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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Regierung

Berufe nachkommt, davon geben täglich viele Dutzende von Leitartikeln schmerz¬
liches Zeugnis. Wir wissen es zwar längst, daß alles Zureden dem von
seiner Weisheit und Uuübcrtrcfflichkeit durchdruugncn Deutschen gegenüber
vergeblich ist, aber leid thun uns solche Lalenbürgerstreiche doch immer wieder
von neuem, des Leiters der auswärtigen Politik und des Deutschen Reichs
wegen, denen auf diese Weise so beschwerliche Klötze ans Bein gebunden sind.




Die britische Regierung
Hugo Bartels von(Schluß)

n der ganzen Weltgeschichte läßt sich nur die venctinnische Oli¬
garchie' mit der britischen vergleichen. Hier wie dort dieselbe
Thatkraft, derselbe Erfolg. Aber die Gefahr der Verknöcherung.
die Venedig kraftlos zu einer Beute Bounpartes machte, drohte
auch der britischen Regierung. So großes sie geleistet hatte,
sie war doch bloß eine Klasscnregieruug, und gegen das Ende des achtzehnten
Jahrhunderts mehrten sich die Anzeichen, daß sie nicht mehr so wie am An¬
fang den Besitz und die Bildung hinter sich hatte. Der Versuch, die ameri¬
kanischen Kolonien ebenso zu behandeln wie das britische Volk, war mißglückt,
doch der Fehlschlag hatte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Daheim blieb
alles beim alten, und das Volk wurde mit schwerer Hand niedergehalten. Zur
Zeit der französischen Revolution öffentlich von einer Reform des Parlaments
zu sprechen, brachte vierzehn Jahre in Botanybai ein, nud die Habeascorvus-
akte blieb jahrelang außer Kraft gesetzt.

Nach der Zeit des Kampfes gegen Napoleon, die innere Fragen in den
Hintergrund gedrängt hatte, trat die Unzufriedenheit in vermehrter Stärke
hervor Das Volk nahm stetig zu an Zahl, es mühte sich ub in Fabriken
und Bergwerken, aber von dem Reichtum, der sich häufte, floß nichts in seine
Taschen. Eine erbarmungslose Ausbeutung drückte es herab auf ein Leben,
das noch geringer war als ein tierisches Dasein. Je länger je größer wurde
der Abstand zwischen Reich und Arm, Hoch und Niedrig, und die Regierung
sah dein gleichmütig zu. teils aus Hochmut, teils weil sie sich durch schranken¬
loses Gewährenlassen die Mittelklassen zu verbinden glaubte. Solange sie nur
mit den unorganisierten Massen zu thun hatte, brauchte sich die Regierung
nicht zu fürchten. Am 1". Angust 1819 hatte in Manchester eine Abteilung der
Neomanryreitcrei genügt, eine Volksversammlung von 60000 bis 80000 Menschen
Zu sprengen. Aber die Negierung sah auch den Mittelstand sich gegenüber mit
einer Waffe, weit gefährlicher als die Steine des Pöbels, mit der Waffe der
öffentlichen Meinung, die durch das gesprochn": wie das geschriebn? Wort eine


Die britische Regierung

Berufe nachkommt, davon geben täglich viele Dutzende von Leitartikeln schmerz¬
liches Zeugnis. Wir wissen es zwar längst, daß alles Zureden dem von
seiner Weisheit und Uuübcrtrcfflichkeit durchdruugncn Deutschen gegenüber
vergeblich ist, aber leid thun uns solche Lalenbürgerstreiche doch immer wieder
von neuem, des Leiters der auswärtigen Politik und des Deutschen Reichs
wegen, denen auf diese Weise so beschwerliche Klötze ans Bein gebunden sind.




Die britische Regierung
Hugo Bartels von(Schluß)

n der ganzen Weltgeschichte läßt sich nur die venctinnische Oli¬
garchie' mit der britischen vergleichen. Hier wie dort dieselbe
Thatkraft, derselbe Erfolg. Aber die Gefahr der Verknöcherung.
die Venedig kraftlos zu einer Beute Bounpartes machte, drohte
auch der britischen Regierung. So großes sie geleistet hatte,
sie war doch bloß eine Klasscnregieruug, und gegen das Ende des achtzehnten
Jahrhunderts mehrten sich die Anzeichen, daß sie nicht mehr so wie am An¬
fang den Besitz und die Bildung hinter sich hatte. Der Versuch, die ameri¬
kanischen Kolonien ebenso zu behandeln wie das britische Volk, war mißglückt,
doch der Fehlschlag hatte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Daheim blieb
alles beim alten, und das Volk wurde mit schwerer Hand niedergehalten. Zur
Zeit der französischen Revolution öffentlich von einer Reform des Parlaments
zu sprechen, brachte vierzehn Jahre in Botanybai ein, nud die Habeascorvus-
akte blieb jahrelang außer Kraft gesetzt.

