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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Die Grabesruhe der beiden fürstlichen Schwestern in der Lichtenbnrger
Kirche und die über das ganze Schloß ausgebreitete Stille wurde jäh unter¬
brochen im Kometen- und Weinjahre 1811. Damals verlangte Napoleon die
Verwandlung Torgaus in eine Festung ersten Ranges, und so wurde denn das
bis dahin im Torgauer Schlosse untergebrachte Zuchthaus in die Lichtenburg
verlegt. Ehe aber die Sträflinge im April 1812 in den für sie hergerichteten
Fnrstcnsitz einzogen, wurden die Leichen der beiden Kurfürstinnen samt ihrem Epi¬
taphium am 22. September 1811 aus der Schloßkirche abgeholt und in die
ehrwürdige Begräbniskapelle der Wettiner im Dome zu Freiberg übergeführt.

Es ist merkwürdig, daß alle die vier Fürstinnen: Anna, Hedwig, Wil¬
helmine Ernestine und Anna Sophie, die längere Zeit in Lichtenburg Hof
hielten, dänische Prinzessinnen waren. Ihre Vorliebe für Lichtenburg erklärt
fich wohl zum Teil auch daraus, daß sie der ganze Charakter der wald- und
wasserreichen Gegend, die auf dem Strome vorübergleitenden Segel und endlich
auch die Bauart des Schlosses selbst an die am Sunde liegenden heimischen
Königssitze erinnerten. In Dänemark ist die Renaissance ein Jahrhundert
später als in Deutschland durchgerungen; die zahlreichen Heiraten dänischer
Königstöchter nach Sachsen haben der neuen Richtung im Norden mit zum
Siege verholfen, indem sie eine Ungleichung des dänischen Geschmacks an den
sächsischen beförderten. Gewisse Übereinstimmungen zwischen der Annaburg
und Lichtenburg auf der einen und den allerdings weit mächtigern und gro߬
artigern Schlössern Friedrichs II. von Dänemark (1559 bis 1588), Kronborg
und Frederiksborg auf der andern Seite lassen, wenn ich nicht irre, erkennen,
daß damals zahlreiche Fäden zwischen der dänischen und der sächsischen Baukunst
hin- und herliefen. Auch wenn man die unvergleichlichen Schätze des dänischen
Natiounlmuseums in Frederiksborg durchwandert, wird man beim Anblick der
Hausgeräte, des Mobiliars, der Uhren aus dem sechzehnten und siebzehnten
Jahrhundert Schritt für Schritt an die fast ganz entsprechenden Erzeugnisse
sächsischen Kunstfleißes erinnert, die das Dresdner historische Museum bewahrt.




Doktor Vuttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von
Siebzehntes Aapitel
von Duttinüller senior und Duttmüller junior

cum Meister Otaria den alten Duttmüller, alias David Müller, das
"Jnfanterieübel" von Heinrichshnll genannt hätte, so hätte ihm sein
Schwiegersohn Drillhose unzweifelhaft Recht gegeben. Dieser David
Müller war ein gräßlicher Kerl, faul, unzuverlässig und immer etwas
angetrunken, außer in dem Falle, daß er seinen Raptus kriegte und
sich mehrere Tage so schwer betrank, daß nichts mit ihm anzu¬
fangen war. In diesem Falle nahm er Hut und Stock und verschwand eine oder
zwei Wochen, worauf er unglaublich verwahrlost und schmutzig wieder anzukommen


Grenzboten II 1902 gg
Doktor Duttmüller und sein Freund

Die Grabesruhe der beiden fürstlichen Schwestern in der Lichtenbnrger
Kirche und die über das ganze Schloß ausgebreitete Stille wurde jäh unter¬
brochen im Kometen- und Weinjahre 1811. Damals verlangte Napoleon die
Verwandlung Torgaus in eine Festung ersten Ranges, und so wurde denn das
bis dahin im Torgauer Schlosse untergebrachte Zuchthaus in die Lichtenburg
verlegt. Ehe aber die Sträflinge im April 1812 in den für sie hergerichteten
Fnrstcnsitz einzogen, wurden die Leichen der beiden Kurfürstinnen samt ihrem Epi¬
taphium am 22. September 1811 aus der Schloßkirche abgeholt und in die
ehrwürdige Begräbniskapelle der Wettiner im Dome zu Freiberg übergeführt.

