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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Bahn frei!

s ist in den letzten Wochen wieder viel vom russisch-französischen
Bündnis die Rede gewesen. Die neuerlichen Abmachungen der
beiden Regierungen, die auf Ostasien Bezug haben, und der
Besuch des Präsidenten Loubet in Se. Petersburg haben die
Aufmerksamkeit der den politischen Ereignissen folgenden Welt
von neuem auf diesen seinerzeit vielbesprochnen Punkt gelenkt.

Es scheint, als wäre es von vornherein den beiden vertragschließenden
Mächten ganz besonders darum zu thun gewesen, das von ihnen getroffne
Abkommen als eine den europäischen Frieden fördernde und sichernde Verein¬
barung hinzustellen. Wenn man jemand eine geladne Pistole in die Hand
giebt und ihn auffordert, sie auf eine ihm bezeichnete Person abzuschießen,
sobald er den rechten Augenblick dafür gekommen glaube, so ist das in ähn¬
lichem Sinne eine friedfertige, den Frieden sichernde und fördernde Handlung.
Freilich wird es ja bei der dem Vertrage der Öffentlichkeit gegenüber unter¬
gelegten Absicht namentlich der russischen Regierung, wie auch sonst, um den
Honig der Glück und Segen verheißenden Redensarten zu thun gewesen sein,
und den billigen Wunsch der Schönfärberei konnte ihr Frankreich um so
weniger versagen, als es die deutschen Barbaren im Geiste schon über den
Rhein zurückgedrängt und in wilder Flucht auf die Lanzen "unzähliger"
Sotnicn von Kosaken zugetrieben sah.

Wie steht es aber nun, abgesehen von der aufgeklebten Friedensetikette,
mit dem Wesen des Vertrags, insoweit er veröffentlicht worden ist? Die Lage
Rußlands und Frankreichs, als sie den Vertrag schlössen, war klar genug, und
der Nutzen, den sie davon erwarteten, ist es auch. Die Sicherung des Welt¬
friedens und die Wiederherstellung des zu Deutschlands Gunsten verschobnen
europäischen Gleichgewichts hatten zwar wenig genug mit der getroffnen Ver¬
einbarung zu thun, dafür aber war sie in andrer Beziehung gut und zweck¬
müßig, da sie beiden Kontrahenten gerade die von ihnen gesuchten Vorteile
verschaffte. Eine Defensivallianz, die beide Bundesgenossen ins Feld rufen
sollte, wenn einer von ihnen augegriffen würde, und eine für russische Jndnstrie-
und Verkehrszweige in Frankreich aufzunehmende, nicht unbeträchtliche Anleihe:


Grenzboten II 1902 30


Bahn frei!

s ist in den letzten Wochen wieder viel vom russisch-französischen
Bündnis die Rede gewesen. Die neuerlichen Abmachungen der
beiden Regierungen, die auf Ostasien Bezug haben, und der
Besuch des Präsidenten Loubet in Se. Petersburg haben die
Aufmerksamkeit der den politischen Ereignissen folgenden Welt
von neuem auf diesen seinerzeit vielbesprochnen Punkt gelenkt.

Es scheint, als wäre es von vornherein den beiden vertragschließenden
Mächten ganz besonders darum zu thun gewesen, das von ihnen getroffne
Abkommen als eine den europäischen Frieden fördernde und sichernde Verein¬
barung hinzustellen. Wenn man jemand eine geladne Pistole in die Hand
giebt und ihn auffordert, sie auf eine ihm bezeichnete Person abzuschießen,
sobald er den rechten Augenblick dafür gekommen glaube, so ist das in ähn¬
lichem Sinne eine friedfertige, den Frieden sichernde und fördernde Handlung.
Freilich wird es ja bei der dem Vertrage der Öffentlichkeit gegenüber unter¬
gelegten Absicht namentlich der russischen Regierung, wie auch sonst, um den
Honig der Glück und Segen verheißenden Redensarten zu thun gewesen sein,
und den billigen Wunsch der Schönfärberei konnte ihr Frankreich um so
weniger versagen, als es die deutschen Barbaren im Geiste schon über den
Rhein zurückgedrängt und in wilder Flucht auf die Lanzen „unzähliger"
Sotnicn von Kosaken zugetrieben sah.

