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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Im Lazarett

Stilistik der heutigen, der lebendigen Sprache, ans sprachgeschichtlicher Grundlage
und mit sprachkünstlerischen Absichten und Zielen!

Wenn es einmal dahin käme, dann würden so unzulängliche und uner¬
freuliche Bücher wie meine "Sprachdummheiten" überflüssig werden. Darüber
wird aber Wohl noch einige Zeit vergehn, und so wünsche ich denn auch dieser
dritten Auflage recht viel und recht verständige Benutzer.




Im Lazarett
2. ^rs moriencli

.le leicht ist doch der Tod! Was uns von ihm trennt, sind mir ein¬
gebildete Hindernisse. Kein Gebirge, keine Mauer erhebt sich zwischen
ihm und uns, es geht ganz eben in das große dunkle Tor hinein.
Tränen können den Weg schwerer machen; wir wissen ja aber, wie
bald sie trockne", und wie groß die Erleichterung des Herzens ist,
!das sich ausgeweint hat. Die Hauptsache ist, daß wir einmal mit
uns selbst einig geworden sind, dem Gang der Dinge ruhig zu folgen. Je mehr
wir uns an den Tod gewöhnen, desto kleiner werden die Schranken der Ewigkeit.
Wer den Tod nicht gesehen hat und eben deswegen den Tod fürchtet, dem ist das
Jenseits mit einer ungeheuer großen Tür verschlossen, die über und über mit
schweren schwarzen Platten verschlagen ist; sein Blick prallt erschrocken zurück. Wer
den Tod oft gesehen hat und vertraut mit ihm geworden ist, für den gibt es
höchstens noch einen blühenden Hag zwischen hier und dort; sein Blick schweift
hinüber und nimmt dort noch schönere Dinge wahr als hier, und er muß sich
halten, daß es ihn nicht mit Macht aus dem Leben hinauszieht. Es ist eine hä߬
liche Sache, die Abneigung des gewöhnlichen Lebens auch schon gegen das Reden
vom Tod, kurzsichtig wie alle Feigheit; denn im Grunde wird das Leben nur um
so schöner, je todbereiter es ist. Will man vielleicht nur nicht daran erinnert sein,
daß der Vorhang jeden Augenblick hernntergehn könnte? Oder ist es eine schlaue
Berechnung, die um keinen Preis das Leben entwertet sehen möchte, das doch für
den Philister das Wertvollste von allem ist?

Ich freue mich nach diesen vielen Jahren noch, daß wir Rekonvaleszenten im
Krankenhause der Barmherzigen Schwestern zu Nancy in der Behandlung der
Todesfrage eine echte Philosophenschule waren. Fast alle, die da versammelt waren,
hatten dem Tode oft ins Auge geschaut, hatten so viele sterben sehen, Sterbende
lagen rings um uns jeden Tag. Wie hätten wir es ablehnen mögen, vom Tode zu
sprechen? Außerdem waren auch echte Christen unter uns, die aus religiösen
Gründen das feige Haften am Leben nicht kannten, das bei mehr Menschen, als
man glauben mag, Ursache und Folge des Fernbleibens von der Kirche ist. Dazu
gehörte auch die blasse Schwester Eulnlie, deren dunkle Augen tiefer und größer
wurden, wenn von dem letzten Augenblick Sterbender die Rede war; sie hätte davon
erzählen können, doch zog sie vor, um eine Bettkante gelehnt, still zuzuhören, das
einzige mal des Tages, wo die immer Heitere ihr Werk unterbrach.

Gefreiter, was heißt denn das woriduncl, das die Ärzte auf die Täfelchen
schreiben, die sie auf den Schlachtfeldern den Schwerverwundeten anhängen?

Das bedeutet zum Sterben bestimmt. Wenn ein Arzt einem so ein Täfelchen
anhängt, lassen ihn die Krankenträger in der Regel liegen; der stirbt dann bald.


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Stilistik der heutigen, der lebendigen Sprache, ans sprachgeschichtlicher Grundlage
und mit sprachkünstlerischen Absichten und Zielen!

Wenn es einmal dahin käme, dann würden so unzulängliche und uner¬
freuliche Bücher wie meine „Sprachdummheiten" überflüssig werden. Darüber
wird aber Wohl noch einige Zeit vergehn, und so wünsche ich denn auch dieser
dritten Auflage recht viel und recht verständige Benutzer.




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2. ^rs moriencli

.le leicht ist doch der Tod! Was uns von ihm trennt, sind mir ein¬
gebildete Hindernisse. Kein Gebirge, keine Mauer erhebt sich zwischen
ihm und uns, es geht ganz eben in das große dunkle Tor hinein.
Tränen können den Weg schwerer machen; wir wissen ja aber, wie
bald sie trockne», und wie groß die Erleichterung des Herzens ist,
!das sich ausgeweint hat. Die Hauptsache ist, daß wir einmal mit
uns selbst einig geworden sind, dem Gang der Dinge ruhig zu folgen. Je mehr
wir uns an den Tod gewöhnen, desto kleiner werden die Schranken der Ewigkeit.
Wer den Tod nicht gesehen hat und eben deswegen den Tod fürchtet, dem ist das
Jenseits mit einer ungeheuer großen Tür verschlossen, die über und über mit
schweren schwarzen Platten verschlagen ist; sein Blick prallt erschrocken zurück. Wer
den Tod oft gesehen hat und vertraut mit ihm geworden ist, für den gibt es
höchstens noch einen blühenden Hag zwischen hier und dort; sein Blick schweift
hinüber und nimmt dort noch schönere Dinge wahr als hier, und er muß sich
halten, daß es ihn nicht mit Macht aus dem Leben hinauszieht. Es ist eine hä߬
liche Sache, die Abneigung des gewöhnlichen Lebens auch schon gegen das Reden
vom Tod, kurzsichtig wie alle Feigheit; denn im Grunde wird das Leben nur um
so schöner, je todbereiter es ist. Will man vielleicht nur nicht daran erinnert sein,
daß der Vorhang jeden Augenblick hernntergehn könnte? Oder ist es eine schlaue
Berechnung, die um keinen Preis das Leben entwertet sehen möchte, das doch für
den Philister das Wertvollste von allem ist?

