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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Inszenierung

da. Das thun wir bereitwillig da, wo solche Fragmente eines Ganzen aus
dem Helldunkel bis zur erkennbaren Deutlichkeit emporsteigen, wie so häufig
in Gemälden oder auf graphischen Blättern. Dort nehmen wir die Erscheinung
zweier von Natur nicht aneinandergewachsener Körperteile anstandslos als
Zeichen für die Anwesenheit oder Annäherung, für das Sichtbarwerden des
ganzen Wesens hin, zumal da, wo es nur auf die Träger des Ausdrucks
ankommt, und das Übrige nichts weiter zu schaffen hat. Aber ein Bildhauer,
der plastisch denkende .Künstler, wird sogar im Relief eine solche Kombination
verschmähen, weil an ihr sein bestes fehlt: der organische Zusammenhang des
Gewächses, dessen Schönheit ihm über alles geht. Es kam darauf an, dies
zu betonen; denn es offenbart, daß an dieser Stelle ein Übertritt der
schöpferischen Phantasie des Künstlers aus dem einen Gebiet auf das andre
stattgefunden hat, nämlich aus der klaren und konsequenten Anschaulichkeit
der Körperwelt und ihrem dauernden Bestände in die unbestimmtere und
transitorische Erscheinungswelt des Malers, oder gar die noch veränderlichere
verschwimmende Auffassung der auch mit Andeutungen und Abbreviaturen
aller Art sich verquickenden Zeichnung, die ihrerseits so unvermerkt aus dem
freien Spiel der anschaulichen Phantasie in das unsichtbare Reich der geistigen
Vorstellung hinübergleitet.

Damit sind wir im vollen Zuge der sonstigen Zuthaten, die Klinger
herbeigezogen hat, um die Bedeutung seiner Gestalt dem Geiste des Betrachters
weiter zu vermitteln.

(Schluß folgt)




Inszenierung

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M>AM VM
FM?M.M/ ?es habe vor Jahr und Tag in einer großen deutschen Prollinzstadt
einer Aufführung des Weberschen Oberen beigewohnt, von der mir
eine schreckliche Erinnerung geblieben ist, nicht weil das Orchester,
die mitwirkenden ersten Kräfte oder die Chöre ungenießbar gewesen
wären, sondern weil der Gesamteindruck der Vorstellung infolge
der schlechten Inszenierung so ganz unter aller Würde our, daß
ich diese als "stockgemein" bezeichnen würde, wenn der Ausdruck nicht auf eine
lieblose Absicht schließen lassen könnte, die mir durchaus fern liegt. Wenig Abende
später wurden in demselben Theater drei Lustspiele gegeben, deren Wiedergabe mir
einen vortrefflichen Eindruck gemacht hat. Der große Abstand, den ich hierbei
zwischen den Leistungen guter Künstler ans ein und derselben Bühne wahrgenommen
habe, hat mich von neuem davon überzeugt, wie wenig Recht die haben, die sich
bemühen, uns die Inszenierung als etwas Nebensächliches, mit dem Wesen der
Kunst nicht Zusammenhängendes darzustellen.

Ich gehe bei der allgemeinen Würdigung des Theaterbesuchs von der bescheidnen
Annahme ans, daß er eine Zerstreuung ist. und daß man von dem gebotnen
Genusse leine Wunder, sondern die Befriedigung der uns allen gemeinsamen Hor-
nnd Schaulust auf einer Stufe erwarten soll, unter die der Geschmack des gebildeten
Durchschnittspnbliknms herabzngchn verbietet. Mit diesem Standpunkt werden sich


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da. Das thun wir bereitwillig da, wo solche Fragmente eines Ganzen aus
dem Helldunkel bis zur erkennbaren Deutlichkeit emporsteigen, wie so häufig
in Gemälden oder auf graphischen Blättern. Dort nehmen wir die Erscheinung
zweier von Natur nicht aneinandergewachsener Körperteile anstandslos als
Zeichen für die Anwesenheit oder Annäherung, für das Sichtbarwerden des
ganzen Wesens hin, zumal da, wo es nur auf die Träger des Ausdrucks
ankommt, und das Übrige nichts weiter zu schaffen hat. Aber ein Bildhauer,
der plastisch denkende .Künstler, wird sogar im Relief eine solche Kombination
verschmähen, weil an ihr sein bestes fehlt: der organische Zusammenhang des
Gewächses, dessen Schönheit ihm über alles geht. Es kam darauf an, dies
zu betonen; denn es offenbart, daß an dieser Stelle ein Übertritt der
schöpferischen Phantasie des Künstlers aus dem einen Gebiet auf das andre
stattgefunden hat, nämlich aus der klaren und konsequenten Anschaulichkeit
der Körperwelt und ihrem dauernden Bestände in die unbestimmtere und
transitorische Erscheinungswelt des Malers, oder gar die noch veränderlichere
verschwimmende Auffassung der auch mit Andeutungen und Abbreviaturen
aller Art sich verquickenden Zeichnung, die ihrerseits so unvermerkt aus dem
freien Spiel der anschaulichen Phantasie in das unsichtbare Reich der geistigen
Vorstellung hinübergleitet.

Damit sind wir im vollen Zuge der sonstigen Zuthaten, die Klinger
herbeigezogen hat, um die Bedeutung seiner Gestalt dem Geiste des Betrachters
weiter zu vermitteln.

