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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Zwei französische Urteile über Deutschlands Heegeltung
Georg ZVisliccnus Besprochen von

>le Franzosen beachten schon seit Jahren die Erstarrung der
deutschen Seegeltung und bewundern die Thatkraft unsers Kaisers
neidlos und mit bessern: Verständnis als viele unsrer eignen
Landsleute. Schon im Jahre 1895 betont ein Seestratege in
!der lisvus 6"Z8 vsux Ncmciss, daß Frankreich sich am wenigsten
über die Entwicklung der Angriffskraft der deutschen Flotte zu beunruhigen
brauche. Daß in Frankreich schon gelegentlich an die Bundesgenossenschaft
mit Deutschland gegen England gedacht wird, ist in den Grenzboten von 1899
im vierten Band Seite 1 u. f. von mir gesagt worden; Demigny, der diesen
Gedanken freilich sehr schüchtern ausdrückt, findet es sehr schlimm, daß sich die
Völker nicht verständigen, denn sie haben nach seiner Meinung keinen andern
Feind als England.

Um Deutschlands Seewesen seinen Landsleuten zuverlässig darzustellen,
hat schon im Herbst 1900 der frühere ausgezeichnete Marineminister Edounrd
Lockroy die deutschen Seehäfen besucht, und er hat seine Beobachtungen in
einem flott und doch gründlich gearbeiteten Buche: Du ^Vsssr g, la Vistuls,
I^sttrss sur 1a Narius allöinmicis (erschienen bei Berger-Levrault Cie. in
Nancy, 1901) niedergelegt. Im Vorwort sagt der berühmte alte Republikaner,
daß er keine Deutschen mehr gesehen habe, seit sein Vater 1870 neben ihm in
dem Freiwilligenbataillon von einer Kugel getroffen worden sei, und daß es
ihm eigentlich peinlich sei, über Deutschlands Aufblühen zu berichten, das doch
nur die Folge der französischen Niederlage sei. Aber er sei von bekannten
Seeoffizieren zu seiner Reise angeregt worden; er habe deshalb alle Sentimen¬
talität beiseite gesetzt und Deutschland bereist, wie man etwa ein großes in¬
dustrielles Unternehmen besichtige. Es ist typisch und wirklich bedauerlich,
daß sich fast jeder Franzose, der günstiges über Deutschland berichtet, ver¬
pflichtet fühlt, seinen Landsleuten in irgend einer Form vorher klar zu machen,
daß er trotzdem ein guter Franzose sei und die alte Niederlage nicht vergessen
habe. An dieser Monomanie scheint verhüngnisvollerweise fast ganz Frankreich
zu leiden; Demigny, dessen Buch sonst sehr vernünftig ist, fürchtet ja auch
hente noch die deutschen Ulanen mehr als die englischen Linienschiffe, und
Lockroy hofft, daß die Entfaltung seiner Seemacht Deutschland zum Kampf
mit England treiben müsse. Für Lockroy gilt die Marine als trefflicher Ma߬
stab des Aufschwungs der ganzen Volkskraft. In Deutschland sind nach seiner
Beobachtung große Dinge im Schwange; aus dem schnellen und gesunden
Wachstum des deutschen Seewesens schließt er ans die Festigung der deutschen




Zwei französische Urteile über Deutschlands Heegeltung
Georg ZVisliccnus Besprochen von

>le Franzosen beachten schon seit Jahren die Erstarrung der
deutschen Seegeltung und bewundern die Thatkraft unsers Kaisers
neidlos und mit bessern: Verständnis als viele unsrer eignen
Landsleute. Schon im Jahre 1895 betont ein Seestratege in
!der lisvus 6«Z8 vsux Ncmciss, daß Frankreich sich am wenigsten
über die Entwicklung der Angriffskraft der deutschen Flotte zu beunruhigen
brauche. Daß in Frankreich schon gelegentlich an die Bundesgenossenschaft
mit Deutschland gegen England gedacht wird, ist in den Grenzboten von 1899
im vierten Band Seite 1 u. f. von mir gesagt worden; Demigny, der diesen
Gedanken freilich sehr schüchtern ausdrückt, findet es sehr schlimm, daß sich die
Völker nicht verständigen, denn sie haben nach seiner Meinung keinen andern
Feind als England.

Um Deutschlands Seewesen seinen Landsleuten zuverlässig darzustellen,
hat schon im Herbst 1900 der frühere ausgezeichnete Marineminister Edounrd
Lockroy die deutschen Seehäfen besucht, und er hat seine Beobachtungen in
einem flott und doch gründlich gearbeiteten Buche: Du ^Vsssr g, la Vistuls,
I^sttrss sur 1a Narius allöinmicis (erschienen bei Berger-Levrault Cie. in
Nancy, 1901) niedergelegt. Im Vorwort sagt der berühmte alte Republikaner,
daß er keine Deutschen mehr gesehen habe, seit sein Vater 1870 neben ihm in
dem Freiwilligenbataillon von einer Kugel getroffen worden sei, und daß es
ihm eigentlich peinlich sei, über Deutschlands Aufblühen zu berichten, das doch
nur die Folge der französischen Niederlage sei. Aber er sei von bekannten
Seeoffizieren zu seiner Reise angeregt worden; er habe deshalb alle Sentimen¬
talität beiseite gesetzt und Deutschland bereist, wie man etwa ein großes in¬
dustrielles Unternehmen besichtige. Es ist typisch und wirklich bedauerlich,
daß sich fast jeder Franzose, der günstiges über Deutschland berichtet, ver¬
pflichtet fühlt, seinen Landsleuten in irgend einer Form vorher klar zu machen,
daß er trotzdem ein guter Franzose sei und die alte Niederlage nicht vergessen
habe. An dieser Monomanie scheint verhüngnisvollerweise fast ganz Frankreich
zu leiden; Demigny, dessen Buch sonst sehr vernünftig ist, fürchtet ja auch
hente noch die deutschen Ulanen mehr als die englischen Linienschiffe, und
Lockroy hofft, daß die Entfaltung seiner Seemacht Deutschland zum Kampf
mit England treiben müsse. Für Lockroy gilt die Marine als trefflicher Ma߬
stab des Aufschwungs der ganzen Volkskraft. In Deutschland sind nach seiner
Beobachtung große Dinge im Schwange; aus dem schnellen und gesunden
Wachstum des deutschen Seewesens schließt er ans die Festigung der deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/71>, abgerufen am 29.04.2024.