Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die preußisch - italienische Allianz von 1,866

Unternehmungen größern Umfangs ins Werk zu setzen? Tut es dus, so gibt
es sich Frankreich in die Hände und sagt sich von England los. Dieses ver¬
liert damit den letzten Bundesgenossen in Europa, der es wenigstens in seiner
Mittelmeerpolitik bisher willig unterstützt hatte, und der in der Lage ist, die
Machtverhältnisse zur See einer gründlichen Prüfung unterziehn zu helfen.




Die preußisch-italienische Allianz von ^866

aß sich Preußen und Italien im Frühjahr 1806 zu gegenseitiger
Hilfe verbündeten -- Preußen, um dem Vvrmachtstreit in Deutsch¬
land ein Ende zu machen, Italien, um in den Besitz Venetieus
zu gelangen --, war, wie sich die politischen Dinge gestaltet hatten,
etwas Natürliches, Selbstverständliches; von lange her schien die
geschichtliche Entwicklung dieses Zusammentreffen vorbereitet zu haben. Den¬
noch ist dieses Bündnis nur unter großen Schwierigkeiten zu stände ge
kommen. Es lag gleichsam in der Luft. Hier und dort war das natio¬
nale Ziel verwandt, der Gegner, den es zu bekämpfen galt, war derselbe.
Die öffentliche Meinung in beiden Ländern stand den Staatsmännern zur
Seite: in Deutschland hatte sich das zögernde Vertrauen erst dann der
nationalen Politik des leitenden Staatsmannes vollends zugewandt, als man sie
im Bunde mit dem seiner Vollendung zustrebenden Nationalstaat der Italiener
sah. Und dennoch ist die Geschichte dieses Bündnisses voll von Irrungen und
Mißverständnissen. Mehr als einmal hat es nur mit Mühe die Probe be¬
standen. Ein Stein des Anstoßes nach dem andern mußte aus dem Wege
gerünmt werden, die Auslegung des Bündnisses war bis zum Ende ein
Gegenstand des Streits. Mißtrauisch folgte jeder der Verbündeten den
Schritten des andern. Und auch dann, als sich das Bündnis allen Hinder¬
nissen zum Trotz als zuverlässig bewährt hatte und sein Doppelzweck glücklich
erreicht war, auch dann noch hatte es ein unerquickliches Nachspiel, dessen
Wirkungen sich in der Literatur beider Länder dauernd erhalten haben. Das
sind bekannte Dinge, aber sie werden wieder aufgefrischt und in manchen Einzel¬
heiten schärfer beleuchtet durch ein Buch, das kürzlich in Italien erschienen
und dem Andenken einer der Hauptpersonen von damals gewidmet ist."-) Der
Unterhändler des Bündnisses auf italienischer Seite war der General Joseph
Govone. Er ist schon vor dreißig Jahren gestorben. Jetzt erst hat der Sohn
gesammelt, was von amtlichen Schriftstücken und von intimen Aufzeichnungen,
Tagebüchern, Briefen seines Vaters vorhanden war; ein sehr fragmentarisches
Material, mit dessen Hilfe aber doch ein urkundlich treues Bild des Mannes



*) vindorw vovous, II Ssllvriüo viusoxpo Vovouo. Il'iiuninlliiti ni Usmoriv. 1'oiiuo,
ssi'. (ÄLimovg,, 1902.
Die preußisch - italienische Allianz von 1,866

Unternehmungen größern Umfangs ins Werk zu setzen? Tut es dus, so gibt
es sich Frankreich in die Hände und sagt sich von England los. Dieses ver¬
liert damit den letzten Bundesgenossen in Europa, der es wenigstens in seiner
Mittelmeerpolitik bisher willig unterstützt hatte, und der in der Lage ist, die
Machtverhältnisse zur See einer gründlichen Prüfung unterziehn zu helfen.




