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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Jugendliches -- sie denken vergangner Zeiten --, und Serenissimus beglückwünscht
schmunzelnd die mit einem Jchsetzemichdochnichthin-Komplimente zwischen Spitzen,
lo Se. cken und Brokaten verschwindende Mutter, I-




Doktor Duttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von
Vierzehntes Acipitel
Lhoc und Loutre-Lhoc

ö>T^>>le Nachricht, daß in Heinrichshall Arbeiter angenommen würden,
brachte eine neue Unruhe in die ländliche Arbeiterschaft. Das schöne
Geld, das dort verdient wurde, lockte, und ebenso die Selbständig¬
keit der Stellung. Wenn die Schicht vorüber war, hatte einem kein
Mensch etwas zu sagen. Und wenn man sein Geld ausgebe" wollte,
!so war es nicht nötig, erst beim Herrn vom Lohne etwas "aufzu¬
nehmen" und Rede nud Antwort stehn oder gar gute Lehren einstecken zu müssen.
Der erste, der seit der neuen Ära des Werkes davon etwas zu spüren bekam, war
der Schulze Lüttje. Seit wir ihn zum letztenmal gesehen haben, hat er nicht wenig
von seinem Fette zugesetzt. Auch ist er nervös geworden. Das war kein Wunder.
Denn die schönen stillen Zeiten von früher waren vorüber. Die Scherereien mit
dem Werke und den Schachteru wollte kein Ende nehmen. Und auch die Gemeinde¬
vertretung, die sonst so willig gewesen war, war aufsässig geworden und ärgerte
den Schulzen, wo sie nur konnte. Die kleinen Leute führten das große Wort, und
die Großen, die die Steuerlast zu tragen hatten, waren eingeschüchtert, machten wohl
eine Faust in der Tasche, aber thaten das Maul immer erst hinterher auf und
ließen ihn, den Schulzen, inzwischen in der Patsche sitzen. Wie sehr hatte damals
Gevatter Mewes Recht gehabt, als er sagte: Laßt euch mit den Schachtern nicht
el", sonst kommt ihr in die Bredulje.

Des Schulze" Knecht Johann Weitling, genannt Knnvnenweidling, zum Unter¬
schiede von seinem Bruder, der bei den Husaren gedient hatte und Husarenweidling
hieß, kam immer mehr zu der Überzeugung, daß die Bauern allesamt Schinderhansen
seien, bei denen Menschen und Vieh zu Grunde gehe, daß sie alle den Geizteufel
im Leibe hätten und keinem Menschen etwas gönnten. Na ja, neunzig Thaler Lohn
und das Genannte und ein Morgen Knrtoffellcmd. Mit dem Lande sei much nicht
viel zu verdienen, wenn man für den Dünger selber aufkommen müsse, und die
Saatkartoffeln nicht auch noch dazu kriegte. Viel besser wäre es, man kriegte das
Geld bar auf den Tisch, ohne noch etwas dafür leisten zu müssen. In dieser Stim¬
mung wurde er von seiner Frau redlich gestärkt, und so kam er eines Tages zum
Schulzen in das Zimmer und sagte: Herre, was ich sagen wollte, ich wollte zum
nächste" Ersten Martinich machen.

Der Schulze verwunderte sich gewaltig. Was willst du machen? Weg¬
laufen willst du? Und jetzt, wo die Arbeit drängt? Was ist dir denn in die
Krone gestiegen?

Es paßt mir nicht.

So? es paßt dir nicht.

Und das Essen paßt mir auch nicht.

So? Das Essen paßt dir auch nicht?


Doktor Duttmüller und sein Freund

Jugendliches — sie denken vergangner Zeiten —, und Serenissimus beglückwünscht
schmunzelnd die mit einem Jchsetzemichdochnichthin-Komplimente zwischen Spitzen,
lo Se. cken und Brokaten verschwindende Mutter, I-




Doktor Duttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von
Vierzehntes Acipitel
Lhoc und Loutre-Lhoc

ö>T^>>le Nachricht, daß in Heinrichshall Arbeiter angenommen würden,
brachte eine neue Unruhe in die ländliche Arbeiterschaft. Das schöne
Geld, das dort verdient wurde, lockte, und ebenso die Selbständig¬
keit der Stellung. Wenn die Schicht vorüber war, hatte einem kein
Mensch etwas zu sagen. Und wenn man sein Geld ausgebe» wollte,
!so war es nicht nötig, erst beim Herrn vom Lohne etwas „aufzu¬
nehmen" und Rede nud Antwort stehn oder gar gute Lehren einstecken zu müssen.
Der erste, der seit der neuen Ära des Werkes davon etwas zu spüren bekam, war
der Schulze Lüttje. Seit wir ihn zum letztenmal gesehen haben, hat er nicht wenig
von seinem Fette zugesetzt. Auch ist er nervös geworden. Das war kein Wunder.
Denn die schönen stillen Zeiten von früher waren vorüber. Die Scherereien mit
dem Werke und den Schachteru wollte kein Ende nehmen. Und auch die Gemeinde¬
vertretung, die sonst so willig gewesen war, war aufsässig geworden und ärgerte
den Schulzen, wo sie nur konnte. Die kleinen Leute führten das große Wort, und
die Großen, die die Steuerlast zu tragen hatten, waren eingeschüchtert, machten wohl
eine Faust in der Tasche, aber thaten das Maul immer erst hinterher auf und
ließen ihn, den Schulzen, inzwischen in der Patsche sitzen. Wie sehr hatte damals
Gevatter Mewes Recht gehabt, als er sagte: Laßt euch mit den Schachtern nicht
el», sonst kommt ihr in die Bredulje.