Es ist merkwürdig, daß alle die vier Fürstinnen: Anna, Hedwig, Wil¬
helmine Ernestine und Anna Sophie, die längere Zeit in Lichtenburg Hof
hielten, dänische Prinzessinnen waren. Ihre Vorliebe für Lichtenburg erklärt
fich wohl zum Teil auch daraus, daß sie der ganze Charakter der wald- und
wasserreichen Gegend, die auf dem Strome vorübergleitenden Segel und endlich
auch die Bauart des Schlosses selbst an die am Sunde liegenden heimischen
Königssitze erinnerten. In Dänemark ist die Renaissance ein Jahrhundert
später als in Deutschland durchgerungen; die zahlreichen Heiraten dänischer
Königstöchter nach Sachsen haben der neuen Richtung im Norden mit zum
Siege verholfen, indem sie eine Ungleichung des dänischen Geschmacks an den
sächsischen beförderten. Gewisse Übereinstimmungen zwischen der Annaburg
und Lichtenburg auf der einen und den allerdings weit mächtigern und gro߬
artigern Schlössern Friedrichs II. von Dänemark (1559 bis 1588), Kronborg
und Frederiksborg auf der andern Seite lassen, wenn ich nicht irre, erkennen,
daß damals zahlreiche Fäden zwischen der dänischen und der sächsischen Baukunst
hin- und herliefen. Auch wenn man die unvergleichlichen Schätze des dänischen
Natiounlmuseums in Frederiksborg durchwandert, wird man beim Anblick der
Hausgeräte, des Mobiliars, der Uhren aus dem sechzehnten und siebzehnten
Jahrhundert Schritt für Schritt an die fast ganz entsprechenden Erzeugnisse
sächsischen Kunstfleißes erinnert, die das Dresdner historische Museum bewahrt.




Doktor Vuttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von
Siebzehntes Aapitel
von Duttinüller senior und Duttmüller junior

cum Meister Otaria den alten Duttmüller, alias David Müller, das
„Jnfanterieübel" von Heinrichshnll genannt hätte, so hätte ihm sein
Schwiegersohn Drillhose unzweifelhaft Recht gegeben. Dieser David
Müller war ein gräßlicher Kerl, faul, unzuverlässig und immer etwas
angetrunken, außer in dem Falle, daß er seinen Raptus kriegte und
sich mehrere Tage so schwer betrank, daß nichts mit ihm anzu¬
fangen war. In diesem Falle nahm er Hut und Stock und verschwand eine oder
zwei Wochen, worauf er unglaublich verwahrlost und schmutzig wieder anzukommen


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[0281] Doktor Duttmüller und sein Freund Die Grabesruhe der beiden fürstlichen Schwestern in der Lichtenbnrger Kirche und die über das ganze Schloß ausgebreitete Stille wurde jäh unter¬ brochen im Kometen- und Weinjahre 1811. Damals verlangte Napoleon die Verwandlung Torgaus in eine Festung ersten Ranges, und so wurde denn das bis dahin im Torgauer Schlosse untergebrachte Zuchthaus in die Lichtenburg verlegt. Ehe aber die Sträflinge im April 1812 in den für sie hergerichteten Fnrstcnsitz einzogen, wurden die Leichen der beiden Kurfürstinnen samt ihrem Epi¬ taphium am 22. September 1811 aus der Schloßkirche abgeholt und in die ehrwürdige Begräbniskapelle der Wettiner im Dome zu Freiberg übergeführt. Es ist merkwürdig, daß alle die vier Fürstinnen: Anna, Hedwig, Wil¬ helmine Ernestine und Anna Sophie, die längere Zeit in Lichtenburg Hof hielten, dänische Prinzessinnen waren. Ihre Vorliebe für Lichtenburg erklärt fich wohl zum Teil auch daraus, daß sie der ganze Charakter der wald- und wasserreichen Gegend, die auf dem Strome vorübergleitenden Segel und endlich auch die Bauart des Schlosses selbst an die am Sunde liegenden heimischen Königssitze erinnerten. In Dänemark ist die Renaissance ein Jahrhundert später als in Deutschland durchgerungen; die zahlreichen Heiraten dänischer Königstöchter nach Sachsen haben der neuen Richtung im Norden mit zum Siege verholfen, indem sie eine Ungleichung des dänischen Geschmacks an den sächsischen beförderten. Gewisse Übereinstimmungen zwischen der Annaburg und Lichtenburg auf der einen und den allerdings weit mächtigern und gro߬ artigern Schlössern Friedrichs II. von Dänemark (1559 bis 1588), Kronborg und Frederiksborg auf der andern Seite lassen, wenn ich nicht irre, erkennen, daß damals zahlreiche Fäden zwischen der dänischen und der sächsischen Baukunst hin- und herliefen. Auch wenn man die unvergleichlichen Schätze des dänischen Natiounlmuseums in Frederiksborg durchwandert, wird man beim Anblick der Hausgeräte, des Mobiliars, der Uhren aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert Schritt für Schritt an die fast ganz entsprechenden Erzeugnisse sächsischen Kunstfleißes erinnert, die das Dresdner historische Museum bewahrt. Doktor Vuttmüller und sein Freund Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von Siebzehntes Aapitel von Duttinüller senior und Duttmüller junior cum Meister Otaria den alten Duttmüller, alias David Müller, das „Jnfanterieübel" von Heinrichshnll genannt hätte, so hätte ihm sein Schwiegersohn Drillhose unzweifelhaft Recht gegeben. Dieser David Müller war ein gräßlicher Kerl, faul, unzuverlässig und immer etwas angetrunken, außer in dem Falle, daß er seinen Raptus kriegte und sich mehrere Tage so schwer betrank, daß nichts mit ihm anzu¬ fangen war. In diesem Falle nahm er Hut und Stock und verschwand eine oder zwei Wochen, worauf er unglaublich verwahrlost und schmutzig wieder anzukommen Grenzboten II 1902 gg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/281>, abgerufen am 29.04.2024.