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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

45 Millionen Einwohner: über einen solchen Bund gehn auch die expansions¬
lustigsten Großstaaten nicht leicht zur Tagesordnung über. Gemeinsame Besorgnis
vor einer gemeinsamen Gefahr kann die entgegenstehenden Hindernisse wohl
L.L.Seemann überwinden.


Venezolanisches Staatsrecht.

Man könnte behaupten: jeder Erdteil hat
den Wettcrwinkel, den er verdient. Auf Europa, Asien und Afrika mag dies zu¬
treffen, aber auf Südamerika nicht. Die ganze geschichtliche Entwicklung beweist,
daß dort moderne Kultur und veraltete Sitten, rohe Machtverhältnisse und gut
ausgearbeitete Gesetze, mit einem Worte: Wille und Fähigkeit im schweren Kampfe
um die Oberhand ringen. Verfehlt wäre es also, hier, weit vom Schüsse aber
auch weit von den Thatsachen, vorschnell zu urteilen. Will man gerecht sein, so
soll man erwägen, daß nur eine lange Entwicklung, deren Ende auch nicht eine
große Flotte von nordamerikanischen oder gar europäischen Schiffen herbeiführen
wird, den Ländern des südamerikanischen Kontinents den von ihnen selbst gewünschten
Frieden bringen kann.

Liest man die jüngsten Zeitungsberichte über Venezuela, daun ist man ordentlich
froh, daß man recht weit von dieser Gegend entfernt ist, dann ist man aber auch
empört darüber, daß solche Zustände heutzutage noch vorkommen können. Da kämpft
Präsident Castro, vereinigt mit General Garrido, gegen den aufständischen Mendoza,
da bricht das Kriegsschiff "Nestnurador" unter falscher Flagge in Ciudad Bolivar
ein und bombardiert die Stadt; da werden oder sollen schließlich alle Kabel zer¬
stört werden. Ein Gebiet des Bundesstaats erklärt sich endlich gar für unab¬
hängig und erklärt einem andern Vundesgliede den Krieg. Des Schlechten bei¬
nahe zu viel! Obwohl ich nicht einen Augenblick zweifle, daß wir bald noch
Schlimmeres hören werden. (Diese Voraussage, die ich vor längerer Zeit machte,
als ich diese Zeilen schrieb, ist nun eingetroffen.) ^ Is, xuorrv eommv ^ is, gusrig.
Es liegt mir fern, damit diese Vorgänge zu entschuldigen oder gar zu verteidigen.
Ich will nur hervorheben, daß die Zustände in Venezuela uns verständlicher und
in richtigem Lichte erscheinen werden, wenn wir die Geschichte und das Staatsrecht
Venezuelas näher betrachten.

Ich glaube, mit dem folgenden vielen etwas Neues oder jedenfalls bisher
nicht Bekanntes zu bringen. Denn die staatsrechtliche Litteratur ist bis auf Wester-
kcimp, der sich zum erstenmal damit beschäftigte, achtlos, ja beinahe geringschätzig
an den Erscheinungen des südamerikanischen Stnatslebens vorübergegangen. Ich
habe nach Möglichkeit das gut zu machen gesucht (in Le Für und Posener, Bundes-
staat und Staatenbund, 1902, Bund I, Seite 229 ff.) und will hier in Kürze auf
die Geschichte und die gegenwärtige, sehr interessante Verfassung Venezuelas ein¬
gehn. Die Selbständigkeit Venezuelas stammt, wie die der andern südamerikanischen
Stnatenverbindungen, aus der Zeit seiner Erhebung gegen das europäische Mutter¬
land. Der Priester Madaringn und der Oberst Bolivar leiteten den Aufstand in
Caracas, und schon um 5. Juli 1811 erklärte sich die Konföderation von Vene¬
zuela für unabhängig. Die Versuche Spaniens, das Land wiederzuerobern, schlug
Simon Bolivar zuletzt 1814 zurück. Am 6. Mai 1821 vereinigte Bolivar Vene¬
zuela mit Neu-Grnnada und Ecuador zu einem neuen Bundesstnatc, Kolumbien.
Bolivar Plante, nachdem er auch Peru und Bolivia befreit hatte, einen großen
Bund der spanischen Kolonien in Südamerika. Auf dem Kongresse zu Caracas
sollte diese in ihrer Ausdehnung einzig dastehende Staatengründung vor sich gehn.
Aber hier kam es vor Streit und Parteiungen nicht zur Einigkeit. Bolivar selbst,
der Freiheitsapostel und unermüdliche Kämpfer, wurde damals von dem peruanischen
Minister des Auswärtigen angeklagt, daß er nach der Kaiserkrone strebe.

Bald wurde auch das engere Band der Kolonien gelöst: Venezuela und Ca¬
racas trennten sich 1829, Ecuad r erklärte sich im Mai 1830 zu Riobnmba für
unabhängig. Venezuela gab si.i) am 22. September 1830 eine Verfassung, die
sowohl Züge der Zentralesation als der Föderation enthielt. Wie gleich an dieser


Maßgebliches und Unmaßgebliches

45 Millionen Einwohner: über einen solchen Bund gehn auch die expansions¬
lustigsten Großstaaten nicht leicht zur Tagesordnung über. Gemeinsame Besorgnis
vor einer gemeinsamen Gefahr kann die entgegenstehenden Hindernisse wohl
L.L.Seemann überwinden.


