Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
maßgebliches und Unmaßgebliches

eingeht Da rauscht das Bergwasser quellenhaft darüber hin, von einer Kraft ge¬
trieben, die ferne ist, erfrischt, kühlt, befruchtet, schafft ganze lebensreiche Oasen.
Hier sieht man die lebenspendende Kraft des Wassers in ihrer ganzen Leistung."
(S. 151.) Da der Verfasser unparteiisch -- die anhaltende Beschäftigung mit der
Natur macht unparteiisch -- alle Lebenskräfte würdigt, so dürfen wir uns nicht
wundern, daß er am Schlüsse feines Werkes vor der Übertreibung der nationalen
Idee warnt, von der unsre Zeit so berauscht sei, "daß sie glaubt, das Weltbürger¬
tum sei zum Gerümpel geworfen."


Eine Frage an die Literaturtechniker.

Man erlebt zwar heutzutage
gerade auch auf dem literarischen Gebiet so manches, was sonst weder Sitte noch
Mode war, aber der Grundsatz, daß die Personen, die Situationen und die Hand¬
lung poetisch wahr, das heißt möglich und denkbar sein müssen, dürfte noch nicht
ernstlich angegriffen worden sein. Die Geltung des Grundsatzes hat nun je
nach der Gattung des Schriftwerks verschiednen Umfang. Für das reine Märchen,
wie Goethe und Novalis je eins geschrieben haben, gilt er gar nicht i hier sind
alle Naturgesetze aufgehoben, und wenn auch menschenähnliche Wesen darin vor¬
kommen, so sind sie doch keine wirklichen Menschen. In den gewöhnlichen Märchen
und in der Fabel sind nur die Naturgesetze außer Kraft gesetzt oder modifiziert,
indem zum Beispiel nach Menschenart handelnde und redende Tiere auftreten, aber
die Menschen darin unterliegen den psychologischen Gesetzen und den Bräuchen des
Standes, des Ortes, des Volks, der Zeit, worein sie der Dichter versetzt. Spielt
die Geschichte nicht in nirgendwo nud überall, sondern in einem mit Namen be¬
zeichneten Lande, so soll auch die Geographie nicht verletzt werden. Daß Shakespeare
den Verkehr zwischen Sizilien und Böhmen zu Schisse vor sich gehn läßt, haben
die deutschen Übersetzer dadurch zu rechtfertigen gesucht, daß sie >öl"or's kath mit
Wintermärcheu wiedergeben; in Wirklichkeit liegt aber die Rechtfertigung darin, daß
das Volk zu des Dichters Zeit sehr unwissend war, und daß damals der durch¬
schnittliche Engländer von der Lage Böhmens so wenig eine klare Vorstellung hatte,
wie der heutige englische Proletarier. Die griechischen Dramatiker entgingen allen
Schwierigkeiten dadurch, daß sie ihre Stücke im mythischen Zeitalter spielen ließen.
Der heutige Roman, der in der Gegenwart und in den uns genau bekannten
Kreisen spielt, hat mit so vielen Möglichkeitsbedingungen zu rechnen, daß die Rea¬
listen aus ihnen die Hauptsache gemacht und darüber die wirkliche Hauptsache: das
interessante Menschenschicksal und die der Teilnahme werte menschliche Persönlichkeit,
häufig vergesse" haben. Das eine soll beachtet, das andre nicht vernachlässigt
werden. So zum Beispiel darf ein Graf bei dem Erntefest, das er seinen Leuten
gibt, seine Tochter mit dem Pferdejungen tanzen lassen, aber ein Kommerzienrat
kann zu einem Diner, das er seinen Freunden gibt, nicht seine Hausknechte ein¬
lade", und ihnen die vornehmsten der anwesenden Dame" zu Tischdamen geben.
