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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Iörn Abt und Ricks Glambäk

dorischen Wanderung selbst und den durch sie bewirkten Umwälzungen finde
sich ja keine Spur in den Gedichten. Für unsre deutschen Sezierkünstler, die
die vermeintlichen einzelnen Bestandteile präparieren und meinen, das Ganze
sei von einem Redakteur mehr oder weniger geschickt zusammengeflickt, hat der
Engländer nichts als Spott und Hohn. Warten wir ab, wie sie ihn strafen
werden, mit schweigender Verachtung oder mit beschämender Widerlegung.




Jörn Abt und Ricks Glambäk

s sind die Namen zweier Jungen, eines holsteinischen und eines
dünischen, und die Geschichte ihrer Entwicklung bildet den In¬
halt zweier Romane, die dadurch mancherlei Verwandtes bekommen
haben. Mit dem ersten (Berlin, G. Grote) hat ein holsteinischer
Pastor, Gustav Frenssen, einen glücklichen Wurf gethan, auf dem
Titelblatt steht "Zwanzigstes Tausend"; der Verfasser hat, wie die Zeitungen
melden, sein Amt niedergelegt und sich in seinem Heimatlande einen Bauernhof
gekauft, um ganz seiner Feder zu leben. Der andre: "Ricks Glambäk. Wie
er ein Mann wurde," von dem bekannten ausgezeichneten dänischen Schrift¬
steller K. G. Vröndsted, ist den Grenzbotenlescrn soeben in einer sorgfältigen
und feinen Übersetzung vorgeführt worden. Die Ähnlichkeit des Eindrucks der
beiden Romane beruht zunächst auf der Stammesverwandtschaft ihrer Menschen
und der Art, wie sie sich äußern, einer naturwüchsigen und treffenden kurzen
Sprache, die in ihrer durchsichtigen Gedankenbildung an das Plattdeutsche an¬
klingt, sodann aus dein einfachen Erzählungsinhalt, der dem innern Erlebnis
nur als Einkleidung dient, damit dieses das volle Licht erhält; höchstens bei
Vröndsted laufen einige wenig hervortretende romanhafte Züge mit unter. Bei
Frenssen fehlen sie ganz. Alles Interesse richtet sich auf das Psychologische,
das Fertigwerden des Menschen, der die Hauptperson ist. Frcnssens Roman
ist in der Art, wie er die sinnlichen Grundlagen der menschlichen Natur
bloß legt, ganz eigentümlich und neu, neu auch in dein Sinne, daß er
schon allein um deswillen solchen Modernen zusagen muß, denen diese Seite
des Lebens die Hauptsache ist, und die nur in der Offenheit noch einige
Schritte weiter gehn. Ernstere Leser, denen hierin schon Frenssen zu weit
gehn möchte, finden bei ihm ein reichliches Gegengewicht an sonstiger Lebens¬
erfahrung, an Gemütswärme und sogar an der religiösen Stimmung eines
auch für unreligiöse Menschen noch annehmbaren natürlichen Christentums.
Dazu kommt, daß uns das Buch das viel bewegte Problem des arbeitenden
Landmanns mit seinen Sorgen und seiner Not vor Augen stellt, aus eigner
Anschauung und in wahrer, ergreifender Schilderung, sodaß der ungewöhnliche
Beifall, mit dem es von der öffentlichen Beurteilung aufgenommen ist, seine
Berechtigung hat.


Iörn Abt und Ricks Glambäk

dorischen Wanderung selbst und den durch sie bewirkten Umwälzungen finde
sich ja keine Spur in den Gedichten. Für unsre deutschen Sezierkünstler, die
die vermeintlichen einzelnen Bestandteile präparieren und meinen, das Ganze
sei von einem Redakteur mehr oder weniger geschickt zusammengeflickt, hat der
Engländer nichts als Spott und Hohn. Warten wir ab, wie sie ihn strafen
werden, mit schweigender Verachtung oder mit beschämender Widerlegung.




Jörn Abt und Ricks Glambäk

s sind die Namen zweier Jungen, eines holsteinischen und eines
dünischen, und die Geschichte ihrer Entwicklung bildet den In¬
halt zweier Romane, die dadurch mancherlei Verwandtes bekommen
haben. Mit dem ersten (Berlin, G. Grote) hat ein holsteinischer
Pastor, Gustav Frenssen, einen glücklichen Wurf gethan, auf dem
Titelblatt steht „Zwanzigstes Tausend"; der Verfasser hat, wie die Zeitungen
melden, sein Amt niedergelegt und sich in seinem Heimatlande einen Bauernhof
gekauft, um ganz seiner Feder zu leben. Der andre: „Ricks Glambäk. Wie
er ein Mann wurde," von dem bekannten ausgezeichneten dänischen Schrift¬
steller K. G. Vröndsted, ist den Grenzbotenlescrn soeben in einer sorgfältigen
und feinen Übersetzung vorgeführt worden. Die Ähnlichkeit des Eindrucks der
beiden Romane beruht zunächst auf der Stammesverwandtschaft ihrer Menschen
und der Art, wie sie sich äußern, einer naturwüchsigen und treffenden kurzen
Sprache, die in ihrer durchsichtigen Gedankenbildung an das Plattdeutsche an¬
klingt, sodann aus dein einfachen Erzählungsinhalt, der dem innern Erlebnis
nur als Einkleidung dient, damit dieses das volle Licht erhält; höchstens bei
Vröndsted laufen einige wenig hervortretende romanhafte Züge mit unter. Bei
Frenssen fehlen sie ganz. Alles Interesse richtet sich auf das Psychologische,
das Fertigwerden des Menschen, der die Hauptperson ist. Frcnssens Roman
ist in der Art, wie er die sinnlichen Grundlagen der menschlichen Natur
bloß legt, ganz eigentümlich und neu, neu auch in dein Sinne, daß er
schon allein um deswillen solchen Modernen zusagen muß, denen diese Seite
des Lebens die Hauptsache ist, und die nur in der Offenheit noch einige
Schritte weiter gehn. Ernstere Leser, denen hierin schon Frenssen zu weit
gehn möchte, finden bei ihm ein reichliches Gegengewicht an sonstiger Lebens¬
erfahrung, an Gemütswärme und sogar an der religiösen Stimmung eines
auch für unreligiöse Menschen noch annehmbaren natürlichen Christentums.
Dazu kommt, daß uns das Buch das viel bewegte Problem des arbeitenden
Landmanns mit seinen Sorgen und seiner Not vor Augen stellt, aus eigner
Anschauung und in wahrer, ergreifender Schilderung, sodaß der ungewöhnliche
Beifall, mit dem es von der öffentlichen Beurteilung aufgenommen ist, seine
Berechtigung hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/34>, abgerufen am 02.05.2024.