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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Schade, dachte sie, während er oben seine Hcingetnsche vollpackte, ich dachte, er würde
mehr nach der Grete verlangen.

Adieu, Mütterchen, sagte Jean in ihre Gedanken hinein. Adieu!

Schreib uns 'ne Karte vom Jnselsberg.

Erst unterwegs, als er auf die vorbeihuschenden Telegraphenstangen sah, siel
ihm ein, wie sie auf den Jnselsberg kommen konnte. Jean hatte irgend einmal in
diesen vier Tagen gesagt: dort hinauf muß ich auch noch! Nun nahm sie es für
eine ausgemachte Sache, zumal da er gerade den Eilzug nach Westen auf dem
Bahnhof erreichte. Er aber wartete mit leidlicher Geduld auf den nächsten und
ließ sich von ihm nach Osten und dann saalanf führen. Camburg, Dornburg, Jena --
breites Thal, niedre Hügel, eigensinnig geformte kahle, grane Häupter zum
Himmel aufschiebend, nur hie und da durch bunte Sandsteinstreifen phantastisch be¬
lebt. Die Sonne spielte mit vielfältigen Tönen über dem Rot, Grün und Weiß
des Bodens, über den satten Wiesen der Uferaue, über den glänzenden Blättern
der Erle, auf den Burgen in der Hohe und den winzigen Kirchen im Thal.
Göschwitz--Papiermühle--Roda -- das Thal wurde eng, Kiefern und Fichten
stiegen die Berge hinan, tief unten im Zeisgrund an dem kleinen Bache rauschte das
Bucheulnnb -- nnn war man im Walde!

Jean stieg aus und begann zu wandern. Langsam erst im Vollgenuß des
glänzenden Sommertags, schneller und schneller dann, daß er atemlos um die letzte
Kehre der Landstraße bog.

Da war ja das Dörfchen, Jean stand still und atmete tief. Eine ferne Glocke rief
in kurzen, hellen Tönen ihre Sonntagsmahnung über die Baumwipfel, vou dem
Anger herüber klang das Schwatzen der Gänse, zur Seite uuter der Linde sangen
Mädchen und Burschen das schone Lied von Rinaldo Rinaldini: Schlief der Räuber
allerkühnster,, bis ihn feine Rosa weckt. Es hallte weithin durch die Bäume, und
dann folgte ein Helles Juchzer, begann beim hohen A und stürzte so tief hinunter,
als es die jubelbedürftige Kehle ermöglichen konnte.

Jean lächelte. Nun "vollen wir fröhlich sein, recht fröhlich!

stimmte er vor sich hin, lachte hell uns, als ihm einfiel, was der Pariser da ge¬
sungen hatte, und rief wieder deutsch in den Wald hinein: Nun wollen wir fröhlich
sein! Dabei lief er wie einer, der große Eile hat.

(Schluß folgt"




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zur Frage des Neformgymnasiums

hat unser Freund und Mitarbeiter
Professor Kaemmel in den "Dresdner Nachrichten" Bemerkungen veröffentlicht, die
wir hier abdrucken möchten, weil die Sache mich für andre Kreise wichtig ist als
die Dresdner und auch unsre Leser interessieren wird. Er sagt:

Nach dem Beschlusse des Rats und der Stadtverordneten wird Dresden zu
Ostern 1903 ein Neformgymnasinm, im wesentlichen nach dem Vorbilde des Frank¬
furter Goetheghmnafinms, erhalten. Indem wir mit der vollendeten Thatsache
rechnen, möchten wir doch "usem frühern Dresdner Mitbürger" noch einmal kurz


Grenzboten IV IML 42
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Schade, dachte sie, während er oben seine Hcingetnsche vollpackte, ich dachte, er würde
mehr nach der Grete verlangen.

Adieu, Mütterchen, sagte Jean in ihre Gedanken hinein. Adieu!

Schreib uns 'ne Karte vom Jnselsberg.

Erst unterwegs, als er auf die vorbeihuschenden Telegraphenstangen sah, siel
ihm ein, wie sie auf den Jnselsberg kommen konnte. Jean hatte irgend einmal in
diesen vier Tagen gesagt: dort hinauf muß ich auch noch! Nun nahm sie es für
eine ausgemachte Sache, zumal da er gerade den Eilzug nach Westen auf dem
Bahnhof erreichte. Er aber wartete mit leidlicher Geduld auf den nächsten und
ließ sich von ihm nach Osten und dann saalanf führen. Camburg, Dornburg, Jena —
breites Thal, niedre Hügel, eigensinnig geformte kahle, grane Häupter zum
Himmel aufschiebend, nur hie und da durch bunte Sandsteinstreifen phantastisch be¬
lebt. Die Sonne spielte mit vielfältigen Tönen über dem Rot, Grün und Weiß
des Bodens, über den satten Wiesen der Uferaue, über den glänzenden Blättern
der Erle, auf den Burgen in der Hohe und den winzigen Kirchen im Thal.
Göschwitz—Papiermühle—Roda — das Thal wurde eng, Kiefern und Fichten
stiegen die Berge hinan, tief unten im Zeisgrund an dem kleinen Bache rauschte das
Bucheulnnb — nnn war man im Walde!

Jean stieg aus und begann zu wandern. Langsam erst im Vollgenuß des
glänzenden Sommertags, schneller und schneller dann, daß er atemlos um die letzte
Kehre der Landstraße bog.