Kurzum, der Leser muß sich sagen können: Haben diese Personen nicht wirklich ge¬
lebt, so können sie doch gelebt und so gehandelt und sich benommen haben, wie sie
uns der Dichter zeigt. Richard Voß hat nun unter dem Titel: Für die Krone in
Über Land und Meer einen Roman veröffentlicht, von dessen Personen der Leser
(ich habe nur einzelne Abschnitte überflogen) sich auf der Stelle sagt: Es steht
bombenfest, daß sie niemals existiert haben! Die Hauptpersonen sind ein König
und seine beiden Söhne. Die Wahl von Personen, deren Gattung eine so kleine
Anzahl von Individuen umfaßt, ist an sich recht mißlich. Schon bei den Etats¬
räten der dänischen Romane wird man ein wenig besorgt, ob auch das kleine Land
soviel Exemplare dieser Spezies erzeugt, daß sie für alle die Geschichten ausreichen,
und wer in der Kopenhagner Gesellschaft lebt, der muß, so oft er einem Etatsrat
vorgestellt wird, denken: Wer von meinen alten Bekannten aus der Leihbibliothek
"eng das wohl sein? Nun gar Könige nud Kronprinzen! Vossens König ist ein
deutscher König, und er regiert ein Land, in dein es Alpen und Alpenseen gibt.


maßgebliches und Unmaßgebliches

eingeht Da rauscht das Bergwasser quellenhaft darüber hin, von einer Kraft ge¬
trieben, die ferne ist, erfrischt, kühlt, befruchtet, schafft ganze lebensreiche Oasen.
Hier sieht man die lebenspendende Kraft des Wassers in ihrer ganzen Leistung."
(S. 151.) Da der Verfasser unparteiisch — die anhaltende Beschäftigung mit der
Natur macht unparteiisch — alle Lebenskräfte würdigt, so dürfen wir uns nicht
wundern, daß er am Schlüsse feines Werkes vor der Übertreibung der nationalen
Idee warnt, von der unsre Zeit so berauscht sei, „daß sie glaubt, das Weltbürger¬
tum sei zum Gerümpel geworfen."


Eine Frage an die Literaturtechniker.

Man erlebt zwar heutzutage
gerade auch auf dem literarischen Gebiet so manches, was sonst weder Sitte noch
Mode war, aber der Grundsatz, daß die Personen, die Situationen und die Hand¬
lung poetisch wahr, das heißt möglich und denkbar sein müssen, dürfte noch nicht
ernstlich angegriffen worden sein. Die Geltung des Grundsatzes hat nun je
nach der Gattung des Schriftwerks verschiednen Umfang. Für das reine Märchen,
wie Goethe und Novalis je eins geschrieben haben, gilt er gar nicht i hier sind
alle Naturgesetze aufgehoben, und wenn auch menschenähnliche Wesen darin vor¬
kommen, so sind sie doch keine wirklichen Menschen. In den gewöhnlichen Märchen
und in der Fabel sind nur die Naturgesetze außer Kraft gesetzt oder modifiziert,
indem zum Beispiel nach Menschenart handelnde und redende Tiere auftreten, aber
die Menschen darin unterliegen den psychologischen Gesetzen und den Bräuchen des
Standes, des Ortes, des Volks, der Zeit, worein sie der Dichter versetzt. Spielt
die Geschichte nicht in nirgendwo nud überall, sondern in einem mit Namen be¬
zeichneten Lande, so soll auch die Geographie nicht verletzt werden. Daß Shakespeare
den Verkehr zwischen Sizilien und Böhmen zu Schisse vor sich gehn läßt, haben
die deutschen Übersetzer dadurch zu rechtfertigen gesucht, daß sie >öl»or's kath mit
Wintermärcheu wiedergeben; in Wirklichkeit liegt aber die Rechtfertigung darin, daß
das Volk zu des Dichters Zeit sehr unwissend war, und daß damals der durch¬
schnittliche Engländer von der Lage Böhmens so wenig eine klare Vorstellung hatte,
wie der heutige englische Proletarier. Die griechischen Dramatiker entgingen allen
Schwierigkeiten dadurch, daß sie ihre Stücke im mythischen Zeitalter spielen ließen.
