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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Adel und Tand in England

Mangel an festem, klarem Willen und nüchterner Einsicht. Dagegen hat der
genialste Hohenzoller, Friedrich der Große, seinen Staat niemals unbedacht
in Gefahr gestürzt, wohl aber ihn aus den verzweifeltsten Lagen gerettet. Auch
heute noch, und heute vielleicht mehr als je, ist das persönliche, sittliche Ver-
antwortlichkeitsbewlißtsein eines Monarchen, das unsern Kaiser in so hohem
Grade beseelt, viel mehr wert als alle MinisterverautUiortlichkeit gegenüber
der Volksvertretung, die thatsächlich doch nur auf dem Papier steht. Es wäre
doch auch ein trauriges Armutszeugnis für unser Volk, wenn es hochbegabte
Männer an seiner Spitze nicht ertragen konnte. Es bedarf ihrer nur allzu¬
sehr, gerade heute, mindestens ebensoviel wie vor vierzig Jahren, wo Bismarck
gegen John Lothrvp Motley zornig über die "kindische" Art des Abgeordneten¬
hauses klagte. Die Unfähigkeit der Mehrheit, die große Politik auch nur
zu begreifen, die alte, unausrottbare Neigung, immer nur nach dem Gefühl
zu urteilen, die Zerfahrenheit der Parteien, die leider die Neichsregierung
geradezu zwingt, mit der mächtigsten, dem Zentrum, zu paktieren, die ängstlich
kleinliche Zurückhaltung des deutschen Großkapitals von unsern Kolonien -- bei
allein Unternehmungsgeist, deu es sonst auch im überseeischen Verkehr entfaltet --,
der geradezu schimpfliche Mangel also an dem kühnen Wagemut der Eng¬
länder, der allein aus ihnen etwas machen kann, dazu der Niedergang der
Demokratie und des Parlamentarismus allerorten, der immer deutlicher
hervortritt, je verwickelter die Kultur- und Weltverhältnisse ringsum werden,
je geringer also die Zahl derer wird, die sie zu beurteilen und zu lenken ver¬
steh", das alles zeigt, daß die beste Kraft, die größte Begabung an seiner
leitenden Stelle für Deutschland in den Gefahren der Gegenwart und der
^ Zukunft gerade gut genug ist.




Adel und Land in (England
v Hugo Bartels on

en sogenannten unveräußerlichen Menschenrechten zufolge sollten
alle Menschen gleich sein. Daß sie es nicht sind, daran ist die
Natur schuld, die, aller Gleichmacherei feind, alles, was lebt, zu
einem fortwährenden Ringen miteinander bestimmt, bei dem sich
die Starken behaupten, die Schwachen untergehn. In der mensch¬
lichen Gesellschaft siud die Unterschiede schon mit ihrem Entsteh,: eingetreten,
sodaß die altgermanische Überlieferung im Rigsmnl die Stunde der Knechte,


Adel und Tand in England

Mangel an festem, klarem Willen und nüchterner Einsicht. Dagegen hat der
genialste Hohenzoller, Friedrich der Große, seinen Staat niemals unbedacht
in Gefahr gestürzt, wohl aber ihn aus den verzweifeltsten Lagen gerettet. Auch
heute noch, und heute vielleicht mehr als je, ist das persönliche, sittliche Ver-
antwortlichkeitsbewlißtsein eines Monarchen, das unsern Kaiser in so hohem
Grade beseelt, viel mehr wert als alle MinisterverautUiortlichkeit gegenüber
der Volksvertretung, die thatsächlich doch nur auf dem Papier steht. Es wäre
doch auch ein trauriges Armutszeugnis für unser Volk, wenn es hochbegabte
Männer an seiner Spitze nicht ertragen konnte. Es bedarf ihrer nur allzu¬
sehr, gerade heute, mindestens ebensoviel wie vor vierzig Jahren, wo Bismarck
gegen John Lothrvp Motley zornig über die „kindische" Art des Abgeordneten¬
hauses klagte. Die Unfähigkeit der Mehrheit, die große Politik auch nur
zu begreifen, die alte, unausrottbare Neigung, immer nur nach dem Gefühl
zu urteilen, die Zerfahrenheit der Parteien, die leider die Neichsregierung
geradezu zwingt, mit der mächtigsten, dem Zentrum, zu paktieren, die ängstlich
kleinliche Zurückhaltung des deutschen Großkapitals von unsern Kolonien — bei
allein Unternehmungsgeist, deu es sonst auch im überseeischen Verkehr entfaltet —,
der geradezu schimpfliche Mangel also an dem kühnen Wagemut der Eng¬
länder, der allein aus ihnen etwas machen kann, dazu der Niedergang der
Demokratie und des Parlamentarismus allerorten, der immer deutlicher
hervortritt, je verwickelter die Kultur- und Weltverhältnisse ringsum werden,
je geringer also die Zahl derer wird, die sie zu beurteilen und zu lenken ver¬
steh», das alles zeigt, daß die beste Kraft, die größte Begabung an seiner
leitenden Stelle für Deutschland in den Gefahren der Gegenwart und der
^ Zukunft gerade gut genug ist.




