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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Anders liegt es bei dem wirklich Kranken, der einen Vortrag über seine
Krankheit anhört. Ein solcher Patient wird nnr kränker, als er ist, er wird sich
leicht sagen, daß er nicht richtig behandelt worden, daß sein Leiden schwerer sei,
als es von ihm und seinem Arzt beurteilt worden ist, und der Leidende wird sich
und seine Umgebung noch mehr quälen, als er es wohl vorher schou gethan hat.

Das sind die öffentlichen medizinischen Vortrage mit ihren Folgen; schlimmer
ist es mit den zumeist im Brieffen in Zeitungen und populären Zeitschriften ge¬
brachten medizinischen Abhandlungen, die aufklärend wirken sollen. Das in den
Vorträgen dargelegte wird von dem Zuhörer mehr oder minder vergessen, was der
Kranke, der eingebildete Kranke und der Gesunde aber lesen, das bekommt eine
ganz andre Bedeutung und -- Deutung.

Derartige Artikel kann man fast alltäglich in unsern gelesensten Zeitungen
finden, ebenso in den verbreiterten Zeitschriften wie Woche, Daheim und Garten¬
laube. Ich null hier nur einen in der Woche erschienenen Aufsah eines Berliner
Arztes über Neurasthenie als "Beispiel mit Folgen" anführen. Zur Zerstreuung
einer neurasthenischen Dame wurde dieser eine Nummer der "Woche" mitgebracht;
ihr Manu ging dann seinen Geschäften nach und war sprachlos, als er später nach
Hause kam und seine Frau in der höchsten Erregung antraf, und als sie ihn mit
den Worten begrüßte: "Da steht es: Neurasthenie führt zum Schluß immer ins
Irrenhaus, und mein Schicksal ist besiegelt!" Da sich die Patientin durch ihre"
Mann nicht beruhigen ließ, mußte in später Stunde noch ein Nervenarzt geholt
werden, nud lange dauerte es, bis sich die Kranke von diesem Nervenchoc erholte.
Eine solche negative Wirkung der Plauderecke "Was die Ärzte sagen" wird mir
wohl dieser oder jener bestätigen können.

Warum und wie ist nun so etwas in die Mode gekommen? Nun, das liegt
doch auf der Hand. -- Es giebt im Deutschen Reiche so etwa 27 000 approbierte
Ärzte; diese Herren wollen sich doch beschäftigen, wollen leben, bekannt werden und
ihre Tüchtigkeit anerkannt wissen, und da es gottlob nicht proportional viel Kranke
giebt, verlegen sie sich aufs Schriftstellern und Vorträge halten.

Ich könnte einen mehr bekannten als berühmten Arzt nennen, der an der
Hand solcher Zeitungsartikel täglich schriftliche Anfragen von Patienten bekommt,
wie sie sich auf Grund des da und dort von ihm erschienenen Artikels verhalten
sollen, und jeder dieser Briefe wird mit der "Schreibmaschine" beantwortet, es
werden geeignete Verordnungen gegeben, und zum Schluß wird beigefügt: Für diese
schriftliche Konsultation berechne ich Mark 10.--. Man wird mir zugeben, daß
man da schou mit der Beantwortung von fünf Briefen ein gutes Geschäft macht.

Der Unsitte der öffentlichen ärztlichen Vorträge und ihrer Veröffentlichung in
populären Zeitschriften sollte von den Vorständen ärztlicher Vereine und der Ärzte¬
kammern entschieden entgegen getreten werden. Besonders sollte sich aber kein reeller
Arzt zu schriftlichen Behandlungen, ohne den Patienten vorher gesehen und ge¬
sprochen zu haben, bewegen lassen; dann wird sich das Ansehen der Ärzte, über dessen
Niedergang sie in ihren Fachblättern klagen, wieder hebe".


Nationale Bildung und humanistisches Gymnasium.


Mit keinem
modernen Schlagwort wird heutzutage ein ärgerer Mißbrauch getrieben, als mit
dem Worte "national," auch in Deutschland, vielleicht sogar besonders in Deutsch¬
land. Nachdem wir lauge Zeit entweder weltbürgerlich oder partikularistisch ge¬
dacht hatten, also politische Kinder geblieben waren, halten wir es jetzt, wo wir
endlich ein nationales Reich errungen haben und in der Welt etwas bedeuten, für
zeitgemäß oder vielmehr für eine nationale Pflicht, überall "national" zu sein und
das, was wir immer uoch nicht ganz gelernt haben, nämlich unsre deutsche Art
den Ausländern gegenüber hochzuhalten und in der großen Politik nur nach unsern
Interessen zu fragen, statt Gefühlspolitik zu treiben, wenigstens durch hochtönende
Worte zu ersetzen. Solche sind gut dazu, andre, die ebensogut "national," aber
andrer Meinung sind, einzuschüchtern und die urteilslose Meuge hinter sich herzu-
ziehn, aber nicht dazu, etwas zu beweisen. Mit dem Worte "national" läßt sich


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Anders liegt es bei dem wirklich Kranken, der einen Vortrag über seine
Krankheit anhört. Ein solcher Patient wird nnr kränker, als er ist, er wird sich
leicht sagen, daß er nicht richtig behandelt worden, daß sein Leiden schwerer sei,
als es von ihm und seinem Arzt beurteilt worden ist, und der Leidende wird sich
und seine Umgebung noch mehr quälen, als er es wohl vorher schou gethan hat.