Des Schulze« Knecht Johann Weitling, genannt Knnvnenweidling, zum Unter¬
schiede von seinem Bruder, der bei den Husaren gedient hatte und Husarenweidling
hieß, kam immer mehr zu der Überzeugung, daß die Bauern allesamt Schinderhansen
seien, bei denen Menschen und Vieh zu Grunde gehe, daß sie alle den Geizteufel
im Leibe hätten und keinem Menschen etwas gönnten. Na ja, neunzig Thaler Lohn
und das Genannte und ein Morgen Knrtoffellcmd. Mit dem Lande sei much nicht
viel zu verdienen, wenn man für den Dünger selber aufkommen müsse, und die
Saatkartoffeln nicht auch noch dazu kriegte. Viel besser wäre es, man kriegte das
Geld bar auf den Tisch, ohne noch etwas dafür leisten zu müssen. In dieser Stim¬
mung wurde er von seiner Frau redlich gestärkt, und so kam er eines Tages zum
Schulzen in das Zimmer und sagte: Herre, was ich sagen wollte, ich wollte zum
nächste» Ersten Martinich machen.

Der Schulze verwunderte sich gewaltig. Was willst du machen? Weg¬
laufen willst du? Und jetzt, wo die Arbeit drängt? Was ist dir denn in die
Krone gestiegen?

Es paßt mir nicht.

So? es paßt dir nicht.

Und das Essen paßt mir auch nicht.

So? Das Essen paßt dir auch nicht?


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[0103] Doktor Duttmüller und sein Freund Jugendliches — sie denken vergangner Zeiten —, und Serenissimus beglückwünscht schmunzelnd die mit einem Jchsetzemichdochnichthin-Komplimente zwischen Spitzen, lo Se. cken und Brokaten verschwindende Mutter, I- Doktor Duttmüller und sein Freund Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von Vierzehntes Acipitel Lhoc und Loutre-Lhoc ö>T^>>le Nachricht, daß in Heinrichshall Arbeiter angenommen würden, brachte eine neue Unruhe in die ländliche Arbeiterschaft. Das schöne Geld, das dort verdient wurde, lockte, und ebenso die Selbständig¬ keit der Stellung. Wenn die Schicht vorüber war, hatte einem kein Mensch etwas zu sagen. Und wenn man sein Geld ausgebe» wollte, !so war es nicht nötig, erst beim Herrn vom Lohne etwas „aufzu¬ nehmen" und Rede nud Antwort stehn oder gar gute Lehren einstecken zu müssen. Der erste, der seit der neuen Ära des Werkes davon etwas zu spüren bekam, war der Schulze Lüttje. Seit wir ihn zum letztenmal gesehen haben, hat er nicht wenig von seinem Fette zugesetzt. Auch ist er nervös geworden. Das war kein Wunder. Denn die schönen stillen Zeiten von früher waren vorüber. Die Scherereien mit dem Werke und den Schachteru wollte kein Ende nehmen. Und auch die Gemeinde¬ vertretung, die sonst so willig gewesen war, war aufsässig geworden und ärgerte den Schulzen, wo sie nur konnte. Die kleinen Leute führten das große Wort, und die Großen, die die Steuerlast zu tragen hatten, waren eingeschüchtert, machten wohl eine Faust in der Tasche, aber thaten das Maul immer erst hinterher auf und ließen ihn, den Schulzen, inzwischen in der Patsche sitzen. Wie sehr hatte damals Gevatter Mewes Recht gehabt, als er sagte: Laßt euch mit den Schachtern nicht el», sonst kommt ihr in die Bredulje. Des Schulze« Knecht Johann Weitling, genannt Knnvnenweidling, zum Unter¬ schiede von seinem Bruder, der bei den Husaren gedient hatte und Husarenweidling hieß, kam immer mehr zu der Überzeugung, daß die Bauern allesamt Schinderhansen seien, bei denen Menschen und Vieh zu Grunde gehe, daß sie alle den Geizteufel im Leibe hätten und keinem Menschen etwas gönnten. Na ja, neunzig Thaler Lohn und das Genannte und ein Morgen Knrtoffellcmd. Mit dem Lande sei much nicht viel zu verdienen, wenn man für den Dünger selber aufkommen müsse, und die Saatkartoffeln nicht auch noch dazu kriegte. Viel besser wäre es, man kriegte das Geld bar auf den Tisch, ohne noch etwas dafür leisten zu müssen. In dieser Stim¬ mung wurde er von seiner Frau redlich gestärkt, und so kam er eines Tages zum Schulzen in das Zimmer und sagte: Herre, was ich sagen wollte, ich wollte zum nächste» Ersten Martinich machen. Der Schulze verwunderte sich gewaltig. Was willst du machen? Weg¬ laufen willst du? Und jetzt, wo die Arbeit drängt? Was ist dir denn in die Krone gestiegen? Es paßt mir nicht. So? es paßt dir nicht. Und das Essen paßt mir auch nicht. So? Das Essen paßt dir auch nicht?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/103>, abgerufen am 29.04.2024.