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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Der Feind

Szene 1) die aus diesen, ganzen fatalistischen Ideenkreise gezogne Bilanz sehen:
"Was geschehn soll, es wird geschehn! In ganz gemeinen Dingen hängt viel
von Wahl und Wollen ab; aber das höchste, was uns begegnet, kommt wer
weiß woher?"

Wie Variationen über das Heraklitische ^Lox "vA^?rc,) 6"/^"- unter
uus die nachfolgenden Äußerungen des Altmeisters an: "Des Menschen Ver¬
finsterungen und Erleuchtungen macheu sein Schicksal, Es thäte uns not, daß
der Dämon uus täglich am Gängelbande führte und uns sagte und triebe,
was immer zu thun sei. Aber der gute Geist verlaßt uns, und wir sind
schlaff und tappen im Dunkeln. . , . Im übrigen ist der Mensch ein dunkles
Wesen, er weiß nicht, woher er kommt, noch wohin er geht, er weiß wenig
von der Welt und am wenigsten von sich selber!"

"Es ist sicherlich wohlgethan, solchen höhern Einwirkungen nachzugeben,
meint Eckermann, denn das Dämonische scheint so mächtiger Natur zu sein,
daß es am Ende doch Recht behält!"

Allein, Goethe erwidert unerwartet: "Nur muß der Mensch auch wiederum
gegen das Dämonische Recht zu behalten suchen." Und schon im April 1829
hatte er auf eine ähnliche Äußerung Eckermanns, daß man vor allen Dingen
darauf zu achten habe, ob ein Einfluß hinderlich oder förderlich, ob unsrer
Natur angemessen oder ihr zuwider sei, geantwortet: "Das ist es freilich,
worauf es ankommt; aber das ist auch das Schwere: daß unsre bessere Natur
sich kräftig durchhalte und dem Dämon nicht mehr Gewalt einräume, als
billig." (Schluß folgt)




Der Kind

MMM
WM
M! orsichtige Leute nennen, feine kennen ihn nicht. Die christliche Kirche
hat uns über seine Gewohnheiten und Listen überraschende Aufschlüsse
gegeben, und in Kreisen, die dem von ihr ausströmenden Lichte mehr
oder weniger fernstehn, ist über den "Vater der Lüge" manches
gesagt und geschrieben worden, was mehr schlechten Geschmack und
! verderbte Phantasie verrät, als es Sachkenntnis und einsichtiges
Urteil beweist. Dagegen giebt es sehr nette Leute, für die Beelzebub überhaupt
nicht vorhanden ist. So versicherte uus ein Herr, den wir in dieser Angelegenheit
um seine Meinung fragten, ohne jedes Besinne", daß es überhaupt keinen Teufel
gebe, und daß das Übel, das wir in der Welt wcihrnnhmen, nur fadenscheinig und
schadhaft qcwordnes Gutes sei, ähnlich wie die schönsten Kleider im Wege der Ab¬
nutzung von einer Stufe zur andern herabsinken, bis sie schließlich dem Lumpen¬
sammler in die Hände fallen. Da um doch das Fadenscheinig- und Schndhaft-
werden auch ein Übel ist, das uicht in eine vollkommne Welt paßt, so hat die
Versicherung unsers Gewährsmanns keinen großen Eindruck auf uns gemacht, und
die Art, wie er das Vorhandensein des Bösen in der Welt erklärt, hat uns nicht
befriedigt. Er ist Naturphilosoph und Autodidakt, er hat weder Kant noch Spinoza
gelesen.' auch Plato und Aristoteles sind ihm fremd. Da ihm die eigne Überzeugung


Der Feind

Szene 1) die aus diesen, ganzen fatalistischen Ideenkreise gezogne Bilanz sehen:
„Was geschehn soll, es wird geschehn! In ganz gemeinen Dingen hängt viel
von Wahl und Wollen ab; aber das höchste, was uns begegnet, kommt wer
weiß woher?"

Wie Variationen über das Heraklitische ^Lox «vA^?rc,) 6«/^»- unter
uus die nachfolgenden Äußerungen des Altmeisters an: „Des Menschen Ver¬
finsterungen und Erleuchtungen macheu sein Schicksal, Es thäte uns not, daß
der Dämon uus täglich am Gängelbande führte und uns sagte und triebe,
was immer zu thun sei. Aber der gute Geist verlaßt uns, und wir sind
schlaff und tappen im Dunkeln. . , . Im übrigen ist der Mensch ein dunkles
Wesen, er weiß nicht, woher er kommt, noch wohin er geht, er weiß wenig
von der Welt und am wenigsten von sich selber!"

„Es ist sicherlich wohlgethan, solchen höhern Einwirkungen nachzugeben,
meint Eckermann, denn das Dämonische scheint so mächtiger Natur zu sein,
daß es am Ende doch Recht behält!"

