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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Regierung

Friedrich. Erst eine Zeit, die von den Nachwirkungen der großen Gegensätze,
in die sie hineingestellt war, nichts mehr empfindet, wird sie unbefangen und
wirklich historisch auffassen können.


Gelo Uaemmel


Die britische Regierung
Hugo Barrels Von

uf dem Schlachtfelde von Bosworth sank mehr als das Hans
Jork in den Staub. Mit dem Falle Richards III. schwand die
Gesellschaft, in der auf gepanzerten Rosse der gepanzerte Reiter
den Ausschlag gab. Schon die beiden yorkischen Brüder Edward IV.
und Richard III. gehörten ihr nicht mehr an, doch sie wurzelten
noch in ihr, und Richards Tod bezeichnete für Englaud das Ende des Mittel-
nlters und den Beginn der Neuzeit. Die stolzen Barone, die auf Nunnhmede
von Johann die Magna Charta erzWangen, die Hugh Despenser, den Günstling
Edwards II., an einen fünfzig Fuß hohen Galgen hängten, sie waren nicht
mehr. Ihr schwerer, selbstbewußter Tritt erklang nicht mehr in des Königs
Halle, ihre Faust fiel nicht mehr auf den Tisch des Ratsgemachs. Bloß die
de la Poles, die Stanlehs und die Howards hatten sich in die neue Zeit
hiuübergerettet; und was sonst noch vom alten hohen Adel übrig war, kam
nicht in Betracht gegen die Macht, die sich das kräftige Geschlecht der Tudors
mit festem Griffe aneignete. Wer hinfort im Staate etwas gelten wollte,
mußte nicht die Muskeln, sondern das Hirn anstrengen und die Frucht seiner
Mühen als eine Gnade aus der Hand des Königs empfangen.

Die alte englische Verfassung wurde darum nicht geändert. Der erbliche
große Reichsrat des Adels, das Oberhaus, blieb unangetastet, ebenso das
Unterhaus, die Vertretung der Grafschaften und der Städte. Die Rechte des
Parlaments wurden nicht geschmälert, und Gesetzgebung und Vesteurung gingen
nach wie vor aus einer Vereinbarung zwischen König und Parlament hervor.
Der Unterschied zwischen der Zeit der Lancasters und der Tudorzeit liegt vor
allem in der Mnchtverschiebung, die dem König in jeder Beziehung das Über¬
gewicht verlieh. Das Unterhaus hatte sich niemals mit Ansprüchen hervor¬
gedrängt und nach einer Teilnahme an der Regierung gestrebt; nur das Ober¬
haus hatte seine Macht eingebüßt und konnte sie nie wieder gewinnen. Die
Freiheit, deren sich infolgedessen das Königtum erfreute, bekundete sich sogleich
in der Zusammensetzung des stündigen Staatsrates, auf die früher die Barone
einen dein königlichen Willen oft unangenehmen Einfluß ausgeübt hatten.
Der Staatsrat wurde zum Geheimen Rate; in diesem Namen zeigte er schon,
daß ihm der Wille des Königs als Richtschnur galt.

Der König im Rate regierte das Reich. Man muß es den Tudors
lassen, daß sie es verstanden haben, ihre Nöte auszuwählen und den richtigen


Die britische Regierung

Friedrich. Erst eine Zeit, die von den Nachwirkungen der großen Gegensätze,
in die sie hineingestellt war, nichts mehr empfindet, wird sie unbefangen und
wirklich historisch auffassen können.


Gelo Uaemmel


Die britische Regierung
Hugo Barrels Von

uf dem Schlachtfelde von Bosworth sank mehr als das Hans
Jork in den Staub. Mit dem Falle Richards III. schwand die
Gesellschaft, in der auf gepanzerten Rosse der gepanzerte Reiter
den Ausschlag gab. Schon die beiden yorkischen Brüder Edward IV.
und Richard III. gehörten ihr nicht mehr an, doch sie wurzelten
noch in ihr, und Richards Tod bezeichnete für Englaud das Ende des Mittel-
nlters und den Beginn der Neuzeit. Die stolzen Barone, die auf Nunnhmede
von Johann die Magna Charta erzWangen, die Hugh Despenser, den Günstling
Edwards II., an einen fünfzig Fuß hohen Galgen hängten, sie waren nicht
mehr. Ihr schwerer, selbstbewußter Tritt erklang nicht mehr in des Königs
Halle, ihre Faust fiel nicht mehr auf den Tisch des Ratsgemachs. Bloß die
de la Poles, die Stanlehs und die Howards hatten sich in die neue Zeit
hiuübergerettet; und was sonst noch vom alten hohen Adel übrig war, kam
nicht in Betracht gegen die Macht, die sich das kräftige Geschlecht der Tudors
mit festem Griffe aneignete. Wer hinfort im Staate etwas gelten wollte,
mußte nicht die Muskeln, sondern das Hirn anstrengen und die Frucht seiner
Mühen als eine Gnade aus der Hand des Königs empfangen.