(Schluß folgt)




Inszenierung

/'x^-Ä M^M''
M>AM VM
FM?M.M/ ?es habe vor Jahr und Tag in einer großen deutschen Prollinzstadt
einer Aufführung des Weberschen Oberen beigewohnt, von der mir
eine schreckliche Erinnerung geblieben ist, nicht weil das Orchester,
die mitwirkenden ersten Kräfte oder die Chöre ungenießbar gewesen
wären, sondern weil der Gesamteindruck der Vorstellung infolge
der schlechten Inszenierung so ganz unter aller Würde our, daß
ich diese als „stockgemein" bezeichnen würde, wenn der Ausdruck nicht auf eine
lieblose Absicht schließen lassen könnte, die mir durchaus fern liegt. Wenig Abende
später wurden in demselben Theater drei Lustspiele gegeben, deren Wiedergabe mir
einen vortrefflichen Eindruck gemacht hat. Der große Abstand, den ich hierbei
zwischen den Leistungen guter Künstler ans ein und derselben Bühne wahrgenommen
habe, hat mich von neuem davon überzeugt, wie wenig Recht die haben, die sich
bemühen, uns die Inszenierung als etwas Nebensächliches, mit dem Wesen der
Kunst nicht Zusammenhängendes darzustellen.

Ich gehe bei der allgemeinen Würdigung des Theaterbesuchs von der bescheidnen
Annahme ans, daß er eine Zerstreuung ist. und daß man von dem gebotnen
Genusse leine Wunder, sondern die Befriedigung der uns allen gemeinsamen Hor-
nnd Schaulust auf einer Stufe erwarten soll, unter die der Geschmack des gebildeten
Durchschnittspnbliknms herabzngchn verbietet. Mit diesem Standpunkt werden sich


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[0389] Inszenierung da. Das thun wir bereitwillig da, wo solche Fragmente eines Ganzen aus dem Helldunkel bis zur erkennbaren Deutlichkeit emporsteigen, wie so häufig in Gemälden oder auf graphischen Blättern. Dort nehmen wir die Erscheinung zweier von Natur nicht aneinandergewachsener Körperteile anstandslos als Zeichen für die Anwesenheit oder Annäherung, für das Sichtbarwerden des ganzen Wesens hin, zumal da, wo es nur auf die Träger des Ausdrucks ankommt, und das Übrige nichts weiter zu schaffen hat. Aber ein Bildhauer, der plastisch denkende .Künstler, wird sogar im Relief eine solche Kombination verschmähen, weil an ihr sein bestes fehlt: der organische Zusammenhang des Gewächses, dessen Schönheit ihm über alles geht. Es kam darauf an, dies zu betonen; denn es offenbart, daß an dieser Stelle ein Übertritt der schöpferischen Phantasie des Künstlers aus dem einen Gebiet auf das andre stattgefunden hat, nämlich aus der klaren und konsequenten Anschaulichkeit der Körperwelt und ihrem dauernden Bestände in die unbestimmtere und transitorische Erscheinungswelt des Malers, oder gar die noch veränderlichere verschwimmende Auffassung der auch mit Andeutungen und Abbreviaturen aller Art sich verquickenden Zeichnung, die ihrerseits so unvermerkt aus dem freien Spiel der anschaulichen Phantasie in das unsichtbare Reich der geistigen Vorstellung hinübergleitet. Damit sind wir im vollen Zuge der sonstigen Zuthaten, die Klinger herbeigezogen hat, um die Bedeutung seiner Gestalt dem Geiste des Betrachters weiter zu vermitteln. (Schluß folgt) Inszenierung /'x^-Ä M^M'' M>AM VM FM?M.M/ ?es habe vor Jahr und Tag in einer großen deutschen Prollinzstadt einer Aufführung des Weberschen Oberen beigewohnt, von der mir eine schreckliche Erinnerung geblieben ist, nicht weil das Orchester, die mitwirkenden ersten Kräfte oder die Chöre ungenießbar gewesen wären, sondern weil der Gesamteindruck der Vorstellung infolge der schlechten Inszenierung so ganz unter aller Würde our, daß ich diese als „stockgemein" bezeichnen würde, wenn der Ausdruck nicht auf eine lieblose Absicht schließen lassen könnte, die mir durchaus fern liegt. Wenig Abende später wurden in demselben Theater drei Lustspiele gegeben, deren Wiedergabe mir einen vortrefflichen Eindruck gemacht hat. Der große Abstand, den ich hierbei zwischen den Leistungen guter Künstler ans ein und derselben Bühne wahrgenommen habe, hat mich von neuem davon überzeugt, wie wenig Recht die haben, die sich bemühen, uns die Inszenierung als etwas Nebensächliches, mit dem Wesen der Kunst nicht Zusammenhängendes darzustellen. Ich gehe bei der allgemeinen Würdigung des Theaterbesuchs von der bescheidnen Annahme ans, daß er eine Zerstreuung ist. und daß man von dem gebotnen Genusse leine Wunder, sondern die Befriedigung der uns allen gemeinsamen Hor- nnd Schaulust auf einer Stufe erwarten soll, unter die der Geschmack des gebildeten Durchschnittspnbliknms herabzngchn verbietet. Mit diesem Standpunkt werden sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/389>, abgerufen am 29.04.2024.