Die preußisch-italienische Allianz von ^866

aß sich Preußen und Italien im Frühjahr 1806 zu gegenseitiger
Hilfe verbündeten — Preußen, um dem Vvrmachtstreit in Deutsch¬
land ein Ende zu machen, Italien, um in den Besitz Venetieus
zu gelangen —, war, wie sich die politischen Dinge gestaltet hatten,
etwas Natürliches, Selbstverständliches; von lange her schien die
geschichtliche Entwicklung dieses Zusammentreffen vorbereitet zu haben. Den¬
noch ist dieses Bündnis nur unter großen Schwierigkeiten zu stände ge
kommen. Es lag gleichsam in der Luft. Hier und dort war das natio¬
nale Ziel verwandt, der Gegner, den es zu bekämpfen galt, war derselbe.
Die öffentliche Meinung in beiden Ländern stand den Staatsmännern zur
Seite: in Deutschland hatte sich das zögernde Vertrauen erst dann der
nationalen Politik des leitenden Staatsmannes vollends zugewandt, als man sie
im Bunde mit dem seiner Vollendung zustrebenden Nationalstaat der Italiener
sah. Und dennoch ist die Geschichte dieses Bündnisses voll von Irrungen und
Mißverständnissen. Mehr als einmal hat es nur mit Mühe die Probe be¬
standen. Ein Stein des Anstoßes nach dem andern mußte aus dem Wege
gerünmt werden, die Auslegung des Bündnisses war bis zum Ende ein
Gegenstand des Streits. Mißtrauisch folgte jeder der Verbündeten den
Schritten des andern. Und auch dann, als sich das Bündnis allen Hinder¬
nissen zum Trotz als zuverlässig bewährt hatte und sein Doppelzweck glücklich
erreicht war, auch dann noch hatte es ein unerquickliches Nachspiel, dessen
Wirkungen sich in der Literatur beider Länder dauernd erhalten haben. Das
sind bekannte Dinge, aber sie werden wieder aufgefrischt und in manchen Einzel¬
heiten schärfer beleuchtet durch ein Buch, das kürzlich in Italien erschienen
und dem Andenken einer der Hauptpersonen von damals gewidmet ist."-) Der
Unterhändler des Bündnisses auf italienischer Seite war der General Joseph
Govone. Er ist schon vor dreißig Jahren gestorben. Jetzt erst hat der Sohn
gesammelt, was von amtlichen Schriftstücken und von intimen Aufzeichnungen,
Tagebüchern, Briefen seines Vaters vorhanden war; ein sehr fragmentarisches
Material, mit dessen Hilfe aber doch ein urkundlich treues Bild des Mannes