Das sind die öffentlichen medizinischen Vortrage mit ihren Folgen; schlimmer
ist es mit den zumeist im Brieffen in Zeitungen und populären Zeitschriften ge¬
brachten medizinischen Abhandlungen, die aufklärend wirken sollen. Das in den
Vorträgen dargelegte wird von dem Zuhörer mehr oder minder vergessen, was der
Kranke, der eingebildete Kranke und der Gesunde aber lesen, das bekommt eine
ganz andre Bedeutung und — Deutung.

Derartige Artikel kann man fast alltäglich in unsern gelesensten Zeitungen
finden, ebenso in den verbreiterten Zeitschriften wie Woche, Daheim und Garten¬
laube. Ich null hier nur einen in der Woche erschienenen Aufsah eines Berliner
Arztes über Neurasthenie als „Beispiel mit Folgen" anführen. Zur Zerstreuung
einer neurasthenischen Dame wurde dieser eine Nummer der „Woche" mitgebracht;
ihr Manu ging dann seinen Geschäften nach und war sprachlos, als er später nach
Hause kam und seine Frau in der höchsten Erregung antraf, und als sie ihn mit
den Worten begrüßte: „Da steht es: Neurasthenie führt zum Schluß immer ins
Irrenhaus, und mein Schicksal ist besiegelt!" Da sich die Patientin durch ihre»
Mann nicht beruhigen ließ, mußte in später Stunde noch ein Nervenarzt geholt
werden, nud lange dauerte es, bis sich die Kranke von diesem Nervenchoc erholte.
Eine solche negative Wirkung der Plauderecke „Was die Ärzte sagen" wird mir
wohl dieser oder jener bestätigen können.

Warum und wie ist nun so etwas in die Mode gekommen? Nun, das liegt
doch auf der Hand. — Es giebt im Deutschen Reiche so etwa 27 000 approbierte
Ärzte; diese Herren wollen sich doch beschäftigen, wollen leben, bekannt werden und
ihre Tüchtigkeit anerkannt wissen, und da es gottlob nicht proportional viel Kranke
giebt, verlegen sie sich aufs Schriftstellern und Vorträge halten.

Ich könnte einen mehr bekannten als berühmten Arzt nennen, der an der
Hand solcher Zeitungsartikel täglich schriftliche Anfragen von Patienten bekommt,
wie sie sich auf Grund des da und dort von ihm erschienenen Artikels verhalten
sollen, und jeder dieser Briefe wird mit der „Schreibmaschine" beantwortet, es
werden geeignete Verordnungen gegeben, und zum Schluß wird beigefügt: Für diese
schriftliche Konsultation berechne ich Mark 10.—. Man wird mir zugeben, daß
man da schou mit der Beantwortung von fünf Briefen ein gutes Geschäft macht.

Der Unsitte der öffentlichen ärztlichen Vorträge und ihrer Veröffentlichung in
populären Zeitschriften sollte von den Vorständen ärztlicher Vereine und der Ärzte¬
kammern entschieden entgegen getreten werden. Besonders sollte sich aber kein reeller
Arzt zu schriftlichen Behandlungen, ohne den Patienten vorher gesehen und ge¬
sprochen zu haben, bewegen lassen; dann wird sich das Ansehen der Ärzte, über dessen
Niedergang sie in ihren Fachblättern klagen, wieder hebe».


Nationale Bildung und humanistisches Gymnasium.


Mit keinem
modernen Schlagwort wird heutzutage ein ärgerer Mißbrauch getrieben, als mit
dem Worte „national," auch in Deutschland, vielleicht sogar besonders in Deutsch¬
land. Nachdem wir lauge Zeit entweder weltbürgerlich oder partikularistisch ge¬
dacht hatten, also politische Kinder geblieben waren, halten wir es jetzt, wo wir
endlich ein nationales Reich errungen haben und in der Welt etwas bedeuten, für
zeitgemäß oder vielmehr für eine nationale Pflicht, überall „national" zu sein und
das, was wir immer uoch nicht ganz gelernt haben, nämlich unsre deutsche Art
den Ausländern gegenüber hochzuhalten und in der großen Politik nur nach unsern
Interessen zu fragen, statt Gefühlspolitik zu treiben, wenigstens durch hochtönende
Worte zu ersetzen. Solche sind gut dazu, andre, die ebensogut „national," aber
andrer Meinung sind, einzuschüchtern und die urteilslose Meuge hinter sich herzu-
ziehn, aber nicht dazu, etwas zu beweisen. Mit dem Worte „national" läßt sich


