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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Geistige Strömungen im Katholizismus

Ministerpräsidenten sich nach so vielen vergeblichen Versuchen nicht über den
gemeinsamen Zolltarif einigen , so wird der Krone abermals kein andres
Mittel übrig bleiben, als den Weg des Absolutismus zu betreten^ und wenn
auch vielleicht nicht der Form nach, so doch im Wesen einen Staatsstreich zu
begehn.




Geistige Strömungen im Katholizismus
von einem Katholiken (Schluß)

> nde der achtziger Jahre lebten in Rom zwei Barnabiten, Savi
und ?. Semeria. Beide waren nicht nur sehr gescheite Köpfe,
sondern sie hatten auch eine seltne Belesenheit und Kenntnis
der ausländischen theologischen Werke von Wichtigkeit. Gegen-
lüber der traditionellen Doktrin der Theologie nach alten Re¬
zepten, die durch den Um-Thomismus etwas aufgemuntert waren, vertraten
sie mit großem Erfolg eine neue Richtung in Wort und Schrift, ohne mehr
zu erreichen, als daß sie sich unbeliebt machten. Kardinal Graniello, der wie
sie dem Barnabitenorden angehörte, sah die Thätigkeit dieser beiden Männer
schon lange mit unruhigem Blick an, und er wirkte beim General des Ordens
dahin, daß sie aus Rom versetzt werden sollten. Da sie mit dem großen
Archäologen de Rossi befreundet waren, der sie beide hochschätzte, so klagten
sie ihm ihr Leid, sie würden anderswo wie Fische aus dem Wasser sein, weil
ihnen die Litteratur fehle. De Rossi ging zum Kardinalvikar Parocchi und
erwirkte durch ihn, daß der Versetzungsbcfehl rückgängig gemacht wurde. Sie
blieben also in Rom. Kurz darauf starb ?. Savi, der schon lange leidend
war, Kardinal Graniello folgte ihm am 8. Januar 1896 nach, und da wurde
?. Semeria kurzer Hand nach Genua versetzt, nachdem anch de Rossi am
20. September 1894 gestorben war. Semcria ist Gymnasialprofessor in Genua
und hat kaum Zeit, sich mit seinen frühern Studien zu beschäftigen. Er gilt
in weiten Kreisen als "liberal," obschon er nichts weiter thut, als in ver¬
nünftiger Weise das Gute, Dauernde und Scholle der modernen Wissenschaft
und Kultur für die katholische Sache zu verwerten. Neben einigen hochge¬
lehrten Männern Mailands und wenig andern, die über die Halbinsel zerstrent
leben, giebt es außer ihm niemand, der nach dieser Richtung hin ans den:
Gebiete der eigentlichen Theologie thätig wäre.

Ans dem Felde der kritischen Patristik bildet sich eine kleine Schule, die
zusammen uut ewigen kritisch angelegten und fleißig arbeitenden Hagiographeu
an die Mnratorischen und Antinvrischen Traditionen anknüpfen. Die christliche
Archäologie, die ein de Rossi geschaffen hat, wird von den italienischen Epi¬
gonen mehr oder minder dilettnntenhaft betrieben. Gewaltige Unternehmungen,


Grenzboten II 1902 24
Geistige Strömungen im Katholizismus

Ministerpräsidenten sich nach so vielen vergeblichen Versuchen nicht über den
gemeinsamen Zolltarif einigen , so wird der Krone abermals kein andres
Mittel übrig bleiben, als den Weg des Absolutismus zu betreten^ und wenn
auch vielleicht nicht der Form nach, so doch im Wesen einen Staatsstreich zu
begehn.




Geistige Strömungen im Katholizismus
von einem Katholiken (Schluß)