*) vindorw vovous, II Ssllvriüo viusoxpo Vovouo. Il'iiuninlliiti ni Usmoriv. 1'oiiuo,
ssi'. (ÄLimovg,, 1902.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239634"/>
          <fw type="header" place="top"> Die preußisch - italienische Allianz von 1,866</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_384" prev="#ID_383"> Unternehmungen größern Umfangs ins Werk zu setzen? Tut es dus, so gibt<lb/>
es sich Frankreich in die Hände und sagt sich von England los. Dieses ver¬<lb/>
liert damit den letzten Bundesgenossen in Europa, der es wenigstens in seiner<lb/>
Mittelmeerpolitik bisher willig unterstützt hatte, und der in der Lage ist, die<lb/>
Machtverhältnisse zur See einer gründlichen Prüfung unterziehn zu helfen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die preußisch-italienische Allianz von ^866</head><lb/>
          <p xml:id="ID_385" next="#ID_386"> aß sich Preußen und Italien im Frühjahr 1806 zu gegenseitiger<lb/>
Hilfe verbündeten &#x2014; Preußen, um dem Vvrmachtstreit in Deutsch¬<lb/>
land ein Ende zu machen, Italien, um in den Besitz Venetieus<lb/>
zu gelangen &#x2014;, war, wie sich die politischen Dinge gestaltet hatten,<lb/>
etwas Natürliches, Selbstverständliches; von lange her schien die<lb/>
geschichtliche Entwicklung dieses Zusammentreffen vorbereitet zu haben. Den¬<lb/>
noch ist dieses Bündnis nur unter großen Schwierigkeiten zu stände ge<lb/>
kommen. Es lag gleichsam in der Luft. Hier und dort war das natio¬<lb/>
nale Ziel verwandt, der Gegner, den es zu bekämpfen galt, war derselbe.<lb/>
Die öffentliche Meinung in beiden Ländern stand den Staatsmännern zur<lb/>
Seite: in Deutschland hatte sich das zögernde Vertrauen erst dann der<lb/>
nationalen Politik des leitenden Staatsmannes vollends zugewandt, als man sie<lb/>
im Bunde mit dem seiner Vollendung zustrebenden Nationalstaat der Italiener<lb/>
sah. Und dennoch ist die Geschichte dieses Bündnisses voll von Irrungen und<lb/>
Mißverständnissen. Mehr als einmal hat es nur mit Mühe die Probe be¬<lb/>
standen. Ein Stein des Anstoßes nach dem andern mußte aus dem Wege<lb/>
gerünmt werden, die Auslegung des Bündnisses war bis zum Ende ein<lb/>
Gegenstand des Streits. Mißtrauisch folgte jeder der Verbündeten den<lb/>
Schritten des andern. Und auch dann, als sich das Bündnis allen Hinder¬<lb/>
nissen zum Trotz als zuverlässig bewährt hatte und sein Doppelzweck glücklich<lb/>
erreicht war, auch dann noch hatte es ein unerquickliches Nachspiel, dessen<lb/>
Wirkungen sich in der Literatur beider Länder dauernd erhalten haben. Das<lb/>
sind bekannte Dinge, aber sie werden wieder aufgefrischt und in manchen Einzel¬<lb/>
heiten schärfer beleuchtet durch ein Buch, das kürzlich in Italien erschienen<lb/>
und dem Andenken einer der Hauptpersonen von damals gewidmet ist."-) Der<lb/>
Unterhändler des Bündnisses auf italienischer Seite war der General Joseph<lb/>
Govone. Er ist schon vor dreißig Jahren gestorben. Jetzt erst hat der Sohn<lb/>
gesammelt, was von amtlichen Schriftstücken und von intimen Aufzeichnungen,<lb/>
Tagebüchern, Briefen seines Vaters vorhanden war; ein sehr fragmentarisches<lb/>
Material, mit dessen Hilfe aber doch ein urkundlich treues Bild des Mannes</p><lb/>
          <note xml:id="FID_3" place="foot"> *) vindorw vovous, II Ssllvriüo viusoxpo Vovouo. Il'iiuninlliiti ni Usmoriv. 1'oiiuo,<lb/>
ssi'. (ÄLimovg,, 1902.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] Die preußisch - italienische Allianz von 1,866 Unternehmungen größern Umfangs ins Werk zu setzen? Tut es dus, so gibt es sich Frankreich in die Hände und sagt sich von England los. Dieses ver¬ liert damit den letzten Bundesgenossen in Europa, der es wenigstens in seiner Mittelmeerpolitik bisher willig unterstützt hatte, und der in der Lage ist, die Machtverhältnisse zur See einer gründlichen Prüfung unterziehn zu helfen. Die preußisch-italienische Allianz von ^866 aß sich Preußen und Italien im Frühjahr 1806 zu gegenseitiger Hilfe verbündeten — Preußen, um dem Vvrmachtstreit in Deutsch¬ land ein Ende zu machen, Italien, um in den Besitz Venetieus zu gelangen —, war, wie sich die politischen Dinge gestaltet hatten, etwas Natürliches, Selbstverständliches; von lange her schien die geschichtliche Entwicklung dieses Zusammentreffen vorbereitet zu haben. Den¬ noch ist dieses Bündnis nur unter großen Schwierigkeiten zu stände ge kommen. Es lag gleichsam in der Luft. Hier und dort war das natio¬ nale Ziel verwandt, der Gegner, den es zu bekämpfen galt, war derselbe. Die öffentliche Meinung in beiden Ländern stand den Staatsmännern zur Seite: in Deutschland hatte sich das zögernde Vertrauen erst dann der nationalen Politik des leitenden Staatsmannes vollends zugewandt, als man sie im Bunde mit dem seiner Vollendung zustrebenden Nationalstaat der Italiener sah. Und dennoch ist die Geschichte dieses Bündnisses voll von Irrungen und Mißverständnissen. Mehr als einmal hat es nur mit Mühe die Probe be¬ standen. Ein Stein des Anstoßes nach dem andern mußte aus dem Wege gerünmt werden, die Auslegung des Bündnisses war bis zum Ende ein Gegenstand des Streits. Mißtrauisch folgte jeder der Verbündeten den Schritten des andern. Und auch dann, als sich das Bündnis allen Hinder¬ nissen zum Trotz als zuverlässig bewährt hatte und sein Doppelzweck glücklich erreicht war, auch dann noch hatte es ein unerquickliches Nachspiel, dessen Wirkungen sich in der Literatur beider Länder dauernd erhalten haben. Das sind bekannte Dinge, aber sie werden wieder aufgefrischt und in manchen Einzel¬ heiten schärfer beleuchtet durch ein Buch, das kürzlich in Italien erschienen und dem Andenken einer der Hauptpersonen von damals gewidmet ist."-) Der Unterhändler des Bündnisses auf italienischer Seite war der General Joseph Govone. Er ist schon vor dreißig Jahren gestorben. Jetzt erst hat der Sohn gesammelt, was von amtlichen Schriftstücken und von intimen Aufzeichnungen, Tagebüchern, Briefen seines Vaters vorhanden war; ein sehr fragmentarisches Material, mit dessen Hilfe aber doch ein urkundlich treues Bild des Mannes *) vindorw vovous, II Ssllvriüo viusoxpo Vovouo. Il'iiuninlliiti ni Usmoriv. 1'oiiuo, ssi'. (ÄLimovg,, 1902.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/78>, abgerufen am 16.05.2024.