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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Schulreform und kein Ende
Veto Uciemmel von

it Kielen andern hatten auch die Grenzboten angenommen, daß
der kaiserliche Erlaß vom 26. November 1900, indem er die
grundsätzliche Gleichberechtigung der drei Gattungen höherer
Schulen, des humanistischen Gymnasiums, des Realgymnasiums
und der Oberrcalschule (in Preußen), in ihrem Verhältnis zur
Universität aussprach, den heillosen Schulkrieg beenden und den Schulfricden
herbeiführen werde. Zwar haben alle Universitäten Deutschlands zunächst nur
die medizinische Fakultät den Abiturienten auch der Realgymnasien geöffnet, die
juristische nnr die preußischen, aber das sind immerhin 10, oder Straßburg
mitgerechnet, 11 von 21, und die Sperrung des juristischen Studiums für die
Abiturienten dieser Schulen oder vielmehr nur der juristischen Staatsprüfung
lst etwas so Unlogisches, daß es schwerlich Aussicht auf lauge Dauer hat.

Jedenfalls hatten die humanistischen Gymnasien alle Ursache, den Wegfall
^'es "Monopols" als eine Erlösung zu begrüßen, denn es hatte ihnen nur
Unsegen und Verkümmerung ihrer eignen Art gebracht. Sie hatten sich einem
das gesunde Maß der allgemeinen Bildung überschreitenden Betriebe der Mathe¬
matik öffnen, das Griechische nach Untertertia verschieben, das Französische in
den Anfangsklassen als Hauptfach, also als ein neues Versetzungshindernis
gefallen und sich so mit einem überspannten "Utraquismus" beladen lassen
müssen, der ein die Arbeitskraft des Durchschnittsschülers oft zu hohe Anfor¬
derungen stellt und leicht abstumpfend, nicht anregend wirkt. Deshalb durften
sie mit Genugthuung vernehmen, daß nunmehr jeder der drei Schulgattungen
freie Entfaltung ihrer Eigentümlichkeit gewährt werden sollte, und in der
^hat begann in Preußen nach den "Lehrplänen und Lehraufgaben" von 1901
wie leise Rückbildung nach der humanistischen Seite hin, die wenigstens die
schlimmsten Folgen der mißglückter "Reform" von 1892 heben kann. Aller¬
dings geschah nieder in Preußen noch in den andern Bundesstaaten, die diese
Reform entweder gar nicht oder nnr in sehr abgeschwächter Form mitgemacht
hatten, etwas zur Milderung des Utraquismus, und von seiner gänzlichen Be¬
seitigung kann natürlich auch gar keine Rede sein; er liegt im Wesen unsrer


Grenzboten IV 1SV2 71


Schulreform und kein Ende
Veto Uciemmel von

it Kielen andern hatten auch die Grenzboten angenommen, daß
der kaiserliche Erlaß vom 26. November 1900, indem er die
grundsätzliche Gleichberechtigung der drei Gattungen höherer
Schulen, des humanistischen Gymnasiums, des Realgymnasiums
und der Oberrcalschule (in Preußen), in ihrem Verhältnis zur
Universität aussprach, den heillosen Schulkrieg beenden und den Schulfricden
herbeiführen werde. Zwar haben alle Universitäten Deutschlands zunächst nur
die medizinische Fakultät den Abiturienten auch der Realgymnasien geöffnet, die
juristische nnr die preußischen, aber das sind immerhin 10, oder Straßburg
mitgerechnet, 11 von 21, und die Sperrung des juristischen Studiums für die
Abiturienten dieser Schulen oder vielmehr nur der juristischen Staatsprüfung
lst etwas so Unlogisches, daß es schwerlich Aussicht auf lauge Dauer hat.