Der heutige Roman, der in der Gegenwart und in den uns genau bekannten
Kreisen spielt, hat mit so vielen Möglichkeitsbedingungen zu rechnen, daß die Rea¬
listen aus ihnen die Hauptsache gemacht und darüber die wirkliche Hauptsache: das
interessante Menschenschicksal und die der Teilnahme werte menschliche Persönlichkeit,
häufig vergesse» haben. Das eine soll beachtet, das andre nicht vernachlässigt
werden. So zum Beispiel darf ein Graf bei dem Erntefest, das er seinen Leuten
gibt, seine Tochter mit dem Pferdejungen tanzen lassen, aber ein Kommerzienrat
kann zu einem Diner, das er seinen Freunden gibt, nicht seine Hausknechte ein¬
lade», und ihnen die vornehmsten der anwesenden Dame» zu Tischdamen geben.
Kurzum, der Leser muß sich sagen können: Haben diese Personen nicht wirklich ge¬
lebt, so können sie doch gelebt und so gehandelt und sich benommen haben, wie sie
uns der Dichter zeigt. Richard Voß hat nun unter dem Titel: Für die Krone in
Über Land und Meer einen Roman veröffentlicht, von dessen Personen der Leser
(ich habe nur einzelne Abschnitte überflogen) sich auf der Stelle sagt: Es steht
bombenfest, daß sie niemals existiert haben! Die Hauptpersonen sind ein König
und seine beiden Söhne. Die Wahl von Personen, deren Gattung eine so kleine
Anzahl von Individuen umfaßt, ist an sich recht mißlich. Schon bei den Etats¬
räten der dänischen Romane wird man ein wenig besorgt, ob auch das kleine Land
soviel Exemplare dieser Spezies erzeugt, daß sie für alle die Geschichten ausreichen,
und wer in der Kopenhagner Gesellschaft lebt, der muß, so oft er einem Etatsrat
vorgestellt wird, denken: Wer von meinen alten Bekannten aus der Leihbibliothek
»eng das wohl sein? Nun gar Könige nud Kronprinzen! Vossens König ist ein
deutscher König, und er regiert ein Land, in dein es Alpen und Alpenseen gibt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240689"/>
            <fw type="header" place="top"> maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1595" prev="#ID_1594"> eingeht Da rauscht das Bergwasser quellenhaft darüber hin, von einer Kraft ge¬<lb/>
trieben, die ferne ist, erfrischt, kühlt, befruchtet, schafft ganze lebensreiche Oasen.<lb/>
Hier sieht man die lebenspendende Kraft des Wassers in ihrer ganzen Leistung."<lb/>
(S. 151.) Da der Verfasser unparteiisch &#x2014; die anhaltende Beschäftigung mit der<lb/>
Natur macht unparteiisch &#x2014; alle Lebenskräfte würdigt, so dürfen wir uns nicht<lb/>
wundern, daß er am Schlüsse feines Werkes vor der Übertreibung der nationalen<lb/>
Idee warnt, von der unsre Zeit so berauscht sei, &#x201E;daß sie glaubt, das Weltbürger¬<lb/>
tum sei zum Gerümpel geworfen."</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Eine Frage an die Literaturtechniker.</head>
            <p xml:id="ID_1596" next="#ID_1597"> Man erlebt zwar heutzutage<lb/>
gerade auch auf dem literarischen Gebiet so manches, was sonst weder Sitte noch<lb/>
Mode war, aber der Grundsatz, daß die Personen, die Situationen und die Hand¬<lb/>
lung poetisch wahr, das heißt möglich und denkbar sein müssen, dürfte noch nicht<lb/>
ernstlich angegriffen worden sein. Die Geltung des Grundsatzes hat nun je<lb/>
nach der Gattung des Schriftwerks verschiednen Umfang. Für das reine Märchen,<lb/>
wie Goethe und Novalis je eins geschrieben haben, gilt er gar nicht i hier sind<lb/>
alle Naturgesetze aufgehoben, und wenn auch menschenähnliche Wesen darin vor¬<lb/>
kommen, so sind sie doch keine wirklichen Menschen. In den gewöhnlichen Märchen<lb/>
und in der Fabel sind nur die Naturgesetze außer Kraft gesetzt oder modifiziert,<lb/>
indem zum Beispiel nach Menschenart handelnde und redende Tiere auftreten, aber<lb/>