Da war ja das Dörfchen, Jean stand still und atmete tief. Eine ferne Glocke rief
in kurzen, hellen Tönen ihre Sonntagsmahnung über die Baumwipfel, vou dem
Anger herüber klang das Schwatzen der Gänse, zur Seite uuter der Linde sangen
Mädchen und Burschen das schone Lied von Rinaldo Rinaldini: Schlief der Räuber
allerkühnster,, bis ihn feine Rosa weckt. Es hallte weithin durch die Bäume, und
dann folgte ein Helles Juchzer, begann beim hohen A und stürzte so tief hinunter,
als es die jubelbedürftige Kehle ermöglichen konnte.

Jean lächelte. Nun »vollen wir fröhlich sein, recht fröhlich!

stimmte er vor sich hin, lachte hell uns, als ihm einfiel, was der Pariser da ge¬
sungen hatte, und rief wieder deutsch in den Wald hinein: Nun wollen wir fröhlich
sein! Dabei lief er wie einer, der große Eile hat.

(Schluß folgt»




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zur Frage des Neformgymnasiums

hat unser Freund und Mitarbeiter
Professor Kaemmel in den „Dresdner Nachrichten" Bemerkungen veröffentlicht, die
wir hier abdrucken möchten, weil die Sache mich für andre Kreise wichtig ist als
die Dresdner und auch unsre Leser interessieren wird. Er sagt:

Nach dem Beschlusse des Rats und der Stadtverordneten wird Dresden zu
Ostern 1903 ein Neformgymnasinm, im wesentlichen nach dem Vorbilde des Frank¬
furter Goetheghmnafinms, erhalten. Indem wir mit der vollendeten Thatsache
rechnen, möchten wir doch »usem frühern Dresdner Mitbürger» noch einmal kurz


Grenzboten IV IML 42
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[0339] Maßgebliches und Unmaßgebliches Schade, dachte sie, während er oben seine Hcingetnsche vollpackte, ich dachte, er würde mehr nach der Grete verlangen. Adieu, Mütterchen, sagte Jean in ihre Gedanken hinein. Adieu! Schreib uns 'ne Karte vom Jnselsberg. Erst unterwegs, als er auf die vorbeihuschenden Telegraphenstangen sah, siel ihm ein, wie sie auf den Jnselsberg kommen konnte. Jean hatte irgend einmal in diesen vier Tagen gesagt: dort hinauf muß ich auch noch! Nun nahm sie es für eine ausgemachte Sache, zumal da er gerade den Eilzug nach Westen auf dem Bahnhof erreichte. Er aber wartete mit leidlicher Geduld auf den nächsten und ließ sich von ihm nach Osten und dann saalanf führen. Camburg, Dornburg, Jena — breites Thal, niedre Hügel, eigensinnig geformte kahle, grane Häupter zum Himmel aufschiebend, nur hie und da durch bunte Sandsteinstreifen phantastisch be¬ lebt. Die Sonne spielte mit vielfältigen Tönen über dem Rot, Grün und Weiß des Bodens, über den satten Wiesen der Uferaue, über den glänzenden Blättern der Erle, auf den Burgen in der Hohe und den winzigen Kirchen im Thal. Göschwitz—Papiermühle—Roda — das Thal wurde eng, Kiefern und Fichten stiegen die Berge hinan, tief unten im Zeisgrund an dem kleinen Bache rauschte das Bucheulnnb — nnn war man im Walde! Jean stieg aus und begann zu wandern. Langsam erst im Vollgenuß des glänzenden Sommertags, schneller und schneller dann, daß er atemlos um die letzte Kehre der Landstraße bog. Da war ja das Dörfchen, Jean stand still und atmete tief. Eine ferne Glocke rief in kurzen, hellen Tönen ihre Sonntagsmahnung über die Baumwipfel, vou dem Anger herüber klang das Schwatzen der Gänse, zur Seite uuter der Linde sangen Mädchen und Burschen das schone Lied von Rinaldo Rinaldini: Schlief der Räuber allerkühnster,, bis ihn feine Rosa weckt. Es hallte weithin durch die Bäume, und dann folgte ein Helles Juchzer, begann beim hohen A und stürzte so tief hinunter, als es die jubelbedürftige Kehle ermöglichen konnte. Jean lächelte. Nun »vollen wir fröhlich sein, recht fröhlich! stimmte er vor sich hin, lachte hell uns, als ihm einfiel, was der Pariser da ge¬ sungen hatte, und rief wieder deutsch in den Wald hinein: Nun wollen wir fröhlich sein! Dabei lief er wie einer, der große Eile hat. (Schluß folgt» Maßgebliches und Unmaßgebliches Zur Frage des Neformgymnasiums hat unser Freund und Mitarbeiter Professor Kaemmel in den „Dresdner Nachrichten" Bemerkungen veröffentlicht, die wir hier abdrucken möchten, weil die Sache mich für andre Kreise wichtig ist als die Dresdner und auch unsre Leser interessieren wird. Er sagt: Nach dem Beschlusse des Rats und der Stadtverordneten wird Dresden zu Ostern 1903 ein Neformgymnasinm, im wesentlichen nach dem Vorbilde des Frank¬ furter Goetheghmnafinms, erhalten. Indem wir mit der vollendeten Thatsache rechnen, möchten wir doch »usem frühern Dresdner Mitbürger» noch einmal kurz Grenzboten IV IML 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/339>, abgerufen am 02.05.2024.