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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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gewesen sein. Hätte die deutsche Werft aus Patriotismus den Bau abgelehnt,
so würden wahrscheinlich zwei japanische Panzerkreuzer auf englischen Werften
gebaut worden sein; es scheint demnach, daß man heutzutage mit den Wölfen
heulen muß. So viel aber steht fest: die Römer haben den Karthagern nie¬
mals Kriegsschiffe gebaut. Der moderne Handelsverkehr zeitigt seltsame Er¬
scheinungen: er zwingt uns, dem Fremden Waffen in die Hand zu drücken,
mit denen er uns, wenn es ihm paßt, auf den Leib rücken kann. Die Kulturfort¬
schritte rufen doch zuweilen heillos verworrene, unnatürliche Zustände hervor.
Ob wir uns also dieser Erfolge unsers Schiffbaues (und unsrer Waffenerzeugung
überhaupt) freuen sollen, das bleibt dem Gefühle überlassen. Die einzige
ersprießliche Lösung bestünde wohl darin, unsern deutschen Schiffbau so reich¬
lich mit deutschen Bauauftrügeu zu versehen, daß er jederzeit auf den Ban
fremder Kriegsschiffe verzichten könnte.

Abgesehen von den eben berührten wurden Punkten ist der deutsche
Schiffbau schon jetzt ein gesundes, leistungs- und lebensfähiges Gewerbe; ja
er ist sogar noch entwicklungsfähig und erweitcrnngsbedürftig, weil er noch
lange nicht den gesamten Bedarf an Schiffen für die deutschen Needereibetriebe
zu decken vermag. Für eine aufstrebende Reederei und eine starke Kriegs¬
flotte ist es geradezu eine Lebensfrage, daß sie sich auf ausreichende deutsche
Werften zu stützen vermögen. Und für das deutsche Volksvermögen spielt
es doch auch eine Rolle, ob weiterhin jährlich viele Millionen (1900 etwa
60 Millionen Mark) ans Ausland für Schiffe und Schifsbaustoffe gezahlt
werden sollen. Deshalb muß man dem dentschen Schiffbaugewerbe eine ge¬
sunde, hauptsächlich auf deutsche Bauaufträge gestützte Erweiterung im all¬
gemeinen nationalen Interesse wünschen; zu erwägen wäre dabei wohl die
Frage, ob nicht auch andre Werften imstande wären, dein Beispiele Krnpps
zu folgen und sich mit Kohlengruben und Eisenhüttenwerken zu großen Be¬
trieben zusammenzuschließen, um mit vereinter Kraft fremde Wettbewerber besser
aus dem Felde schlagen zu können.


Georg ZVislicenus


Die wirtschaftliche Lage Rußlands
(Schluß)
Industrie

as Finanzministerium hat geglaubt, den Wohlstand des Staates
auf die Entwicklung einer Großindustrie gründen zu müssen, um
sich von den natürlichen Schwankungen der Erträge der Land¬
wirtschaft unabhängig zu machen. Der Gedanke war durchaus
berechtigt, aber die Art, wie er in der Praxis durchgeführt wurde,
muß, wie die Thatsachen nunmehr gelehrt haben, als nicht ganz zweckmäßig
bezeichnet werden.


gewesen sein. Hätte die deutsche Werft aus Patriotismus den Bau abgelehnt,
so würden wahrscheinlich zwei japanische Panzerkreuzer auf englischen Werften
gebaut worden sein; es scheint demnach, daß man heutzutage mit den Wölfen
heulen muß. So viel aber steht fest: die Römer haben den Karthagern nie¬
mals Kriegsschiffe gebaut. Der moderne Handelsverkehr zeitigt seltsame Er¬
scheinungen: er zwingt uns, dem Fremden Waffen in die Hand zu drücken,
mit denen er uns, wenn es ihm paßt, auf den Leib rücken kann. Die Kulturfort¬
schritte rufen doch zuweilen heillos verworrene, unnatürliche Zustände hervor.
Ob wir uns also dieser Erfolge unsers Schiffbaues (und unsrer Waffenerzeugung
überhaupt) freuen sollen, das bleibt dem Gefühle überlassen. Die einzige
ersprießliche Lösung bestünde wohl darin, unsern deutschen Schiffbau so reich¬
lich mit deutschen Bauauftrügeu zu versehen, daß er jederzeit auf den Ban
fremder Kriegsschiffe verzichten könnte.

Abgesehen von den eben berührten wurden Punkten ist der deutsche
Schiffbau schon jetzt ein gesundes, leistungs- und lebensfähiges Gewerbe; ja
er ist sogar noch entwicklungsfähig und erweitcrnngsbedürftig, weil er noch
lange nicht den gesamten Bedarf an Schiffen für die deutschen Needereibetriebe
zu decken vermag. Für eine aufstrebende Reederei und eine starke Kriegs¬
flotte ist es geradezu eine Lebensfrage, daß sie sich auf ausreichende deutsche
Werften zu stützen vermögen. Und für das deutsche Volksvermögen spielt
es doch auch eine Rolle, ob weiterhin jährlich viele Millionen (1900 etwa
60 Millionen Mark) ans Ausland für Schiffe und Schifsbaustoffe gezahlt
werden sollen. Deshalb muß man dem dentschen Schiffbaugewerbe eine ge¬
sunde, hauptsächlich auf deutsche Bauaufträge gestützte Erweiterung im all¬
gemeinen nationalen Interesse wünschen; zu erwägen wäre dabei wohl die
Frage, ob nicht auch andre Werften imstande wären, dein Beispiele Krnpps
zu folgen und sich mit Kohlengruben und Eisenhüttenwerken zu großen Be¬
trieben zusammenzuschließen, um mit vereinter Kraft fremde Wettbewerber besser
aus dem Felde schlagen zu können.


Georg ZVislicenus


Die wirtschaftliche Lage Rußlands
(Schluß)
Industrie

as Finanzministerium hat geglaubt, den Wohlstand des Staates
auf die Entwicklung einer Großindustrie gründen zu müssen, um
sich von den natürlichen Schwankungen der Erträge der Land¬
wirtschaft unabhängig zu machen. Der Gedanke war durchaus
berechtigt, aber die Art, wie er in der Praxis durchgeführt wurde,
muß, wie die Thatsachen nunmehr gelehrt haben, als nicht ganz zweckmäßig
bezeichnet werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/132>, abgerufen am 02.05.2024.