> nde der achtziger Jahre lebten in Rom zwei Barnabiten, Savi
und ?. Semeria. Beide waren nicht nur sehr gescheite Köpfe,
sondern sie hatten auch eine seltne Belesenheit und Kenntnis
der ausländischen theologischen Werke von Wichtigkeit. Gegen-
lüber der traditionellen Doktrin der Theologie nach alten Re¬
zepten, die durch den Um-Thomismus etwas aufgemuntert waren, vertraten
sie mit großem Erfolg eine neue Richtung in Wort und Schrift, ohne mehr
zu erreichen, als daß sie sich unbeliebt machten. Kardinal Graniello, der wie
sie dem Barnabitenorden angehörte, sah die Thätigkeit dieser beiden Männer
schon lange mit unruhigem Blick an, und er wirkte beim General des Ordens
dahin, daß sie aus Rom versetzt werden sollten. Da sie mit dem großen
Archäologen de Rossi befreundet waren, der sie beide hochschätzte, so klagten
sie ihm ihr Leid, sie würden anderswo wie Fische aus dem Wasser sein, weil
ihnen die Litteratur fehle. De Rossi ging zum Kardinalvikar Parocchi und
erwirkte durch ihn, daß der Versetzungsbcfehl rückgängig gemacht wurde. Sie
blieben also in Rom. Kurz darauf starb ?. Savi, der schon lange leidend
war, Kardinal Graniello folgte ihm am 8. Januar 1896 nach, und da wurde
?. Semeria kurzer Hand nach Genua versetzt, nachdem anch de Rossi am
20. September 1894 gestorben war. Semcria ist Gymnasialprofessor in Genua
und hat kaum Zeit, sich mit seinen frühern Studien zu beschäftigen. Er gilt
in weiten Kreisen als „liberal," obschon er nichts weiter thut, als in ver¬
nünftiger Weise das Gute, Dauernde und Scholle der modernen Wissenschaft
und Kultur für die katholische Sache zu verwerten. Neben einigen hochge¬
lehrten Männern Mailands und wenig andern, die über die Halbinsel zerstrent
leben, giebt es außer ihm niemand, der nach dieser Richtung hin ans den:
Gebiete der eigentlichen Theologie thätig wäre.

Ans dem Felde der kritischen Patristik bildet sich eine kleine Schule, die
zusammen uut ewigen kritisch angelegten und fleißig arbeitenden Hagiographeu
an die Mnratorischen und Antinvrischen Traditionen anknüpfen. Die christliche
Archäologie, die ein de Rossi geschaffen hat, wird von den italienischen Epi¬
gonen mehr oder minder dilettnntenhaft betrieben. Gewaltige Unternehmungen,


Grenzboten II 1902 24
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[0193] Geistige Strömungen im Katholizismus Ministerpräsidenten sich nach so vielen vergeblichen Versuchen nicht über den gemeinsamen Zolltarif einigen , so wird der Krone abermals kein andres Mittel übrig bleiben, als den Weg des Absolutismus zu betreten^ und wenn auch vielleicht nicht der Form nach, so doch im Wesen einen Staatsstreich zu begehn. Geistige Strömungen im Katholizismus von einem Katholiken (Schluß) > nde der achtziger Jahre lebten in Rom zwei Barnabiten, Savi und ?. Semeria. Beide waren nicht nur sehr gescheite Köpfe, sondern sie hatten auch eine seltne Belesenheit und Kenntnis der ausländischen theologischen Werke von Wichtigkeit. Gegen- lüber der traditionellen Doktrin der Theologie nach alten Re¬ zepten, die durch den Um-Thomismus etwas aufgemuntert waren, vertraten sie mit großem Erfolg eine neue Richtung in Wort und Schrift, ohne mehr zu erreichen, als daß sie sich unbeliebt machten. Kardinal Graniello, der wie sie dem Barnabitenorden angehörte, sah die Thätigkeit dieser beiden Männer schon lange mit unruhigem Blick an, und er wirkte beim General des Ordens dahin, daß sie aus Rom versetzt werden sollten. Da sie mit dem großen Archäologen de Rossi befreundet waren, der sie beide hochschätzte, so klagten sie ihm ihr Leid, sie würden anderswo wie Fische aus dem Wasser sein, weil ihnen die Litteratur fehle. De Rossi ging zum Kardinalvikar Parocchi und erwirkte durch ihn, daß der Versetzungsbcfehl rückgängig gemacht wurde. Sie blieben also in Rom. Kurz darauf starb ?. Savi, der schon lange leidend war, Kardinal Graniello folgte ihm am 8. Januar 1896 nach, und da wurde ?. Semeria kurzer Hand nach Genua versetzt, nachdem anch de Rossi am 20. September 1894 gestorben war. Semcria ist Gymnasialprofessor in Genua und hat kaum Zeit, sich mit seinen frühern Studien zu beschäftigen. Er gilt in weiten Kreisen als „liberal," obschon er nichts weiter thut, als in ver¬ nünftiger Weise das Gute, Dauernde und Scholle der modernen Wissenschaft und Kultur für die katholische Sache zu verwerten. Neben einigen hochge¬ lehrten Männern Mailands und wenig andern, die über die Halbinsel zerstrent leben, giebt es außer ihm niemand, der nach dieser Richtung hin ans den: Gebiete der eigentlichen Theologie thätig wäre. Ans dem Felde der kritischen Patristik bildet sich eine kleine Schule, die zusammen uut ewigen kritisch angelegten und fleißig arbeitenden Hagiographeu an die Mnratorischen und Antinvrischen Traditionen anknüpfen. Die christliche Archäologie, die ein de Rossi geschaffen hat, wird von den italienischen Epi¬ gonen mehr oder minder dilettnntenhaft betrieben. Gewaltige Unternehmungen, Grenzboten II 1902 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/193>, abgerufen am 29.04.2024.