Venezolanisches Staatsrecht.

Man könnte behaupten: jeder Erdteil hat
den Wettcrwinkel, den er verdient. Auf Europa, Asien und Afrika mag dies zu¬
treffen, aber auf Südamerika nicht. Die ganze geschichtliche Entwicklung beweist,
daß dort moderne Kultur und veraltete Sitten, rohe Machtverhältnisse und gut
ausgearbeitete Gesetze, mit einem Worte: Wille und Fähigkeit im schweren Kampfe
um die Oberhand ringen. Verfehlt wäre es also, hier, weit vom Schüsse aber
auch weit von den Thatsachen, vorschnell zu urteilen. Will man gerecht sein, so
soll man erwägen, daß nur eine lange Entwicklung, deren Ende auch nicht eine
große Flotte von nordamerikanischen oder gar europäischen Schiffen herbeiführen
wird, den Ländern des südamerikanischen Kontinents den von ihnen selbst gewünschten
Frieden bringen kann.

Liest man die jüngsten Zeitungsberichte über Venezuela, daun ist man ordentlich
froh, daß man recht weit von dieser Gegend entfernt ist, dann ist man aber auch
empört darüber, daß solche Zustände heutzutage noch vorkommen können. Da kämpft
Präsident Castro, vereinigt mit General Garrido, gegen den aufständischen Mendoza,
da bricht das Kriegsschiff „Nestnurador" unter falscher Flagge in Ciudad Bolivar
ein und bombardiert die Stadt; da werden oder sollen schließlich alle Kabel zer¬
stört werden. Ein Gebiet des Bundesstaats erklärt sich endlich gar für unab¬
hängig und erklärt einem andern Vundesgliede den Krieg. Des Schlechten bei¬
nahe zu viel! Obwohl ich nicht einen Augenblick zweifle, daß wir bald noch
Schlimmeres hören werden. (Diese Voraussage, die ich vor längerer Zeit machte,
als ich diese Zeilen schrieb, ist nun eingetroffen.) ^ Is, xuorrv eommv ^ is, gusrig.
Es liegt mir fern, damit diese Vorgänge zu entschuldigen oder gar zu verteidigen.
Ich will nur hervorheben, daß die Zustände in Venezuela uns verständlicher und
in richtigem Lichte erscheinen werden, wenn wir die Geschichte und das Staatsrecht
Venezuelas näher betrachten.

Ich glaube, mit dem folgenden vielen etwas Neues oder jedenfalls bisher
nicht Bekanntes zu bringen. Denn die staatsrechtliche Litteratur ist bis auf Wester-
kcimp, der sich zum erstenmal damit beschäftigte, achtlos, ja beinahe geringschätzig
an den Erscheinungen des südamerikanischen Stnatslebens vorübergegangen. Ich
habe nach Möglichkeit das gut zu machen gesucht (in Le Für und Posener, Bundes-
staat und Staatenbund, 1902, Bund I, Seite 229 ff.) und will hier in Kürze auf
die Geschichte und die gegenwärtige, sehr interessante Verfassung Venezuelas ein¬
gehn. Die Selbständigkeit Venezuelas stammt, wie die der andern südamerikanischen
Stnatenverbindungen, aus der Zeit seiner Erhebung gegen das europäische Mutter¬
land. Der Priester Madaringn und der Oberst Bolivar leiteten den Aufstand in
Caracas, und schon um 5. Juli 1811 erklärte sich die Konföderation von Vene¬
zuela für unabhängig. Die Versuche Spaniens, das Land wiederzuerobern, schlug
Simon Bolivar zuletzt 1814 zurück. Am 6. Mai 1821 vereinigte Bolivar Vene¬
zuela mit Neu-Grnnada und Ecuador zu einem neuen Bundesstnatc, Kolumbien.
Bolivar Plante, nachdem er auch Peru und Bolivia befreit hatte, einen großen
Bund der spanischen Kolonien in Südamerika. Auf dem Kongresse zu Caracas
sollte diese in ihrer Ausdehnung einzig dastehende Staatengründung vor sich gehn.
Aber hier kam es vor Streit und Parteiungen nicht zur Einigkeit. Bolivar selbst,
der Freiheitsapostel und unermüdliche Kämpfer, wurde damals von dem peruanischen
Minister des Auswärtigen angeklagt, daß er nach der Kaiserkrone strebe.