Jedenfalls hatten die humanistischen Gymnasien alle Ursache, den Wegfall
^'es „Monopols" als eine Erlösung zu begrüßen, denn es hatte ihnen nur
Unsegen und Verkümmerung ihrer eignen Art gebracht. Sie hatten sich einem
das gesunde Maß der allgemeinen Bildung überschreitenden Betriebe der Mathe¬
matik öffnen, das Griechische nach Untertertia verschieben, das Französische in
den Anfangsklassen als Hauptfach, also als ein neues Versetzungshindernis
gefallen und sich so mit einem überspannten „Utraquismus" beladen lassen
müssen, der ein die Arbeitskraft des Durchschnittsschülers oft zu hohe Anfor¬
derungen stellt und leicht abstumpfend, nicht anregend wirkt. Deshalb durften
sie mit Genugthuung vernehmen, daß nunmehr jeder der drei Schulgattungen
freie Entfaltung ihrer Eigentümlichkeit gewährt werden sollte, und in der
^hat begann in Preußen nach den „Lehrplänen und Lehraufgaben" von 1901
wie leise Rückbildung nach der humanistischen Seite hin, die wenigstens die
schlimmsten Folgen der mißglückter „Reform" von 1892 heben kann. Aller¬
dings geschah nieder in Preußen noch in den andern Bundesstaaten, die diese
Reform entweder gar nicht oder nnr in sehr abgeschwächter Form mitgemacht
hatten, etwas zur Milderung des Utraquismus, und von seiner gänzlichen Be¬
seitigung kann natürlich auch gar keine Rede sein; er liegt im Wesen unsrer


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[0571] [Abbildung] Schulreform und kein Ende Veto Uciemmel von it Kielen andern hatten auch die Grenzboten angenommen, daß der kaiserliche Erlaß vom 26. November 1900, indem er die grundsätzliche Gleichberechtigung der drei Gattungen höherer Schulen, des humanistischen Gymnasiums, des Realgymnasiums und der Oberrcalschule (in Preußen), in ihrem Verhältnis zur Universität aussprach, den heillosen Schulkrieg beenden und den Schulfricden herbeiführen werde. Zwar haben alle Universitäten Deutschlands zunächst nur die medizinische Fakultät den Abiturienten auch der Realgymnasien geöffnet, die juristische nnr die preußischen, aber das sind immerhin 10, oder Straßburg mitgerechnet, 11 von 21, und die Sperrung des juristischen Studiums für die Abiturienten dieser Schulen oder vielmehr nur der juristischen Staatsprüfung lst etwas so Unlogisches, daß es schwerlich Aussicht auf lauge Dauer hat. Jedenfalls hatten die humanistischen Gymnasien alle Ursache, den Wegfall ^'es „Monopols" als eine Erlösung zu begrüßen, denn es hatte ihnen nur Unsegen und Verkümmerung ihrer eignen Art gebracht. Sie hatten sich einem das gesunde Maß der allgemeinen Bildung überschreitenden Betriebe der Mathe¬ matik öffnen, das Griechische nach Untertertia verschieben, das Französische in den Anfangsklassen als Hauptfach, also als ein neues Versetzungshindernis gefallen und sich so mit einem überspannten „Utraquismus" beladen lassen müssen, der ein die Arbeitskraft des Durchschnittsschülers oft zu hohe Anfor¬ derungen stellt und leicht abstumpfend, nicht anregend wirkt. Deshalb durften sie mit Genugthuung vernehmen, daß nunmehr jeder der drei Schulgattungen freie Entfaltung ihrer Eigentümlichkeit gewährt werden sollte, und in der ^hat begann in Preußen nach den „Lehrplänen und Lehraufgaben" von 1901 wie leise Rückbildung nach der humanistischen Seite hin, die wenigstens die schlimmsten Folgen der mißglückter „Reform" von 1892 heben kann. Aller¬ dings geschah nieder in Preußen noch in den andern Bundesstaaten, die diese Reform entweder gar nicht oder nnr in sehr abgeschwächter Form mitgemacht hatten, etwas zur Milderung des Utraquismus, und von seiner gänzlichen Be¬ seitigung kann natürlich auch gar keine Rede sein; er liegt im Wesen unsrer Grenzboten IV 1SV2 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/571>, abgerufen am 02.05.2024.