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[0231] Maßgebliches und Unmaßgebliches Anders liegt es bei dem wirklich Kranken, der einen Vortrag über seine Krankheit anhört. Ein solcher Patient wird nnr kränker, als er ist, er wird sich leicht sagen, daß er nicht richtig behandelt worden, daß sein Leiden schwerer sei, als es von ihm und seinem Arzt beurteilt worden ist, und der Leidende wird sich und seine Umgebung noch mehr quälen, als er es wohl vorher schou gethan hat. Das sind die öffentlichen medizinischen Vortrage mit ihren Folgen; schlimmer ist es mit den zumeist im Brieffen in Zeitungen und populären Zeitschriften ge¬ brachten medizinischen Abhandlungen, die aufklärend wirken sollen. Das in den Vorträgen dargelegte wird von dem Zuhörer mehr oder minder vergessen, was der Kranke, der eingebildete Kranke und der Gesunde aber lesen, das bekommt eine ganz andre Bedeutung und — Deutung. Derartige Artikel kann man fast alltäglich in unsern gelesensten Zeitungen finden, ebenso in den verbreiterten Zeitschriften wie Woche, Daheim und Garten¬ laube. Ich null hier nur einen in der Woche erschienenen Aufsah eines Berliner Arztes über Neurasthenie als „Beispiel mit Folgen" anführen. Zur Zerstreuung einer neurasthenischen Dame wurde dieser eine Nummer der „Woche" mitgebracht; ihr Manu ging dann seinen Geschäften nach und war sprachlos, als er später nach Hause kam und seine Frau in der höchsten Erregung antraf, und als sie ihn mit den Worten begrüßte: „Da steht es: Neurasthenie führt zum Schluß immer ins Irrenhaus, und mein Schicksal ist besiegelt!" Da sich die Patientin durch ihre» Mann nicht beruhigen ließ, mußte in später Stunde noch ein Nervenarzt geholt werden, nud lange dauerte es, bis sich die Kranke von diesem Nervenchoc erholte. Eine solche negative Wirkung der Plauderecke „Was die Ärzte sagen" wird mir wohl dieser oder jener bestätigen können. Warum und wie ist nun so etwas in die Mode gekommen? Nun, das liegt doch auf der Hand. — Es giebt im Deutschen Reiche so etwa 27 000 approbierte Ärzte; diese Herren wollen sich doch beschäftigen, wollen leben, bekannt werden und ihre Tüchtigkeit anerkannt wissen, und da es gottlob nicht proportional viel Kranke giebt, verlegen sie sich aufs Schriftstellern und Vorträge halten. Ich könnte einen mehr bekannten als berühmten Arzt nennen, der an der Hand solcher Zeitungsartikel täglich schriftliche Anfragen von Patienten bekommt, wie sie sich auf Grund des da und dort von ihm erschienenen Artikels verhalten sollen, und jeder dieser Briefe wird mit der „Schreibmaschine" beantwortet, es werden geeignete Verordnungen gegeben, und zum Schluß wird beigefügt: Für diese schriftliche Konsultation berechne ich Mark 10.—. Man wird mir zugeben, daß man da schou mit der Beantwortung von fünf Briefen ein gutes Geschäft macht. Der Unsitte der öffentlichen ärztlichen Vorträge und ihrer Veröffentlichung in populären Zeitschriften sollte von den Vorständen ärztlicher Vereine und der Ärzte¬ kammern entschieden entgegen getreten werden. Besonders sollte sich aber kein reeller Arzt zu schriftlichen Behandlungen, ohne den Patienten vorher gesehen und ge¬ sprochen zu haben, bewegen lassen; dann wird sich das Ansehen der Ärzte, über dessen Niedergang sie in ihren Fachblättern klagen, wieder hebe». Nationale Bildung und humanistisches Gymnasium. Mit keinem modernen Schlagwort wird heutzutage ein ärgerer Mißbrauch getrieben, als mit dem Worte „national," auch in Deutschland, vielleicht sogar besonders in Deutsch¬ land. Nachdem wir lauge Zeit entweder weltbürgerlich oder partikularistisch ge¬ dacht hatten, also politische Kinder geblieben waren, halten wir es jetzt, wo wir endlich ein nationales Reich errungen haben und in der Welt etwas bedeuten, für zeitgemäß oder vielmehr für eine nationale Pflicht, überall „national" zu sein und das, was wir immer uoch nicht ganz gelernt haben, nämlich unsre deutsche Art den Ausländern gegenüber hochzuhalten und in der großen Politik nur nach unsern Interessen zu fragen, statt Gefühlspolitik zu treiben, wenigstens durch hochtönende Worte zu ersetzen. Solche sind gut dazu, andre, die ebensogut „national," aber andrer Meinung sind, einzuschüchtern und die urteilslose Meuge hinter sich herzu- ziehn, aber nicht dazu, etwas zu beweisen. Mit dem Worte „national" läßt sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/231>, abgerufen am 02.05.2024.