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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Zwei französische Urteile über Deutschlands Seegeltnug

als Beamte und Hochschullehrer zu erringen; zweitens als eine mit allen
Mitteln anzustrebende Aussöhnung des katholischen Glaubens mit der modernen
Kultur, ohne irgend einen wesentlichen Bestandteil des Katholizismus, sei
es auf dem Gebiete der Lehre, der Moral, der Organisation oder der Dis¬
ziplin, preiszugeben. Der Weg. auf dem dieses letzte Ziel erreicht werden
kann, wird von verschiednen verschieden angegeben, von andern als ungangbar
bezeichnet und von einigen unkatholisch genannt. Der Gegensätze giebt es
darum genug, und daraus entspringt der heftig entbrannte Kampf, dessen
Ende noch gar nicht abzusehen ist. Wer Wnhrmund folgt und aus der Kirche
austritt. scheidet damit auch aus dieser Bewegung aus; wer Ehrhard und Pcrnter
folgt, wird immer sicher sein, auf katholischem Boden zu wandeln, wenngleich
in freiern Regionen, als einzelne theologische Schulen es bisher erlauben
wollten; wer endlich Rösler, Braun, dem Linzer Volksblatt, dem Wiener
Vaterland und den genannten Wiener Volksversammlungsgrößen folgt, kann
die beruhigende Gewißheit haben, in einer Gesellschaft zu weilen, die katholischer
sein will als der Papst.

Man darf die Bewegung nicht unterschätzen. Es sind alle Anzeichen
dafür da, daß sie sich von Tag zu Tag vertiefen wird. Sie mit den Strömungen
aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts vergleichen zu wollen,
hieße in völliger Unkenntnis der Dinge urteilen. Grundverschieden dem Inhalte
nach, grundverschieden dem Zwecke nach, haben beide nichts miteinander
gemein. Nicht das Geschrei der gefiederten Kapitvlsbewohner in Linz, nicht
die emphatischen Ausführungen des im Auftrag arbeitenden Trierer Professors
Einig geben den richtigen Maßstab ab, nicht die denunziatorischen Anklagen
der Wiener und Linzer Kritiker sind ausschlaggebend, sondern vielmehr der
innere Wert der Vorschläge und ihrer treu katholischen Begründung.

(Schluß folgt)




Zwei französische Urteile über Deutschlands Seegeltung
Georg Wislicenus Besprochen von (Schluß)

on Frankreichs Stellung zu Dentschland hängt die Zukunft
Europas und vielleicht das Glück der ganzen Menschheit auf
unserm kleinen Planeten ab; wenn das Damoklesschwert füllt,
wenn Frankreich und Dentschland einander wieder, wie schon so
oft, zerfleischen würden, hätte England gewonnenes Spiel für
Jahrhunderte hinaus. Wenn die besten Kulturmächte, und das sind Dentsch¬
land und Frankreich noch heute, trotz moderner Auswüchse und Geschwüre
brach gelegt werden, schießt alles Unkraut üppig empor. Dann herrschen die


Zwei französische Urteile über Deutschlands Seegeltnug

als Beamte und Hochschullehrer zu erringen; zweitens als eine mit allen
Mitteln anzustrebende Aussöhnung des katholischen Glaubens mit der modernen
Kultur, ohne irgend einen wesentlichen Bestandteil des Katholizismus, sei
es auf dem Gebiete der Lehre, der Moral, der Organisation oder der Dis¬
ziplin, preiszugeben. Der Weg. auf dem dieses letzte Ziel erreicht werden
kann, wird von verschiednen verschieden angegeben, von andern als ungangbar
bezeichnet und von einigen unkatholisch genannt. Der Gegensätze giebt es
darum genug, und daraus entspringt der heftig entbrannte Kampf, dessen
Ende noch gar nicht abzusehen ist. Wer Wnhrmund folgt und aus der Kirche
austritt. scheidet damit auch aus dieser Bewegung aus; wer Ehrhard und Pcrnter
folgt, wird immer sicher sein, auf katholischem Boden zu wandeln, wenngleich
in freiern Regionen, als einzelne theologische Schulen es bisher erlauben
wollten; wer endlich Rösler, Braun, dem Linzer Volksblatt, dem Wiener
Vaterland und den genannten Wiener Volksversammlungsgrößen folgt, kann
die beruhigende Gewißheit haben, in einer Gesellschaft zu weilen, die katholischer
sein will als der Papst.