Ich freue mich nach diesen vielen Jahren noch, daß wir Rekonvaleszenten im
Krankenhause der Barmherzigen Schwestern zu Nancy in der Behandlung der
Todesfrage eine echte Philosophenschule waren. Fast alle, die da versammelt waren,
hatten dem Tode oft ins Auge geschaut, hatten so viele sterben sehen, Sterbende
lagen rings um uns jeden Tag. Wie hätten wir es ablehnen mögen, vom Tode zu
sprechen? Außerdem waren auch echte Christen unter uns, die aus religiösen
Gründen das feige Haften am Leben nicht kannten, das bei mehr Menschen, als
man glauben mag, Ursache und Folge des Fernbleibens von der Kirche ist. Dazu
gehörte auch die blasse Schwester Eulnlie, deren dunkle Augen tiefer und größer
wurden, wenn von dem letzten Augenblick Sterbender die Rede war; sie hätte davon
erzählen können, doch zog sie vor, um eine Bettkante gelehnt, still zuzuhören, das
einzige mal des Tages, wo die immer Heitere ihr Werk unterbrach.

Gefreiter, was heißt denn das woriduncl, das die Ärzte auf die Täfelchen
schreiben, die sie auf den Schlachtfeldern den Schwerverwundeten anhängen?

Das bedeutet zum Sterben bestimmt. Wenn ein Arzt einem so ein Täfelchen
anhängt, lassen ihn die Krankenträger in der Regel liegen; der stirbt dann bald.


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[0226] Im Lazarett Stilistik der heutigen, der lebendigen Sprache, ans sprachgeschichtlicher Grundlage und mit sprachkünstlerischen Absichten und Zielen! Wenn es einmal dahin käme, dann würden so unzulängliche und uner¬ freuliche Bücher wie meine „Sprachdummheiten" überflüssig werden. Darüber wird aber Wohl noch einige Zeit vergehn, und so wünsche ich denn auch dieser dritten Auflage recht viel und recht verständige Benutzer. Im Lazarett 2. ^rs moriencli .le leicht ist doch der Tod! Was uns von ihm trennt, sind mir ein¬ gebildete Hindernisse. Kein Gebirge, keine Mauer erhebt sich zwischen ihm und uns, es geht ganz eben in das große dunkle Tor hinein. Tränen können den Weg schwerer machen; wir wissen ja aber, wie bald sie trockne», und wie groß die Erleichterung des Herzens ist, !das sich ausgeweint hat. Die Hauptsache ist, daß wir einmal mit uns selbst einig geworden sind, dem Gang der Dinge ruhig zu folgen. Je mehr wir uns an den Tod gewöhnen, desto kleiner werden die Schranken der Ewigkeit. Wer den Tod nicht gesehen hat und eben deswegen den Tod fürchtet, dem ist das Jenseits mit einer ungeheuer großen Tür verschlossen, die über und über mit schweren schwarzen Platten verschlagen ist; sein Blick prallt erschrocken zurück. Wer den Tod oft gesehen hat und vertraut mit ihm geworden ist, für den gibt es höchstens noch einen blühenden Hag zwischen hier und dort; sein Blick schweift hinüber und nimmt dort noch schönere Dinge wahr als hier, und er muß sich halten, daß es ihn nicht mit Macht aus dem Leben hinauszieht. Es ist eine hä߬ liche Sache, die Abneigung des gewöhnlichen Lebens auch schon gegen das Reden vom Tod, kurzsichtig wie alle Feigheit; denn im Grunde wird das Leben nur um so schöner, je todbereiter es ist. Will man vielleicht nur nicht daran erinnert sein, daß der Vorhang jeden Augenblick hernntergehn könnte? Oder ist es eine schlaue Berechnung, die um keinen Preis das Leben entwertet sehen möchte, das doch für den Philister das Wertvollste von allem ist? Ich freue mich nach diesen vielen Jahren noch, daß wir Rekonvaleszenten im Krankenhause der Barmherzigen Schwestern zu Nancy in der Behandlung der Todesfrage eine echte Philosophenschule waren. Fast alle, die da versammelt waren, hatten dem Tode oft ins Auge geschaut, hatten so viele sterben sehen, Sterbende lagen rings um uns jeden Tag. Wie hätten wir es ablehnen mögen, vom Tode zu sprechen? Außerdem waren auch echte Christen unter uns, die aus religiösen Gründen das feige Haften am Leben nicht kannten, das bei mehr Menschen, als man glauben mag, Ursache und Folge des Fernbleibens von der Kirche ist. Dazu gehörte auch die blasse Schwester Eulnlie, deren dunkle Augen tiefer und größer wurden, wenn von dem letzten Augenblick Sterbender die Rede war; sie hätte davon erzählen können, doch zog sie vor, um eine Bettkante gelehnt, still zuzuhören, das einzige mal des Tages, wo die immer Heitere ihr Werk unterbrach. Gefreiter, was heißt denn das woriduncl, das die Ärzte auf die Täfelchen schreiben, die sie auf den Schlachtfeldern den Schwerverwundeten anhängen? Das bedeutet zum Sterben bestimmt. Wenn ein Arzt einem so ein Täfelchen anhängt, lassen ihn die Krankenträger in der Regel liegen; der stirbt dann bald.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/226>, abgerufen am 04.05.2024.