die Menschen darin unterliegen den psychologischen Gesetzen und den Bräuchen des<lb/>
Standes, des Ortes, des Volks, der Zeit, worein sie der Dichter versetzt. Spielt<lb/>
die Geschichte nicht in nirgendwo nud überall, sondern in einem mit Namen be¬<lb/>
zeichneten Lande, so soll auch die Geographie nicht verletzt werden. Daß Shakespeare<lb/>
den Verkehr zwischen Sizilien und Böhmen zu Schisse vor sich gehn läßt, haben<lb/>
die deutschen Übersetzer dadurch zu rechtfertigen gesucht, daß sie &gt;öl»or's kath mit<lb/>
Wintermärcheu wiedergeben; in Wirklichkeit liegt aber die Rechtfertigung darin, daß<lb/>
das Volk zu des Dichters Zeit sehr unwissend war, und daß damals der durch¬<lb/>
schnittliche Engländer von der Lage Böhmens so wenig eine klare Vorstellung hatte,<lb/>
wie der heutige englische Proletarier. Die griechischen Dramatiker entgingen allen<lb/>
Schwierigkeiten dadurch, daß sie ihre Stücke im mythischen Zeitalter spielen ließen.<lb/>
Der heutige Roman, der in der Gegenwart und in den uns genau bekannten<lb/>
Kreisen spielt, hat mit so vielen Möglichkeitsbedingungen zu rechnen, daß die Rea¬<lb/>
listen aus ihnen die Hauptsache gemacht und darüber die wirkliche Hauptsache: das<lb/>
interessante Menschenschicksal und die der Teilnahme werte menschliche Persönlichkeit,<lb/>
häufig vergesse» haben. Das eine soll beachtet, das andre nicht vernachlässigt<lb/>
werden. So zum Beispiel darf ein Graf bei dem Erntefest, das er seinen Leuten<lb/>
gibt, seine Tochter mit dem Pferdejungen tanzen lassen, aber ein Kommerzienrat<lb/>
kann zu einem Diner, das er seinen Freunden gibt, nicht seine Hausknechte ein¬<lb/>
lade», und ihnen die vornehmsten der anwesenden Dame» zu Tischdamen geben.<lb/>
Kurzum, der Leser muß sich sagen können: Haben diese Personen nicht wirklich ge¬<lb/>
lebt, so können sie doch gelebt und so gehandelt und sich benommen haben, wie sie<lb/>
uns der Dichter zeigt. Richard Voß hat nun unter dem Titel: Für die Krone in<lb/>
Über Land und Meer einen Roman veröffentlicht, von dessen Personen der Leser<lb/>
(ich habe nur einzelne Abschnitte überflogen) sich auf der Stelle sagt: Es steht<lb/>
bombenfest, daß sie niemals existiert haben! Die Hauptpersonen sind ein König<lb/>
und seine beiden Söhne. Die Wahl von Personen, deren Gattung eine so kleine<lb/>
Anzahl von Individuen umfaßt, ist an sich recht mißlich. Schon bei den Etats¬<lb/>
räten der dänischen Romane wird man ein wenig besorgt, ob auch das kleine Land<lb/>
soviel Exemplare dieser Spezies erzeugt, daß sie für alle die Geschichten ausreichen,<lb/>
und wer in der Kopenhagner Gesellschaft lebt, der muß, so oft er einem Etatsrat<lb/>
vorgestellt wird, denken: Wer von meinen alten Bekannten aus der Leihbibliothek<lb/>
»eng das wohl sein? Nun gar Könige nud Kronprinzen! Vossens König ist ein<lb/>
deutscher König, und er regiert ein Land, in dein es Alpen und Alpenseen gibt.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0307] maßgebliches und Unmaßgebliches eingeht Da rauscht das Bergwasser quellenhaft darüber hin, von einer Kraft ge¬ trieben, die ferne ist, erfrischt, kühlt, befruchtet, schafft ganze lebensreiche Oasen. Hier sieht man die lebenspendende Kraft des Wassers in ihrer ganzen Leistung." (S. 151.) Da der Verfasser unparteiisch — die anhaltende Beschäftigung mit der Natur macht unparteiisch — alle Lebenskräfte würdigt, so dürfen wir uns nicht wundern, daß er am Schlüsse feines Werkes vor der Übertreibung der nationalen Idee warnt, von der unsre Zeit so berauscht sei, „daß sie glaubt, das Weltbürger¬ tum sei zum Gerümpel geworfen." Eine Frage an die Literaturtechniker. Man erlebt zwar heutzutage