Man darf die Bewegung nicht unterschätzen. Es sind alle Anzeichen
dafür da, daß sie sich von Tag zu Tag vertiefen wird. Sie mit den Strömungen
aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts vergleichen zu wollen,
hieße in völliger Unkenntnis der Dinge urteilen. Grundverschieden dem Inhalte
nach, grundverschieden dem Zwecke nach, haben beide nichts miteinander
gemein. Nicht das Geschrei der gefiederten Kapitvlsbewohner in Linz, nicht
die emphatischen Ausführungen des im Auftrag arbeitenden Trierer Professors
Einig geben den richtigen Maßstab ab, nicht die denunziatorischen Anklagen
der Wiener und Linzer Kritiker sind ausschlaggebend, sondern vielmehr der
innere Wert der Vorschläge und ihrer treu katholischen Begründung.

(Schluß folgt)




Zwei französische Urteile über Deutschlands Seegeltung
Georg Wislicenus Besprochen von (Schluß)

on Frankreichs Stellung zu Dentschland hängt die Zukunft
Europas und vielleicht das Glück der ganzen Menschheit auf
unserm kleinen Planeten ab; wenn das Damoklesschwert füllt,
wenn Frankreich und Dentschland einander wieder, wie schon so
oft, zerfleischen würden, hätte England gewonnenes Spiel für
Jahrhunderte hinaus. Wenn die besten Kulturmächte, und das sind Dentsch¬
land und Frankreich noch heute, trotz moderner Auswüchse und Geschwüre
brach gelegt werden, schießt alles Unkraut üppig empor. Dann herrschen die


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[0144] Zwei französische Urteile über Deutschlands Seegeltnug als Beamte und Hochschullehrer zu erringen; zweitens als eine mit allen Mitteln anzustrebende Aussöhnung des katholischen Glaubens mit der modernen Kultur, ohne irgend einen wesentlichen Bestandteil des Katholizismus, sei es auf dem Gebiete der Lehre, der Moral, der Organisation oder der Dis¬ ziplin, preiszugeben. Der Weg. auf dem dieses letzte Ziel erreicht werden kann, wird von verschiednen verschieden angegeben, von andern als ungangbar bezeichnet und von einigen unkatholisch genannt. Der Gegensätze giebt es darum genug, und daraus entspringt der heftig entbrannte Kampf, dessen Ende noch gar nicht abzusehen ist. Wer Wnhrmund folgt und aus der Kirche austritt. scheidet damit auch aus dieser Bewegung aus; wer Ehrhard und Pcrnter folgt, wird immer sicher sein, auf katholischem Boden zu wandeln, wenngleich in freiern Regionen, als einzelne theologische Schulen es bisher erlauben wollten; wer endlich Rösler, Braun, dem Linzer Volksblatt, dem Wiener Vaterland und den genannten Wiener Volksversammlungsgrößen folgt, kann die beruhigende Gewißheit haben, in einer Gesellschaft zu weilen, die katholischer sein will als der Papst. Man darf die Bewegung nicht unterschätzen. Es sind alle Anzeichen dafür da, daß sie sich von Tag zu Tag vertiefen wird. Sie mit den Strömungen aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts vergleichen zu wollen, hieße in völliger Unkenntnis der Dinge urteilen. Grundverschieden dem Inhalte nach, grundverschieden dem Zwecke nach, haben beide nichts miteinander gemein. Nicht das Geschrei der gefiederten Kapitvlsbewohner in Linz, nicht die emphatischen Ausführungen des im Auftrag arbeitenden Trierer Professors Einig geben den richtigen Maßstab ab, nicht die denunziatorischen Anklagen der Wiener und Linzer Kritiker sind ausschlaggebend, sondern vielmehr der innere Wert der Vorschläge und ihrer treu katholischen Begründung. (Schluß folgt) Zwei französische Urteile über Deutschlands Seegeltung Georg Wislicenus Besprochen von (Schluß) on Frankreichs Stellung zu Dentschland hängt die Zukunft Europas und vielleicht das Glück der ganzen Menschheit auf unserm kleinen Planeten ab; wenn das Damoklesschwert füllt, wenn Frankreich und Dentschland einander wieder, wie schon so oft, zerfleischen würden, hätte England gewonnenes Spiel für Jahrhunderte hinaus. Wenn die besten Kulturmächte, und das sind Dentsch¬ land und Frankreich noch heute, trotz moderner Auswüchse und Geschwüre brach gelegt werden, schießt alles Unkraut üppig empor. Dann herrschen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/144>, abgerufen am 29.04.2024.