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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgeliliches

über die Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode auf die Religionsgeschichte
beigiebt, so erwartet man, er werde dem Kollegen sagen: dn hast nicht bloß in
deiner Kritik der christlichen Religion, sondern sogar in deinem eignen Fach gegen
die naturwissenschaftliche Methode gesündigt. Dem befreundeten Kollegen so grob
zu kommen, hat er jedoch nicht übers Herz gebracht. Immerhin aber sagt er ihm
ziemlich derb, daß er sich leichtgläubig von unkritischen Autoritäten hat hineinlegen
lassen, und ermahnt ihn, in Zukunft seine Waffen nicht gegen das Christentum,
sondern bloß gegen die Obskuranten zu kehren, die das Christentum mißbrauchen.


Die Berufsarbeit des Weibes.

Vielleicht trägt es einiges dazu bei, ein
besonnenes Urteil über die Frauenbewegung zu erleichtern, wenn wir auf den Unter¬
schied zwischen den zwei Fragen aufmerksam machen: Sollen auch Bciuerujuugen
studieren? Sollen alle Bnuernjungen studieren? Fest steht, daß viele Frauen zu
Berufsthätigkeiten verschiedner Art Lust haben, und daß einzelne für gewisse Berufs¬
thätigkeiten hervorragend befähigt sind. Fest steht ferner, daß viele Frauen ge¬
zwungen sind, sich ihr Brot zu verdienen. Fest steht endlich, daß der Beruf der
Mutter und Hauswirtin die meisten der Frauen, die so glücklich sind, Kinder und
einen eignen Haushalt zu bekommen, nur einige Jahre vollständig in Anspruch
nimmt, und daß es kein idealer Zustand ist, wenn sie die größere Hälfte ihres Lebens
ihre Zeit in geschäftigem Müßiggang totschlagen. Die Bauernfrauen haben zu alleu
Zeiten die Frage in der Weise gelöst, daß sie sich mit dem Manne in die Berufs¬
arbeit teilen, was in den meisten übrigen Berufen leider nicht möglich ist. Die
durch ihre Agitation für den Schutz arbeitender Frauen bekannte Helene Simon
und die weniger bekannte Adele Gerhard haben (bei Georg Reimer in Berlin 1901)
ein Buch über die große Streitfrage herausgegeben: Mutterschaft und geistige
Arbeit. Eine psychologische und soziologische Studie auf Grundlage einer inter¬
nationalen Erhebung mit Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung. Das Buch
hat viel Arbeit gekostet und bezeugt gründliches Wissen. Dazu ist es ein höchst
interessantes und unterhaltendes Buch, denn es besteht zum größten Teil aus Hunderten
von biographischen Skizzen und Bekenntnissen bedeutender Frauen der Vergangen¬
heit und der Gegenwart. Wir wollen diesen Schatz nicht plündern; wer von unsern
Leserinnen sich daran erfreuen und Belehrung daraus schöpfen null, mag sich das
Werk kaufen. Nur das eine müssen wir mitteilen, daß die den Grenzbotenlesern
bekannte Magdalene Thoresen zu den Frauen gehört, die die glücklichste Lösung
des Konflikts zwischen der Mutterpflicht und der durch die Himmelsgabe des Genies
auferlegten Pflicht gefunden haben, indem sie den Beruf, zu dem ihr Talent sie
drängt, erst auszuüben anfangen, nachdem ihre Kinder herangewachsen sind. Die
Verfasserinnen schließen, wie schon der Titel meldet, die körperliche Arbeit von ihren
Untersuchungen aus und zeigen an den mitgeteilten Beispielen, in welchem Grade
und in welcher besondern Weise jeder der den Frauen zugänglichen künstlerischen,
wissenschaftlichen und Bcamtenberufe mit ihrem Mutterberufe vereinbar ist oder in
Konflikt gerät. Die unvermeidlichen, oft tragisch verlaufenden Konflikte werden weder
geleugnet noch abgeschwächt, es wird vielmehr der Grundsatz aufgestellt: die Unter¬
drückung des Schaffenstriebes würde eine nicht minder unbillige Beeinträchtigung
Frau bedeuten als die Verkümmerung ihres Geschlechtslebens und würde zudem
die Allgemeinheit schädigen; wenn ein unersetzlicher Kulturwert in Frage kommt,
lo ist für die Berufsarbeit zu entscheiden, mag auch der Mutterberuf darunter
leiden. Das ist z. B. der Fall, wenn die Frau eine Schauspielerin oder Sängerin
^'n hervorragender Begabung ist. obgleich sich gerade der Beruf der Schauspielerin
u"d der Sängerin mit der Erfüllung der Mutterpflichten schlechter verträgt als
leder andre. (Nämlich der der Opcrnsängerin; bei der Konzertsängerin hat der
Miitterberuf weit weniger zu leiden.) Man wird diesem Grundsatze beistimmen
können, aber wohl fragen dürfen, ob gerade beim Schauspiel unersetzliche Kultnr-
werte in Frage kommen Das unersetzliche Gut, das dem Primaner sein Schiller,
de>" gereiften Manne sein Goethe oder sein Shakespeare beschert, wird durch den


