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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die Rnthenen und ihre Gönner in Berlin

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^--^O^T>!er Professor der polnischen Geschichte an der Universität Krakau
Dr. Stanislaus Smolka, ein Sohn des bekannten, als polnischer
Nationalheld gefeierten Franz Smolka, ist mit dem Direktor des
Geheimen Staatsarchivs in Berlin und Reichstagsabgeordneten
>Or. Sattler in eine heftige politische Fehde geraten. Anlaß dazu
gab die Rede, die Sattler am 10. Dezember vorigen Jahres über die galizischen
und insbesondre die ruthenischen Schulverhältnisse im Reichstage gehalten hat.
Professor Smolka richtete an Dr. Sattler einen in der polnischen Presse ab¬
gedruckten offnen Brief, worin er die Angaben or. Sattlers als Lügen be¬
zeichnete. Gegenwärtig hat er unter dem Titel "Die Rnthenen und ihre Gönner
in Berlin" (Wien und Leipzig, Verlag Austria, Franz Doll, 1902) eine größere
Broschüre herausgegeben, die den Zweck hat, die Ausführungen Sattlers zu
widerlegen. Der Kernpunkt des Streites ist, daß 1)r. Sattler der herrschenden
polnischen Klasse in Galizien, die so heftig über die Vedrückuug der Polen in
Preußen klage, eine rücksichtslose willkürliche Ausübung der Macht gegen die
Rutheneu, namentlich auf dem Gebiete der Schule vorgeworfen und behauptet
hatte, daß sich die ruthenische und die deutsche Bevölkerung Galiziens freuen
würde", wenn sich die galizischen Polen ein Muster an der preußischen Re¬
gierung nehmen wollten. Professor Smolka, auf das äußerste hierüber erregt,
hat nun zunächst in der erwähnten Schrift ausführliche statistische Daten darüber
beigebracht, in welcher Weise auf dem Gebiete des Volksschulwesens und des
Mittelschulwesens den Bedürfnissen der Rnthenen Rechnung getragen worden
sei. In seiner Polemik gegen Dr. Sattler hat er aber lediglich auf dessen all¬
gemeine Bemerkungen in den Reden vom 10. Dezember und 11. Januar Bezug
genommen, dagegen auch nicht mit einem Worte, wie es die historische Wahrheit
erfordert hätte, die weitern Ausführungen Sattlers in seiner in der Reichs¬
tagssitzung vom 14. Januar dieses Jahres gehaltnen Rede erwähnt, worin er
unter Anführung verschiednen statistischen Materials seine frühern Angaben
wesentlich modifiziert hat.

Wir können übrigens die Austragung dieses Streites deu beiden Herren
allein überlassen und wollen hier nnr auf einige allgemeinere Bemerkungen


Grenzboten II 1902 8


Die Rnthenen und ihre Gönner in Berlin

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^--^O^T>!er Professor der polnischen Geschichte an der Universität Krakau
Dr. Stanislaus Smolka, ein Sohn des bekannten, als polnischer
Nationalheld gefeierten Franz Smolka, ist mit dem Direktor des
Geheimen Staatsarchivs in Berlin und Reichstagsabgeordneten
>Or. Sattler in eine heftige politische Fehde geraten. Anlaß dazu
gab die Rede, die Sattler am 10. Dezember vorigen Jahres über die galizischen
und insbesondre die ruthenischen Schulverhältnisse im Reichstage gehalten hat.
Professor Smolka richtete an Dr. Sattler einen in der polnischen Presse ab¬
gedruckten offnen Brief, worin er die Angaben or. Sattlers als Lügen be¬
zeichnete. Gegenwärtig hat er unter dem Titel „Die Rnthenen und ihre Gönner
in Berlin" (Wien und Leipzig, Verlag Austria, Franz Doll, 1902) eine größere
Broschüre herausgegeben, die den Zweck hat, die Ausführungen Sattlers zu
widerlegen. Der Kernpunkt des Streites ist, daß 1)r. Sattler der herrschenden
polnischen Klasse in Galizien, die so heftig über die Vedrückuug der Polen in
Preußen klage, eine rücksichtslose willkürliche Ausübung der Macht gegen die
Rutheneu, namentlich auf dem Gebiete der Schule vorgeworfen und behauptet
hatte, daß sich die ruthenische und die deutsche Bevölkerung Galiziens freuen
würde», wenn sich die galizischen Polen ein Muster an der preußischen Re¬
gierung nehmen wollten. Professor Smolka, auf das äußerste hierüber erregt,
hat nun zunächst in der erwähnten Schrift ausführliche statistische Daten darüber
beigebracht, in welcher Weise auf dem Gebiete des Volksschulwesens und des
Mittelschulwesens den Bedürfnissen der Rnthenen Rechnung getragen worden
sei. In seiner Polemik gegen Dr. Sattler hat er aber lediglich auf dessen all¬
gemeine Bemerkungen in den Reden vom 10. Dezember und 11. Januar Bezug
genommen, dagegen auch nicht mit einem Worte, wie es die historische Wahrheit
erfordert hätte, die weitern Ausführungen Sattlers in seiner in der Reichs¬
tagssitzung vom 14. Januar dieses Jahres gehaltnen Rede erwähnt, worin er
unter Anführung verschiednen statistischen Materials seine frühern Angaben
wesentlich modifiziert hat.