Wie steht es aber nun, abgesehen von der aufgeklebten Friedensetikette,
mit dem Wesen des Vertrags, insoweit er veröffentlicht worden ist? Die Lage
Rußlands und Frankreichs, als sie den Vertrag schlössen, war klar genug, und
der Nutzen, den sie davon erwarteten, ist es auch. Die Sicherung des Welt¬
friedens und die Wiederherstellung des zu Deutschlands Gunsten verschobnen
europäischen Gleichgewichts hatten zwar wenig genug mit der getroffnen Ver¬
einbarung zu thun, dafür aber war sie in andrer Beziehung gut und zweck¬
müßig, da sie beiden Kontrahenten gerade die von ihnen gesuchten Vorteile
verschaffte. Eine Defensivallianz, die beide Bundesgenossen ins Feld rufen
sollte, wenn einer von ihnen augegriffen würde, und eine für russische Jndnstrie-
und Verkehrszweige in Frankreich aufzunehmende, nicht unbeträchtliche Anleihe:


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[0241] [Abbildung] Bahn frei! s ist in den letzten Wochen wieder viel vom russisch-französischen Bündnis die Rede gewesen. Die neuerlichen Abmachungen der beiden Regierungen, die auf Ostasien Bezug haben, und der Besuch des Präsidenten Loubet in Se. Petersburg haben die Aufmerksamkeit der den politischen Ereignissen folgenden Welt von neuem auf diesen seinerzeit vielbesprochnen Punkt gelenkt. Es scheint, als wäre es von vornherein den beiden vertragschließenden Mächten ganz besonders darum zu thun gewesen, das von ihnen getroffne Abkommen als eine den europäischen Frieden fördernde und sichernde Verein¬ barung hinzustellen. Wenn man jemand eine geladne Pistole in die Hand giebt und ihn auffordert, sie auf eine ihm bezeichnete Person abzuschießen, sobald er den rechten Augenblick dafür gekommen glaube, so ist das in ähn¬ lichem Sinne eine friedfertige, den Frieden sichernde und fördernde Handlung. Freilich wird es ja bei der dem Vertrage der Öffentlichkeit gegenüber unter¬ gelegten Absicht namentlich der russischen Regierung, wie auch sonst, um den Honig der Glück und Segen verheißenden Redensarten zu thun gewesen sein, und den billigen Wunsch der Schönfärberei konnte ihr Frankreich um so weniger versagen, als es die deutschen Barbaren im Geiste schon über den Rhein zurückgedrängt und in wilder Flucht auf die Lanzen „unzähliger" Sotnicn von Kosaken zugetrieben sah. Wie steht es aber nun, abgesehen von der aufgeklebten Friedensetikette, mit dem Wesen des Vertrags, insoweit er veröffentlicht worden ist? Die Lage Rußlands und Frankreichs, als sie den Vertrag schlössen, war klar genug, und der Nutzen, den sie davon erwarteten, ist es auch. Die Sicherung des Welt¬ friedens und die Wiederherstellung des zu Deutschlands Gunsten verschobnen europäischen Gleichgewichts hatten zwar wenig genug mit der getroffnen Ver¬ einbarung zu thun, dafür aber war sie in andrer Beziehung gut und zweck¬ müßig, da sie beiden Kontrahenten gerade die von ihnen gesuchten Vorteile verschaffte. Eine Defensivallianz, die beide Bundesgenossen ins Feld rufen sollte, wenn einer von ihnen augegriffen würde, und eine für russische Jndnstrie- und Verkehrszweige in Frankreich aufzunehmende, nicht unbeträchtliche Anleihe: Grenzboten II 1902 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/241>, abgerufen am 29.04.2024.