Maßgebliches und Unmaßgeliliches

über die Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode auf die Religionsgeschichte
beigiebt, so erwartet man, er werde dem Kollegen sagen: dn hast nicht bloß in
deiner Kritik der christlichen Religion, sondern sogar in deinem eignen Fach gegen
die naturwissenschaftliche Methode gesündigt. Dem befreundeten Kollegen so grob
zu kommen, hat er jedoch nicht übers Herz gebracht. Immerhin aber sagt er ihm
ziemlich derb, daß er sich leichtgläubig von unkritischen Autoritäten hat hineinlegen
lassen, und ermahnt ihn, in Zukunft seine Waffen nicht gegen das Christentum,
sondern bloß gegen die Obskuranten zu kehren, die das Christentum mißbrauchen.


Die Berufsarbeit des Weibes.

Vielleicht trägt es einiges dazu bei, ein
besonnenes Urteil über die Frauenbewegung zu erleichtern, wenn wir auf den Unter¬
schied zwischen den zwei Fragen aufmerksam machen: Sollen auch Bciuerujuugen
studieren? Sollen alle Bnuernjungen studieren? Fest steht, daß viele Frauen zu
Berufsthätigkeiten verschiedner Art Lust haben, und daß einzelne für gewisse Berufs¬
thätigkeiten hervorragend befähigt sind. Fest steht ferner, daß viele Frauen ge¬
zwungen sind, sich ihr Brot zu verdienen. Fest steht endlich, daß der Beruf der
Mutter und Hauswirtin die meisten der Frauen, die so glücklich sind, Kinder und
einen eignen Haushalt zu bekommen, nur einige Jahre vollständig in Anspruch
nimmt, und daß es kein idealer Zustand ist, wenn sie die größere Hälfte ihres Lebens
ihre Zeit in geschäftigem Müßiggang totschlagen. Die Bauernfrauen haben zu alleu
Zeiten die Frage in der Weise gelöst, daß sie sich mit dem Manne in die Berufs¬
arbeit teilen, was in den meisten übrigen Berufen leider nicht möglich ist. Die
durch ihre Agitation für den Schutz arbeitender Frauen bekannte Helene Simon
und die weniger bekannte Adele Gerhard haben (bei Georg Reimer in Berlin 1901)
ein Buch über die große Streitfrage herausgegeben: Mutterschaft und geistige
Arbeit. Eine psychologische und soziologische Studie auf Grundlage einer inter¬
nationalen Erhebung mit Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung. Das Buch
hat viel Arbeit gekostet und bezeugt gründliches Wissen. Dazu ist es ein höchst
