Grenzboten 1 1902 6
Doktor Duttmnller und sein Freund

Verschieden war, und unsre heutigen Aufführungen in vielen Beziehungen den
Intentionen der alten Komponisten nicht gerecht werden. Ebenfalls dürfte es
einleuchten, daß es- sehr wünschenswert wäre, die alten Schütze durch Neu¬
belebung wieder zu gewinnen. Dahin zu gelangen, wird noch viel, sehr viel
Arbeit nötig sein. Zu allererst sollten die Bestrebungen in eine äußerlich ge¬
regelte Bahn gelenkt werden können. „Hätten unsre Kultusministerien, wie
für die bildenden Künste, so auch für die Musik ständige und auf der Höhe
der Sache stehende Referenten, so wären wir weiter und längst im Besitz der
unentbehrlichen Organisation," sagt Kretzschmar. Aber auf Unterstützung von
dieser Seite scheint man vor der Hand nicht rechnen zu dürfen, denn er fährt
fort: „Einstweilen muß eine regere Privathilfe die Schwierigkeiten wegzuräumen
suchen, vor welche die Nenansgnben den modernen Musiker stellen." Das
wichtigste wäre, die angehenden Tonkünstler für die alte Musik zu Schulen;
vollständige Spezialkurse für sie solle man einrichten, verlangt Kretzschmar. Der
natürliche Ort dafür wären die Konservatorien. Oder man müßte besondre
Schulen gründen. Anfänge beider Art find schon gemacht worden; die König¬
liche Hochschule für Musik in Berlin ist als eine Anstalt zu nennen, in der
neben der neuen auch die alte Musik eifrig gepflegt wird, und I. Hubert
hat in seiner Regensburger Kircheumusikschule ein besondres Institut für den
Unterricht in ihr geschaffen. Aber diese Anfänge sind noch sehr vereinzelt;
lebhaft muß gewünscht werden, daß sie sich bald verallgemeinern. Wenn das
geschieht, dann werden die Neuausgaben alter Tonwerke nicht mehr bloß für
die Wissenschaft ein großer Gewinn sein, sondern auch für die lebende Kunst
«. Res und die ganze an ihr teilnehmende Menschheit.




Doktor Duttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von
Erstes Aapitel
Gewogen, zu leicht befunden

n der Unterprima des Gymnasiums zu Braunfels herrschte einige
Spannung. Man hatte „den Alten" mit einem Stoße blauer Hefte
unter dem Arm auf dem Hofe wandeln sehen, und seine Mienen
hatten nichts gutes geweissagt. Es stand fest, daß in der nächsten
Stunde die lateinischen Versetzungsextemporalten zurückgegeben werden
würden, und daß dies für manche der Uuterprimauer schmerzliche Augen¬
blicke mit sich bringen werde. Louis Duttmüller freilich war seiner Sache sicher
"ut machte einen spitzen Mund und ein gleichgiltiges Gesicht, das nur unvollständig
einen innern Triumph verdeckte; aber andre waren ihrer Sache nicht sicher, und
")re Wchx hatten eine etwas gezwungne Tonart.

Der Alte erschien. Alle Zeichen deuteten auf Unwetter. Er warf seine Hefte
"uff Katheder und setzte sich aufstöhnend nieder. Dann fuhr er sich mehrmals über


Grenzboten 1 1902 6
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[0049] Doktor Duttmnller und sein Freund Verschieden war, und unsre heutigen Aufführungen in vielen Beziehungen den Intentionen der alten Komponisten nicht gerecht werden. Ebenfalls dürfte es einleuchten, daß es- sehr wünschenswert wäre, die alten Schütze durch Neu¬ belebung wieder zu gewinnen. Dahin zu gelangen, wird noch viel, sehr viel Arbeit nötig sein. Zu allererst sollten die Bestrebungen in eine äußerlich ge¬ regelte Bahn gelenkt werden können. „Hätten unsre Kultusministerien, wie für die bildenden Künste, so auch für die Musik ständige und auf der Höhe der Sache stehende Referenten, so wären wir weiter und längst im Besitz der unentbehrlichen Organisation," sagt Kretzschmar. Aber auf Unterstützung von dieser Seite scheint man vor der Hand nicht rechnen zu dürfen, denn er fährt fort: „Einstweilen muß eine regere Privathilfe die Schwierigkeiten wegzuräumen suchen, vor welche die Nenansgnben den modernen Musiker stellen." Das wichtigste wäre, die angehenden Tonkünstler für die alte Musik zu Schulen; vollständige Spezialkurse für sie solle man einrichten, verlangt Kretzschmar. Der natürliche Ort dafür wären die Konservatorien. Oder man müßte besondre Schulen gründen. Anfänge beider Art find schon gemacht worden; die König¬ liche Hochschule für Musik in Berlin ist als eine Anstalt zu nennen, in der neben der neuen auch die alte Musik eifrig gepflegt wird, und I. Hubert hat in seiner Regensburger Kircheumusikschule ein besondres Institut für den Unterricht in ihr geschaffen. Aber diese Anfänge sind noch sehr vereinzelt; lebhaft muß gewünscht werden, daß sie sich bald verallgemeinern. Wenn das geschieht, dann werden die Neuausgaben alter Tonwerke nicht mehr bloß für die Wissenschaft ein großer Gewinn sein, sondern auch für die lebende Kunst «. Res und die ganze an ihr teilnehmende Menschheit. Doktor Duttmüller und sein Freund Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von Erstes Aapitel Gewogen, zu leicht befunden n der Unterprima des Gymnasiums zu Braunfels herrschte einige Spannung. Man hatte „den Alten" mit einem Stoße blauer Hefte unter dem Arm auf dem Hofe wandeln sehen, und seine Mienen hatten nichts gutes geweissagt. Es stand fest, daß in der nächsten Stunde die lateinischen Versetzungsextemporalten zurückgegeben werden würden, und daß dies für manche der Uuterprimauer schmerzliche Augen¬ blicke mit sich bringen werde. Louis Duttmüller freilich war seiner Sache sicher "ut machte einen spitzen Mund und ein gleichgiltiges Gesicht, das nur unvollständig einen innern Triumph verdeckte; aber andre waren ihrer Sache nicht sicher, und ")re Wchx hatten eine etwas gezwungne Tonart. Der Alte erschien. Alle Zeichen deuteten auf Unwetter. Er warf seine Hefte "uff Katheder und setzte sich aufstöhnend nieder. Dann fuhr er sich mehrmals über Grenzboten 1 1902 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/49>, abgerufen am 29.04.2024.