Die alte englische Verfassung wurde darum nicht geändert. Der erbliche
große Reichsrat des Adels, das Oberhaus, blieb unangetastet, ebenso das
Unterhaus, die Vertretung der Grafschaften und der Städte. Die Rechte des
Parlaments wurden nicht geschmälert, und Gesetzgebung und Vesteurung gingen
nach wie vor aus einer Vereinbarung zwischen König und Parlament hervor.
Der Unterschied zwischen der Zeit der Lancasters und der Tudorzeit liegt vor
allem in der Mnchtverschiebung, die dem König in jeder Beziehung das Über¬
gewicht verlieh. Das Unterhaus hatte sich niemals mit Ansprüchen hervor¬
gedrängt und nach einer Teilnahme an der Regierung gestrebt; nur das Ober¬
haus hatte seine Macht eingebüßt und konnte sie nie wieder gewinnen. Die
Freiheit, deren sich infolgedessen das Königtum erfreute, bekundete sich sogleich
in der Zusammensetzung des stündigen Staatsrates, auf die früher die Barone
einen dein königlichen Willen oft unangenehmen Einfluß ausgeübt hatten.
Der Staatsrat wurde zum Geheimen Rate; in diesem Namen zeigte er schon,
daß ihm der Wille des Königs als Richtschnur galt.

Der König im Rate regierte das Reich. Man muß es den Tudors
lassen, daß sie es verstanden haben, ihre Nöte auszuwählen und den richtigen


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[0126] Die britische Regierung Friedrich. Erst eine Zeit, die von den Nachwirkungen der großen Gegensätze, in die sie hineingestellt war, nichts mehr empfindet, wird sie unbefangen und wirklich historisch auffassen können. Gelo Uaemmel Die britische Regierung Hugo Barrels Von uf dem Schlachtfelde von Bosworth sank mehr als das Hans Jork in den Staub. Mit dem Falle Richards III. schwand die Gesellschaft, in der auf gepanzerten Rosse der gepanzerte Reiter den Ausschlag gab. Schon die beiden yorkischen Brüder Edward IV. und Richard III. gehörten ihr nicht mehr an, doch sie wurzelten noch in ihr, und Richards Tod bezeichnete für Englaud das Ende des Mittel- nlters und den Beginn der Neuzeit. Die stolzen Barone, die auf Nunnhmede von Johann die Magna Charta erzWangen, die Hugh Despenser, den Günstling Edwards II., an einen fünfzig Fuß hohen Galgen hängten, sie waren nicht mehr. Ihr schwerer, selbstbewußter Tritt erklang nicht mehr in des Königs Halle, ihre Faust fiel nicht mehr auf den Tisch des Ratsgemachs. Bloß die de la Poles, die Stanlehs und die Howards hatten sich in die neue Zeit hiuübergerettet; und was sonst noch vom alten hohen Adel übrig war, kam nicht in Betracht gegen die Macht, die sich das kräftige Geschlecht der Tudors mit festem Griffe aneignete. Wer hinfort im Staate etwas gelten wollte, mußte nicht die Muskeln, sondern das Hirn anstrengen und die Frucht seiner Mühen als eine Gnade aus der Hand des Königs empfangen. Die alte englische Verfassung wurde darum nicht geändert. Der erbliche große Reichsrat des Adels, das Oberhaus, blieb unangetastet, ebenso das Unterhaus, die Vertretung der Grafschaften und der Städte. Die Rechte des Parlaments wurden nicht geschmälert, und Gesetzgebung und Vesteurung gingen nach wie vor aus einer Vereinbarung zwischen König und Parlament hervor. Der Unterschied zwischen der Zeit der Lancasters und der Tudorzeit liegt vor allem in der Mnchtverschiebung, die dem König in jeder Beziehung das Über¬ gewicht verlieh. Das Unterhaus hatte sich niemals mit Ansprüchen hervor¬ gedrängt und nach einer Teilnahme an der Regierung gestrebt; nur das Ober¬ haus hatte seine Macht eingebüßt und konnte sie nie wieder gewinnen. Die Freiheit, deren sich infolgedessen das Königtum erfreute, bekundete sich sogleich in der Zusammensetzung des stündigen Staatsrates, auf die früher die Barone einen dein königlichen Willen oft unangenehmen Einfluß ausgeübt hatten. Der Staatsrat wurde zum Geheimen Rate; in diesem Namen zeigte er schon, daß ihm der Wille des Königs als Richtschnur galt. Der König im Rate regierte das Reich. Man muß es den Tudors lassen, daß sie es verstanden haben, ihre Nöte auszuwählen und den richtigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/126>, abgerufen am 29.04.2024.