interessantes und unterhaltendes Buch, denn es besteht zum größten Teil aus Hunderten
von biographischen Skizzen und Bekenntnissen bedeutender Frauen der Vergangen¬
heit und der Gegenwart. Wir wollen diesen Schatz nicht plündern; wer von unsern
Leserinnen sich daran erfreuen und Belehrung daraus schöpfen null, mag sich das
Werk kaufen. Nur das eine müssen wir mitteilen, daß die den Grenzbotenlesern
bekannte Magdalene Thoresen zu den Frauen gehört, die die glücklichste Lösung
des Konflikts zwischen der Mutterpflicht und der durch die Himmelsgabe des Genies
auferlegten Pflicht gefunden haben, indem sie den Beruf, zu dem ihr Talent sie
drängt, erst auszuüben anfangen, nachdem ihre Kinder herangewachsen sind. Die
Verfasserinnen schließen, wie schon der Titel meldet, die körperliche Arbeit von ihren
Untersuchungen aus und zeigen an den mitgeteilten Beispielen, in welchem Grade
und in welcher besondern Weise jeder der den Frauen zugänglichen künstlerischen,
wissenschaftlichen und Bcamtenberufe mit ihrem Mutterberufe vereinbar ist oder in
Konflikt gerät. Die unvermeidlichen, oft tragisch verlaufenden Konflikte werden weder
geleugnet noch abgeschwächt, es wird vielmehr der Grundsatz aufgestellt: die Unter¬
drückung des Schaffenstriebes würde eine nicht minder unbillige Beeinträchtigung
Frau bedeuten als die Verkümmerung ihres Geschlechtslebens und würde zudem
die Allgemeinheit schädigen; wenn ein unersetzlicher Kulturwert in Frage kommt,
lo ist für die Berufsarbeit zu entscheiden, mag auch der Mutterberuf darunter
leiden. Das ist z. B. der Fall, wenn die Frau eine Schauspielerin oder Sängerin
^'n hervorragender Begabung ist. obgleich sich gerade der Beruf der Schauspielerin
u»d der Sängerin mit der Erfüllung der Mutterpflichten schlechter verträgt als
leder andre. (Nämlich der der Opcrnsängerin; bei der Konzertsängerin hat der
Miitterberuf weit weniger zu leiden.) Man wird diesem Grundsatze beistimmen
können, aber wohl fragen dürfen, ob gerade beim Schauspiel unersetzliche Kultnr-
werte in Frage kommen Das unersetzliche Gut, das dem Primaner sein Schiller,
de>" gereiften Manne sein Goethe oder sein Shakespeare beschert, wird durch den