Bald wurde auch das engere Band der Kolonien gelöst: Venezuela und Ca¬
racas trennten sich 1829, Ecuad r erklärte sich im Mai 1830 zu Riobnmba für
unabhängig. Venezuela gab si.i) am 22. September 1830 eine Verfassung, die
sowohl Züge der Zentralesation als der Föderation enthielt. Wie gleich an dieser


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[0752] Maßgebliches und Unmaßgebliches 45 Millionen Einwohner: über einen solchen Bund gehn auch die expansions¬ lustigsten Großstaaten nicht leicht zur Tagesordnung über. Gemeinsame Besorgnis vor einer gemeinsamen Gefahr kann die entgegenstehenden Hindernisse wohl L.L.Seemann überwinden. Venezolanisches Staatsrecht. Man könnte behaupten: jeder Erdteil hat den Wettcrwinkel, den er verdient. Auf Europa, Asien und Afrika mag dies zu¬ treffen, aber auf Südamerika nicht. Die ganze geschichtliche Entwicklung beweist, daß dort moderne Kultur und veraltete Sitten, rohe Machtverhältnisse und gut ausgearbeitete Gesetze, mit einem Worte: Wille und Fähigkeit im schweren Kampfe um die Oberhand ringen. Verfehlt wäre es also, hier, weit vom Schüsse aber auch weit von den Thatsachen, vorschnell zu urteilen. Will man gerecht sein, so soll man erwägen, daß nur eine lange Entwicklung, deren Ende auch nicht eine große Flotte von nordamerikanischen oder gar europäischen Schiffen herbeiführen wird, den Ländern des südamerikanischen Kontinents den von ihnen selbst gewünschten Frieden bringen kann. Liest man die jüngsten Zeitungsberichte über Venezuela, daun ist man ordentlich froh, daß man recht weit von dieser Gegend entfernt ist, dann ist man aber auch empört darüber, daß solche Zustände heutzutage noch vorkommen können. Da kämpft Präsident Castro, vereinigt mit General Garrido, gegen den aufständischen Mendoza, da bricht das Kriegsschiff „Nestnurador" unter falscher Flagge in Ciudad Bolivar ein und bombardiert die Stadt; da werden oder sollen schließlich alle Kabel zer¬ stört werden. Ein Gebiet des Bundesstaats erklärt sich endlich gar für unab¬ hängig und erklärt einem andern Vundesgliede den Krieg. Des Schlechten bei¬ nahe zu viel! Obwohl ich nicht einen Augenblick zweifle, daß wir bald noch Schlimmeres hören werden. (Diese Voraussage, die ich vor längerer Zeit machte, als ich diese Zeilen schrieb, ist nun eingetroffen.) ^ Is, xuorrv eommv ^ is, gusrig. Es liegt mir fern, damit diese Vorgänge zu entschuldigen oder gar zu verteidigen. Ich will nur hervorheben, daß die Zustände in Venezuela uns verständlicher und in richtigem Lichte erscheinen werden, wenn wir die Geschichte und das Staatsrecht Venezuelas näher betrachten. Ich glaube, mit dem folgenden vielen etwas Neues oder jedenfalls bisher nicht Bekanntes zu bringen. Denn die staatsrechtliche Litteratur ist bis auf Wester- kcimp, der sich zum erstenmal damit beschäftigte, achtlos, ja beinahe geringschätzig an den Erscheinungen des südamerikanischen Stnatslebens vorübergegangen. Ich habe nach Möglichkeit das gut zu machen gesucht (in Le Für und Posener, Bundes- staat und Staatenbund, 1902, Bund I, Seite 229 ff.) und will hier in Kürze auf die Geschichte und die gegenwärtige, sehr interessante Verfassung Venezuelas ein¬ gehn. Die Selbständigkeit Venezuelas stammt, wie die der andern südamerikanischen Stnatenverbindungen, aus der Zeit seiner Erhebung gegen das europäische Mutter¬ land. Der Priester Madaringn und der Oberst Bolivar leiteten den Aufstand in Caracas, und schon um 5. Juli 1811 erklärte sich die Konföderation von Vene¬ zuela für unabhängig. Die Versuche Spaniens, das Land wiederzuerobern, schlug Simon Bolivar zuletzt 1814 zurück. Am 6. Mai 1821 vereinigte Bolivar Vene¬ zuela mit Neu-Grnnada und Ecuador zu einem neuen Bundesstnatc, Kolumbien. Bolivar Plante, nachdem er auch Peru und Bolivia befreit hatte, einen großen Bund der spanischen Kolonien in Südamerika. Auf dem Kongresse zu Caracas sollte diese in ihrer Ausdehnung einzig dastehende Staatengründung vor sich gehn. Aber hier kam es vor Streit und Parteiungen nicht zur Einigkeit. Bolivar selbst, der Freiheitsapostel und unermüdliche Kämpfer, wurde damals von dem peruanischen Minister des Auswärtigen angeklagt, daß er nach der Kaiserkrone strebe. Bald wurde auch das engere Band der Kolonien gelöst: Venezuela und Ca¬ racas trennten sich 1829, Ecuad r erklärte sich im Mai 1830 zu Riobnmba für unabhängig. Venezuela gab si.i) am 22. September 1830 eine Verfassung, die sowohl Züge der Zentralesation als der Föderation enthielt. Wie gleich an dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/752>, abgerufen am 02.05.2024.