Adel und Land in (England
v Hugo Bartels on

en sogenannten unveräußerlichen Menschenrechten zufolge sollten
alle Menschen gleich sein. Daß sie es nicht sind, daran ist die
Natur schuld, die, aller Gleichmacherei feind, alles, was lebt, zu
einem fortwährenden Ringen miteinander bestimmt, bei dem sich
die Starken behaupten, die Schwachen untergehn. In der mensch¬
lichen Gesellschaft siud die Unterschiede schon mit ihrem Entsteh,: eingetreten,
sodaß die altgermanische Überlieferung im Rigsmnl die Stunde der Knechte,


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[0018] Adel und Tand in England Mangel an festem, klarem Willen und nüchterner Einsicht. Dagegen hat der genialste Hohenzoller, Friedrich der Große, seinen Staat niemals unbedacht in Gefahr gestürzt, wohl aber ihn aus den verzweifeltsten Lagen gerettet. Auch heute noch, und heute vielleicht mehr als je, ist das persönliche, sittliche Ver- antwortlichkeitsbewlißtsein eines Monarchen, das unsern Kaiser in so hohem Grade beseelt, viel mehr wert als alle MinisterverautUiortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die thatsächlich doch nur auf dem Papier steht. Es wäre doch auch ein trauriges Armutszeugnis für unser Volk, wenn es hochbegabte Männer an seiner Spitze nicht ertragen konnte. Es bedarf ihrer nur allzu¬ sehr, gerade heute, mindestens ebensoviel wie vor vierzig Jahren, wo Bismarck gegen John Lothrvp Motley zornig über die „kindische" Art des Abgeordneten¬ hauses klagte. Die Unfähigkeit der Mehrheit, die große Politik auch nur zu begreifen, die alte, unausrottbare Neigung, immer nur nach dem Gefühl zu urteilen, die Zerfahrenheit der Parteien, die leider die Neichsregierung geradezu zwingt, mit der mächtigsten, dem Zentrum, zu paktieren, die ängstlich kleinliche Zurückhaltung des deutschen Großkapitals von unsern Kolonien — bei allein Unternehmungsgeist, deu es sonst auch im überseeischen Verkehr entfaltet —, der geradezu schimpfliche Mangel also an dem kühnen Wagemut der Eng¬ länder, der allein aus ihnen etwas machen kann, dazu der Niedergang der Demokratie und des Parlamentarismus allerorten, der immer deutlicher hervortritt, je verwickelter die Kultur- und Weltverhältnisse ringsum werden, je geringer also die Zahl derer wird, die sie zu beurteilen und zu lenken ver¬ steh», das alles zeigt, daß die beste Kraft, die größte Begabung an seiner leitenden Stelle für Deutschland in den Gefahren der Gegenwart und der ^ Zukunft gerade gut genug ist. Adel und Land in (England v Hugo Bartels on en sogenannten unveräußerlichen Menschenrechten zufolge sollten alle Menschen gleich sein. Daß sie es nicht sind, daran ist die Natur schuld, die, aller Gleichmacherei feind, alles, was lebt, zu einem fortwährenden Ringen miteinander bestimmt, bei dem sich die Starken behaupten, die Schwachen untergehn. In der mensch¬ lichen Gesellschaft siud die Unterschiede schon mit ihrem Entsteh,: eingetreten, sodaß die altgermanische Überlieferung im Rigsmnl die Stunde der Knechte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/18>, abgerufen am 02.05.2024.