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[0519] Maßgebliches und Unmaßgeliliches über die Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode auf die Religionsgeschichte beigiebt, so erwartet man, er werde dem Kollegen sagen: dn hast nicht bloß in deiner Kritik der christlichen Religion, sondern sogar in deinem eignen Fach gegen die naturwissenschaftliche Methode gesündigt. Dem befreundeten Kollegen so grob zu kommen, hat er jedoch nicht übers Herz gebracht. Immerhin aber sagt er ihm ziemlich derb, daß er sich leichtgläubig von unkritischen Autoritäten hat hineinlegen lassen, und ermahnt ihn, in Zukunft seine Waffen nicht gegen das Christentum, sondern bloß gegen die Obskuranten zu kehren, die das Christentum mißbrauchen. Die Berufsarbeit des Weibes. Vielleicht trägt es einiges dazu bei, ein besonnenes Urteil über die Frauenbewegung zu erleichtern, wenn wir auf den Unter¬ schied zwischen den zwei Fragen aufmerksam machen: Sollen auch Bciuerujuugen studieren? Sollen alle Bnuernjungen studieren? Fest steht, daß viele Frauen zu Berufsthätigkeiten verschiedner Art Lust haben, und daß einzelne für gewisse Berufs¬ thätigkeiten hervorragend befähigt sind. Fest steht ferner, daß viele Frauen ge¬ zwungen sind, sich ihr Brot zu verdienen. Fest steht endlich, daß der Beruf der Mutter und Hauswirtin die meisten der Frauen, die so glücklich sind, Kinder und einen eignen Haushalt zu bekommen, nur einige Jahre vollständig in Anspruch nimmt, und daß es kein idealer Zustand ist, wenn sie die größere Hälfte ihres Lebens ihre Zeit in geschäftigem Müßiggang totschlagen. Die Bauernfrauen haben zu alleu Zeiten die Frage in der Weise gelöst, daß sie sich mit dem Manne in die Berufs¬ arbeit teilen, was in den meisten übrigen Berufen leider nicht möglich ist. Die durch ihre Agitation für den Schutz arbeitender Frauen bekannte Helene Simon und die weniger bekannte Adele Gerhard haben (bei Georg Reimer in Berlin 1901) ein Buch über die große Streitfrage herausgegeben: Mutterschaft und geistige Arbeit. Eine psychologische und soziologische Studie auf Grundlage einer inter¬ nationalen Erhebung mit Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung. Das Buch hat viel Arbeit gekostet und bezeugt gründliches Wissen. Dazu ist es ein höchst interessantes und unterhaltendes Buch, denn es besteht zum größten Teil aus Hunderten von biographischen Skizzen und Bekenntnissen bedeutender Frauen der Vergangen¬ heit und der Gegenwart. Wir wollen diesen Schatz nicht plündern; wer von unsern Leserinnen sich daran erfreuen und Belehrung daraus schöpfen null, mag sich das Werk kaufen. Nur das eine müssen wir mitteilen, daß die den Grenzbotenlesern bekannte Magdalene Thoresen zu den Frauen gehört, die die glücklichste Lösung des Konflikts zwischen der Mutterpflicht und der durch die Himmelsgabe des Genies auferlegten Pflicht gefunden haben, indem sie den Beruf, zu dem ihr Talent sie drängt, erst auszuüben anfangen, nachdem ihre Kinder herangewachsen sind. Die Verfasserinnen schließen, wie schon der Titel meldet, die körperliche Arbeit von ihren Untersuchungen aus und zeigen an den mitgeteilten Beispielen, in welchem Grade und in welcher besondern Weise jeder der den Frauen zugänglichen künstlerischen, wissenschaftlichen und Bcamtenberufe mit ihrem Mutterberufe vereinbar ist oder in Konflikt gerät. Die unvermeidlichen, oft tragisch verlaufenden Konflikte werden weder geleugnet noch abgeschwächt, es wird vielmehr der Grundsatz aufgestellt: die Unter¬ drückung des Schaffenstriebes würde eine nicht minder unbillige Beeinträchtigung Frau bedeuten als die Verkümmerung ihres Geschlechtslebens und würde zudem die Allgemeinheit schädigen; wenn ein unersetzlicher Kulturwert in Frage kommt, lo ist für die Berufsarbeit zu entscheiden, mag auch der Mutterberuf darunter leiden. Das ist z. B. der Fall, wenn die Frau eine Schauspielerin oder Sängerin ^'n hervorragender Begabung ist. obgleich sich gerade der Beruf der Schauspielerin u»d der Sängerin mit der Erfüllung der Mutterpflichten schlechter verträgt als leder andre. (Nämlich der der Opcrnsängerin; bei der Konzertsängerin hat der Miitterberuf weit weniger zu leiden.) Man wird diesem Grundsatze beistimmen können, aber wohl fragen dürfen, ob gerade beim Schauspiel unersetzliche Kultnr- werte in Frage kommen Das unersetzliche Gut, das dem Primaner sein Schiller, de>" gereiften Manne sein Goethe oder sein Shakespeare beschert, wird durch den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/519>, abgerufen am 29.04.2024.