Wir können übrigens die Austragung dieses Streites deu beiden Herren
allein überlassen und wollen hier nnr auf einige allgemeinere Bemerkungen


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[0065] [Abbildung] Die Rnthenen und ihre Gönner in Berlin U^IW» ?s-RMl vtM^-^ ^--^O^T>!er Professor der polnischen Geschichte an der Universität Krakau Dr. Stanislaus Smolka, ein Sohn des bekannten, als polnischer Nationalheld gefeierten Franz Smolka, ist mit dem Direktor des Geheimen Staatsarchivs in Berlin und Reichstagsabgeordneten >Or. Sattler in eine heftige politische Fehde geraten. Anlaß dazu gab die Rede, die Sattler am 10. Dezember vorigen Jahres über die galizischen und insbesondre die ruthenischen Schulverhältnisse im Reichstage gehalten hat. Professor Smolka richtete an Dr. Sattler einen in der polnischen Presse ab¬ gedruckten offnen Brief, worin er die Angaben or. Sattlers als Lügen be¬ zeichnete. Gegenwärtig hat er unter dem Titel „Die Rnthenen und ihre Gönner in Berlin" (Wien und Leipzig, Verlag Austria, Franz Doll, 1902) eine größere Broschüre herausgegeben, die den Zweck hat, die Ausführungen Sattlers zu widerlegen. Der Kernpunkt des Streites ist, daß 1)r. Sattler der herrschenden polnischen Klasse in Galizien, die so heftig über die Vedrückuug der Polen in Preußen klage, eine rücksichtslose willkürliche Ausübung der Macht gegen die Rutheneu, namentlich auf dem Gebiete der Schule vorgeworfen und behauptet hatte, daß sich die ruthenische und die deutsche Bevölkerung Galiziens freuen würde», wenn sich die galizischen Polen ein Muster an der preußischen Re¬ gierung nehmen wollten. Professor Smolka, auf das äußerste hierüber erregt, hat nun zunächst in der erwähnten Schrift ausführliche statistische Daten darüber beigebracht, in welcher Weise auf dem Gebiete des Volksschulwesens und des Mittelschulwesens den Bedürfnissen der Rnthenen Rechnung getragen worden sei. In seiner Polemik gegen Dr. Sattler hat er aber lediglich auf dessen all¬ gemeine Bemerkungen in den Reden vom 10. Dezember und 11. Januar Bezug genommen, dagegen auch nicht mit einem Worte, wie es die historische Wahrheit erfordert hätte, die weitern Ausführungen Sattlers in seiner in der Reichs¬ tagssitzung vom 14. Januar dieses Jahres gehaltnen Rede erwähnt, worin er unter Anführung verschiednen statistischen Materials seine frühern Angaben wesentlich modifiziert hat. Wir können übrigens die Austragung dieses Streites deu beiden Herren allein überlassen und wollen hier nnr auf einige allgemeinere Bemerkungen Grenzboten II 1902 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/65>, abgerufen am 29.04.2024.