gerade auch auf dem literarischen Gebiet so manches, was sonst weder Sitte noch Mode war, aber der Grundsatz, daß die Personen, die Situationen und die Hand¬ lung poetisch wahr, das heißt möglich und denkbar sein müssen, dürfte noch nicht ernstlich angegriffen worden sein. Die Geltung des Grundsatzes hat nun je nach der Gattung des Schriftwerks verschiednen Umfang. Für das reine Märchen, wie Goethe und Novalis je eins geschrieben haben, gilt er gar nicht i hier sind alle Naturgesetze aufgehoben, und wenn auch menschenähnliche Wesen darin vor¬ kommen, so sind sie doch keine wirklichen Menschen. In den gewöhnlichen Märchen und in der Fabel sind nur die Naturgesetze außer Kraft gesetzt oder modifiziert, indem zum Beispiel nach Menschenart handelnde und redende Tiere auftreten, aber die Menschen darin unterliegen den psychologischen Gesetzen und den Bräuchen des Standes, des Ortes, des Volks, der Zeit, worein sie der Dichter versetzt. Spielt die Geschichte nicht in nirgendwo nud überall, sondern in einem mit Namen be¬ zeichneten Lande, so soll auch die Geographie nicht verletzt werden. Daß Shakespeare den Verkehr zwischen Sizilien und Böhmen zu Schisse vor sich gehn läßt, haben die deutschen Übersetzer dadurch zu rechtfertigen gesucht, daß sie >öl»or's kath mit Wintermärcheu wiedergeben; in Wirklichkeit liegt aber die Rechtfertigung darin, daß das Volk zu des Dichters Zeit sehr unwissend war, und daß damals der durch¬ schnittliche Engländer von der Lage Böhmens so wenig eine klare Vorstellung hatte, wie der heutige englische Proletarier. Die griechischen Dramatiker entgingen allen Schwierigkeiten dadurch, daß sie ihre Stücke im mythischen Zeitalter spielen ließen. Der heutige Roman, der in der Gegenwart und in den uns genau bekannten Kreisen spielt, hat mit so vielen Möglichkeitsbedingungen zu rechnen, daß die Rea¬ listen aus ihnen die Hauptsache gemacht und darüber die wirkliche Hauptsache: das interessante Menschenschicksal und die der Teilnahme werte menschliche Persönlichkeit, häufig vergesse» haben. Das eine soll beachtet, das andre nicht vernachlässigt werden. So zum Beispiel darf ein Graf bei dem Erntefest, das er seinen Leuten gibt, seine Tochter mit dem Pferdejungen tanzen lassen, aber ein Kommerzienrat kann zu einem Diner, das er seinen Freunden gibt, nicht seine Hausknechte ein¬ lade», und ihnen die vornehmsten der anwesenden Dame» zu Tischdamen geben. Kurzum, der Leser muß sich sagen können: Haben diese Personen nicht wirklich ge¬ lebt, so können sie doch gelebt und so gehandelt und sich benommen haben, wie sie uns der Dichter zeigt. Richard Voß hat nun unter dem Titel: Für die Krone in Über Land und Meer einen Roman veröffentlicht, von dessen Personen der Leser (ich habe nur einzelne Abschnitte überflogen) sich auf der Stelle sagt: Es steht bombenfest, daß sie niemals existiert haben! Die Hauptpersonen sind ein König und seine beiden Söhne. Die Wahl von Personen, deren Gattung eine so kleine Anzahl von Individuen umfaßt, ist an sich recht mißlich. Schon bei den Etats¬ räten der dänischen Romane wird man ein wenig besorgt, ob auch das kleine Land soviel Exemplare dieser Spezies erzeugt, daß sie für alle die Geschichten ausreichen, und wer in der Kopenhagner Gesellschaft lebt, der muß, so oft er einem Etatsrat vorgestellt wird, denken: Wer von meinen alten Bekannten aus der Leihbibliothek »eng das wohl sein? Nun gar Könige nud Kronprinzen! Vossens König ist ein deutscher König, und er regiert ein Land, in dein es Alpen und Alpenseen gibt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/307
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/307>, abgerufen am 04.05.2024.