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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Über den Begriff des Dämonischen bei Goethe

zieht sich, wie man sieht, doch die allmähliche Befreiung der ganzen böhmischen
Bauernschaft. Was aber deren Erziehung zu modernen Landwirten anlangt,
so werden dem etwas josephinischen Verfahren der Regierung einzelne Härten
wohl nicht fehlen; ebenso mögen solche bei der Einführung der Geldwirtschaft
an Stelle der Naturalwirtschaft mit untergelaufen sein, und auch die Fest¬
legung der Besitzverhültnisse mag solche mit sich geführt haben. Aber wenn
man auch an der amtlichen Darstellung die durch die Kritik gebotnen Abzüge
und Zusätze macht, so bleibt doch noch Ruhm genug für die österreichische
Landesregierung. Die Einwendungen, die Niknschinowitsch gegen sie erhoben
hat, wird sie mit Vorteil im einzelnen selber prüfen, um aus ihnen Nutzen
zu ziehn, so feindselig auch die Gesinnung ist, aus der dieses Pamphlet gegen
die leitenden Leute, Herrn von Kallay und Kntschera, hervorgegangen ist. Das
Gesamturteil, das Nikaschinowitsch über die höhnisch-herzegowinischc Landes-
regierung füllt, erweist sich aber an der Hand der vorliegenden Akten als
gänzlich verfehlt. Wenn anch spät und langsam sucht mau hier das zu ver¬
wirkliche!?, was der ruhmvolle erste Organisator dieses österreichischen Ren¬
tamtes, Herzog Wilhelm von Württemberg, gefordert hat; und wenn er heute
wieder in das Land käme, das er im Unmut verlassen und bis zu seinem Tode
nicht mehr gesehen hat, würde er gewiß mit Genugthuung anerkennen, das;
Osterreich wenigstens auf einem guten Wege ist zur Lösung der hier übcr-
nommnen Knlturciufgabc. Ihre Lösung wäre aber nicht nnr ein örtlicher
Erfolg des Kaiserstaates, sondern würde seinem Einfluß auf der ganzen Balkan-
halbinsel in einem hohen Grade zu gute kommen, worüber sich niemand mehr
freuen würde als das gesamte deutsche Volk.


L. Ad. Fetz er


Über den Begriff des Dämonischen bei Goethe
Heinrich von Schoelcr von (Schluß)

in 24. März desselben Jahres spricht Goethe das entscheidende,
zusammenfassende Wort: "Je höher ein Mensch, desto mehr
steht er unter dem Einfluß des Dämonischen, und er muß nur
immer aufpassen, daß sein leitender Wille nicht auf Abwege
gerate."

Wir gelangen damit zum zweiten Punkte der Goethischen Weseus-
bestimmung des Dämonischen: nämlich daß es in den Personen als mächtiger
Naturinstinkt wirke. ,,Das Dämonische wirft sich gern in bedeutende Indi¬
viduen, erklärt er am 8. Mürz 1831, vorzüglich, wenn sie eine hohe Stellung
haben, wie Friedrich und Peter der Große." "Auch wählt es sich meist etwas
dunkle Zeiten: in einer klaren, prosaischen Stadt wie Berlin fände es keine
Gelegenheit, sich zu manifestieren" (30. März 1830). Und am 6. Dezember
1829, in einem Gespräch über den zweiten Teil des Faust, entwickelt er eine
eigentümliche Theorie über das Erscheinen des Dämonischen in den Personen.


Über den Begriff des Dämonischen bei Goethe

zieht sich, wie man sieht, doch die allmähliche Befreiung der ganzen böhmischen
Bauernschaft. Was aber deren Erziehung zu modernen Landwirten anlangt,
so werden dem etwas josephinischen Verfahren der Regierung einzelne Härten
wohl nicht fehlen; ebenso mögen solche bei der Einführung der Geldwirtschaft
an Stelle der Naturalwirtschaft mit untergelaufen sein, und auch die Fest¬
legung der Besitzverhültnisse mag solche mit sich geführt haben. Aber wenn
man auch an der amtlichen Darstellung die durch die Kritik gebotnen Abzüge
und Zusätze macht, so bleibt doch noch Ruhm genug für die österreichische
Landesregierung. Die Einwendungen, die Niknschinowitsch gegen sie erhoben
hat, wird sie mit Vorteil im einzelnen selber prüfen, um aus ihnen Nutzen
zu ziehn, so feindselig auch die Gesinnung ist, aus der dieses Pamphlet gegen
die leitenden Leute, Herrn von Kallay und Kntschera, hervorgegangen ist. Das
Gesamturteil, das Nikaschinowitsch über die höhnisch-herzegowinischc Landes-
regierung füllt, erweist sich aber an der Hand der vorliegenden Akten als
gänzlich verfehlt. Wenn anch spät und langsam sucht mau hier das zu ver¬
wirkliche!?, was der ruhmvolle erste Organisator dieses österreichischen Ren¬
tamtes, Herzog Wilhelm von Württemberg, gefordert hat; und wenn er heute
wieder in das Land käme, das er im Unmut verlassen und bis zu seinem Tode
nicht mehr gesehen hat, würde er gewiß mit Genugthuung anerkennen, das;
Osterreich wenigstens auf einem guten Wege ist zur Lösung der hier übcr-
nommnen Knlturciufgabc. Ihre Lösung wäre aber nicht nnr ein örtlicher
Erfolg des Kaiserstaates, sondern würde seinem Einfluß auf der ganzen Balkan-
halbinsel in einem hohen Grade zu gute kommen, worüber sich niemand mehr
freuen würde als das gesamte deutsche Volk.


L. Ad. Fetz er


Über den Begriff des Dämonischen bei Goethe
Heinrich von Schoelcr von (Schluß)

in 24. März desselben Jahres spricht Goethe das entscheidende,
zusammenfassende Wort: „Je höher ein Mensch, desto mehr
steht er unter dem Einfluß des Dämonischen, und er muß nur
immer aufpassen, daß sein leitender Wille nicht auf Abwege
gerate."

Wir gelangen damit zum zweiten Punkte der Goethischen Weseus-
bestimmung des Dämonischen: nämlich daß es in den Personen als mächtiger
Naturinstinkt wirke. ,,Das Dämonische wirft sich gern in bedeutende Indi¬
viduen, erklärt er am 8. Mürz 1831, vorzüglich, wenn sie eine hohe Stellung
haben, wie Friedrich und Peter der Große." „Auch wählt es sich meist etwas
dunkle Zeiten: in einer klaren, prosaischen Stadt wie Berlin fände es keine
Gelegenheit, sich zu manifestieren" (30. März 1830). Und am 6. Dezember
1829, in einem Gespräch über den zweiten Teil des Faust, entwickelt er eine
eigentümliche Theorie über das Erscheinen des Dämonischen in den Personen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/372>, abgerufen am 29.04.2024.