Nach der Zeit des Kampfes gegen Napoleon, die innere Fragen in den
Hintergrund gedrängt hatte, trat die Unzufriedenheit in vermehrter Stärke
hervor Das Volk nahm stetig zu an Zahl, es mühte sich ub in Fabriken
und Bergwerken, aber von dem Reichtum, der sich häufte, floß nichts in seine
Taschen. Eine erbarmungslose Ausbeutung drückte es herab auf ein Leben,
das noch geringer war als ein tierisches Dasein. Je länger je größer wurde
der Abstand zwischen Reich und Arm, Hoch und Niedrig, und die Regierung
sah dein gleichmütig zu. teils aus Hochmut, teils weil sie sich durch schranken¬
loses Gewährenlassen die Mittelklassen zu verbinden glaubte. Solange sie nur
mit den unorganisierten Massen zu thun hatte, brauchte sich die Regierung
nicht zu fürchten. Am 1». Angust 1819 hatte in Manchester eine Abteilung der
Neomanryreitcrei genügt, eine Volksversammlung von 60000 bis 80000 Menschen
Zu sprengen. Aber die Negierung sah auch den Mittelstand sich gegenüber mit
einer Waffe, weit gefährlicher als die Steine des Pöbels, mit der Waffe der
öffentlichen Meinung, die durch das gesprochn«: wie das geschriebn? Wort eine


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[0247] Die britische Regierung Berufe nachkommt, davon geben täglich viele Dutzende von Leitartikeln schmerz¬ liches Zeugnis. Wir wissen es zwar längst, daß alles Zureden dem von seiner Weisheit und Uuübcrtrcfflichkeit durchdruugncn Deutschen gegenüber vergeblich ist, aber leid thun uns solche Lalenbürgerstreiche doch immer wieder von neuem, des Leiters der auswärtigen Politik und des Deutschen Reichs wegen, denen auf diese Weise so beschwerliche Klötze ans Bein gebunden sind. Die britische Regierung Hugo Bartels von(Schluß) n der ganzen Weltgeschichte läßt sich nur die venctinnische Oli¬ garchie' mit der britischen vergleichen. Hier wie dort dieselbe Thatkraft, derselbe Erfolg. Aber die Gefahr der Verknöcherung. die Venedig kraftlos zu einer Beute Bounpartes machte, drohte auch der britischen Regierung. So großes sie geleistet hatte, sie war doch bloß eine Klasscnregieruug, und gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts mehrten sich die Anzeichen, daß sie nicht mehr so wie am An¬ fang den Besitz und die Bildung hinter sich hatte. Der Versuch, die ameri¬ kanischen Kolonien ebenso zu behandeln wie das britische Volk, war mißglückt, doch der Fehlschlag hatte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Daheim blieb alles beim alten, und das Volk wurde mit schwerer Hand niedergehalten. Zur Zeit der französischen Revolution öffentlich von einer Reform des Parlaments zu sprechen, brachte vierzehn Jahre in Botanybai ein, nud die Habeascorvus- akte blieb jahrelang außer Kraft gesetzt. Nach der Zeit des Kampfes gegen Napoleon, die innere Fragen in den Hintergrund gedrängt hatte, trat die Unzufriedenheit in vermehrter Stärke hervor Das Volk nahm stetig zu an Zahl, es mühte sich ub in Fabriken und Bergwerken, aber von dem Reichtum, der sich häufte, floß nichts in seine Taschen. Eine erbarmungslose Ausbeutung drückte es herab auf ein Leben, das noch geringer war als ein tierisches Dasein. Je länger je größer wurde der Abstand zwischen Reich und Arm, Hoch und Niedrig, und die Regierung sah dein gleichmütig zu. teils aus Hochmut, teils weil sie sich durch schranken¬ loses Gewährenlassen die Mittelklassen zu verbinden glaubte. Solange sie nur mit den unorganisierten Massen zu thun hatte, brauchte sich die Regierung nicht zu fürchten. Am 1». Angust 1819 hatte in Manchester eine Abteilung der Neomanryreitcrei genügt, eine Volksversammlung von 60000 bis 80000 Menschen Zu sprengen. Aber die Negierung sah auch den Mittelstand sich gegenüber mit einer Waffe, weit gefährlicher als die Steine des Pöbels, mit der Waffe der öffentlichen Meinung, die durch das gesprochn«: wie das geschriebn? Wort eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/247>, abgerufen am 29.04.2024.