Allein, Goethe erwidert unerwartet: „Nur muß der Mensch auch wiederum
gegen das Dämonische Recht zu behalten suchen." Und schon im April 1829
hatte er auf eine ähnliche Äußerung Eckermanns, daß man vor allen Dingen
darauf zu achten habe, ob ein Einfluß hinderlich oder förderlich, ob unsrer
Natur angemessen oder ihr zuwider sei, geantwortet: „Das ist es freilich,
worauf es ankommt; aber das ist auch das Schwere: daß unsre bessere Natur
sich kräftig durchhalte und dem Dämon nicht mehr Gewalt einräume, als
billig." (Schluß folgt)




Der Kind

MMM
WM
M! orsichtige Leute nennen, feine kennen ihn nicht. Die christliche Kirche
hat uns über seine Gewohnheiten und Listen überraschende Aufschlüsse
gegeben, und in Kreisen, die dem von ihr ausströmenden Lichte mehr
oder weniger fernstehn, ist über den „Vater der Lüge" manches
gesagt und geschrieben worden, was mehr schlechten Geschmack und
! verderbte Phantasie verrät, als es Sachkenntnis und einsichtiges
Urteil beweist. Dagegen giebt es sehr nette Leute, für die Beelzebub überhaupt
nicht vorhanden ist. So versicherte uus ein Herr, den wir in dieser Angelegenheit
um seine Meinung fragten, ohne jedes Besinne», daß es überhaupt keinen Teufel
gebe, und daß das Übel, das wir in der Welt wcihrnnhmen, nur fadenscheinig und
schadhaft qcwordnes Gutes sei, ähnlich wie die schönsten Kleider im Wege der Ab¬
nutzung von einer Stufe zur andern herabsinken, bis sie schließlich dem Lumpen¬
sammler in die Hände fallen. Da um doch das Fadenscheinig- und Schndhaft-
werden auch ein Übel ist, das uicht in eine vollkommne Welt paßt, so hat die
Versicherung unsers Gewährsmanns keinen großen Eindruck auf uns gemacht, und
die Art, wie er das Vorhandensein des Bösen in der Welt erklärt, hat uns nicht
befriedigt. Er ist Naturphilosoph und Autodidakt, er hat weder Kant noch Spinoza
gelesen.' auch Plato und Aristoteles sind ihm fremd. Da ihm die eigne Überzeugung


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[0333] Der Feind Szene 1) die aus diesen, ganzen fatalistischen Ideenkreise gezogne Bilanz sehen: „Was geschehn soll, es wird geschehn! In ganz gemeinen Dingen hängt viel von Wahl und Wollen ab; aber das höchste, was uns begegnet, kommt wer weiß woher?" Wie Variationen über das Heraklitische ^Lox «vA^?rc,) 6«/^»- unter uus die nachfolgenden Äußerungen des Altmeisters an: „Des Menschen Ver¬ finsterungen und Erleuchtungen macheu sein Schicksal, Es thäte uns not, daß der Dämon uus täglich am Gängelbande führte und uns sagte und triebe, was immer zu thun sei. Aber der gute Geist verlaßt uns, und wir sind schlaff und tappen im Dunkeln. . , . Im übrigen ist der Mensch ein dunkles Wesen, er weiß nicht, woher er kommt, noch wohin er geht, er weiß wenig von der Welt und am wenigsten von sich selber!" „Es ist sicherlich wohlgethan, solchen höhern Einwirkungen nachzugeben, meint Eckermann, denn das Dämonische scheint so mächtiger Natur zu sein, daß es am Ende doch Recht behält!" Allein, Goethe erwidert unerwartet: „Nur muß der Mensch auch wiederum gegen das Dämonische Recht zu behalten suchen." Und schon im April 1829 hatte er auf eine ähnliche Äußerung Eckermanns, daß man vor allen Dingen darauf zu achten habe, ob ein Einfluß hinderlich oder förderlich, ob unsrer Natur angemessen oder ihr zuwider sei, geantwortet: „Das ist es freilich, worauf es ankommt; aber das ist auch das Schwere: daß unsre bessere Natur sich kräftig durchhalte und dem Dämon nicht mehr Gewalt einräume, als billig." (Schluß folgt) Der Kind MMM WM M! orsichtige Leute nennen, feine kennen ihn nicht. Die christliche Kirche hat uns über seine Gewohnheiten und Listen überraschende Aufschlüsse gegeben, und in Kreisen, die dem von ihr ausströmenden Lichte mehr oder weniger fernstehn, ist über den „Vater der Lüge" manches gesagt und geschrieben worden, was mehr schlechten Geschmack und ! verderbte Phantasie verrät, als es Sachkenntnis und einsichtiges Urteil beweist. Dagegen giebt es sehr nette Leute, für die Beelzebub überhaupt nicht vorhanden ist. So versicherte uus ein Herr, den wir in dieser Angelegenheit um seine Meinung fragten, ohne jedes Besinne», daß es überhaupt keinen Teufel gebe, und daß das Übel, das wir in der Welt wcihrnnhmen, nur fadenscheinig und schadhaft qcwordnes Gutes sei, ähnlich wie die schönsten Kleider im Wege der Ab¬ nutzung von einer Stufe zur andern herabsinken, bis sie schließlich dem Lumpen¬ sammler in die Hände fallen. Da um doch das Fadenscheinig- und Schndhaft- werden auch ein Übel ist, das uicht in eine vollkommne Welt paßt, so hat die Versicherung unsers Gewährsmanns keinen großen Eindruck auf uns gemacht, und die Art, wie er das Vorhandensein des Bösen in der Welt erklärt, hat uns nicht befriedigt. Er ist Naturphilosoph und Autodidakt, er hat weder Kant noch Spinoza gelesen.' auch Plato und Aristoteles sind ihm fremd. Da ihm die eigne Überzeugung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/333>, abgerufen am 29.04.2024.