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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Großmächten gleich zu sein, festhält, während das deutsche Flottengesetz erst seit
1900 in .Kraft und nur darauf zugeschnitten ist, den stetig wachsenden Seeinter¬
essen des Reichs das nötige Rückgrat zu geben.

Es ist bei solchen Erörterungen gut, sich zu vergegenwärtigen, daß das eng¬
lische Jahresbudget zur Zeit noch mehr als das Dreifache des deutschen beträgt,
für 1902 660 Millionen gegen 205 Millionen Mark, und daß auch "nach voller
Ausführung des Flottenplans die deutsche Flotte -- wie Graf Bülow erst am
22. Januar dieses Jahres wieder im Reichstag ausgeführt hat -- erst die vierte
oder die fünfte Stelle unter den Flotten der Welt einnehmen wird.""

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß unter diesen Umständen ein "Halt!
in unserm Flvttcnplan einem freiwilligen Verzicht ans die Vertretung unsrer See-
intcrcssen, einer Abrüstung gleichkäme. Das aber kann keine Regierung und keine
<?. F. Volksvertretung zulassen.


Bismarcks Briefe an seine Gattin aus dem Kriege 1870/71.*)

Als
zu Weihnachten 1900 Bismarcks Briefe an seine Braut und Gattin in viele Tau¬
sende von Familien ihren Einzug hielten, sah sich die Verlagshandlung zu ihrem
Bedauern zu der Mitteilung genötigt, daß die Fcldzugsbriefe ans dem Jahre 1870/71
leider unauffindbar seien. Überall war nachgesucht und nachgeforscht worden, man
beruhigte sich schließlich in der Annahme, daß die Briefe verliehen und nicht zurück¬
gegeben worden oder, wie manches andre, bei dem eiligen Umzug im März 1890
abhanden gekommen seien. Im vergangnen Herbst wurde uun bei Bauveränderuugeu
in Friedrichsruhe der Dachboden abgeräumt, und da fand man zwischen Kisten
und Kasten eine kleine holzgeschnitzte Truhe und in dieser mit seidnem Bande
zusammengebunden die vermißten Briefe. Bekannt von diesen war nur der aus
Veudresse vom 3. September datierte Sedcmbrief. Wie man sich erinnern wird,
war die betreffende Feldpost seinerzeit Franktireurs in die Hände geraten, und ein
Faksimile dieses Briefes erschien später im "Figaro." Die Sammlung selbst ist nicht
sehr umfangreich. Von der Zeit an, wo die Verhandlungen in der Verfassungsfrage in
Versailles begannen, gebrach es dem überlasteten Staatsmann oft an Zeit. Ein Teil
der Briefe trägt infolge dessen das Gepräge der größten Eile; einmal schreibt er mit
Bleistift "weil ihm die Zeit zum Eintauchen fehlt." Dennoch wendet das Publikum
diesen Briefen ein gespanntes Interesse zu, sie bieten wenn auch nur in wenigen, eiligen
und großen Strichen ein Spiegelbild seines Seelenlebens während jener größten Periode
unsrer neuern Geschichte. Bismarck selbst hat nicht das Jahr 1870 mit seinem folgen¬
reichen Ausgange, sondern die Schleswig-holsteinische Periode als die bedeutsamste
seines Wirkens bezeichnet. Vom diplomatisch-fachmännischer Standpunkt aus hat
er damit unzweifelhaft Recht. Das Widerspiel der diplomatischen Kräfte war un¬
streitig bei weitem das schmierigste in der Schleswig-holsteinischen Frage, Preußen
im lockern Bunde mit Österreich allen Großmächten und den deutschen Staaten
gegenüber, im Innern durch Parteikämpfe zerrissen und dennoch seinen Weg fort¬
schreitend bis zu dem Ziele, das sich Bismarck schon 1863 gesetzt hatte, als er
-- wie der soeben verstorbne Keudell berichtet -- am Sylvesterabend am Kamin¬
feuer aussprach: "Die up ewig Ungedeckte" müssen doch einmal preußisch werde",
das ist das Ziel, nach dem ich strebe, ob ich es erreiche, steht bei Gott." Von
derselben Anschauung beseelt war mich Roon, aber nnr langsam näherte sich der
König diesem Standpunkte. War es doch schon eine gewaltige Leistung Bismarcks
so bald nach dem Frankfurter Fürsteutage und unter Ablehnung des Allianz¬
anerbietens Kaiser Alexanders, Österreich an den Streitwagen der preußischen
Politik zu spannen, der ihr alsbald zum Triumphwagen werden sollte, und dann
denselben Weg und dasselbe fest ins Auge gefaßte Ziel auch gegen Österreich zu
behaupten. Im Jahre 1870 an der Spitze der geeinten deutschen Volkskraft, mit dem



') Stuttgart, I. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Großmächten gleich zu sein, festhält, während das deutsche Flottengesetz erst seit
1900 in .Kraft und nur darauf zugeschnitten ist, den stetig wachsenden Seeinter¬
essen des Reichs das nötige Rückgrat zu geben.

Es ist bei solchen Erörterungen gut, sich zu vergegenwärtigen, daß das eng¬
lische Jahresbudget zur Zeit noch mehr als das Dreifache des deutschen beträgt,
für 1902 660 Millionen gegen 205 Millionen Mark, und daß auch „nach voller
Ausführung des Flottenplans die deutsche Flotte — wie Graf Bülow erst am
22. Januar dieses Jahres wieder im Reichstag ausgeführt hat — erst die vierte
oder die fünfte Stelle unter den Flotten der Welt einnehmen wird.""

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß unter diesen Umständen ein „Halt!
in unserm Flvttcnplan einem freiwilligen Verzicht ans die Vertretung unsrer See-
intcrcssen, einer Abrüstung gleichkäme. Das aber kann keine Regierung und keine
<?. F. Volksvertretung zulassen.


Bismarcks Briefe an seine Gattin aus dem Kriege 1870/71.*)

Als
zu Weihnachten 1900 Bismarcks Briefe an seine Braut und Gattin in viele Tau¬
sende von Familien ihren Einzug hielten, sah sich die Verlagshandlung zu ihrem
Bedauern zu der Mitteilung genötigt, daß die Fcldzugsbriefe ans dem Jahre 1870/71
leider unauffindbar seien. Überall war nachgesucht und nachgeforscht worden, man
beruhigte sich schließlich in der Annahme, daß die Briefe verliehen und nicht zurück¬
gegeben worden oder, wie manches andre, bei dem eiligen Umzug im März 1890
abhanden gekommen seien. Im vergangnen Herbst wurde uun bei Bauveränderuugeu
in Friedrichsruhe der Dachboden abgeräumt, und da fand man zwischen Kisten
und Kasten eine kleine holzgeschnitzte Truhe und in dieser mit seidnem Bande
zusammengebunden die vermißten Briefe. Bekannt von diesen war nur der aus
Veudresse vom 3. September datierte Sedcmbrief. Wie man sich erinnern wird,
war die betreffende Feldpost seinerzeit Franktireurs in die Hände geraten, und ein
Faksimile dieses Briefes erschien später im „Figaro." Die Sammlung selbst ist nicht
sehr umfangreich. Von der Zeit an, wo die Verhandlungen in der Verfassungsfrage in
Versailles begannen, gebrach es dem überlasteten Staatsmann oft an Zeit. Ein Teil
der Briefe trägt infolge dessen das Gepräge der größten Eile; einmal schreibt er mit
Bleistift „weil ihm die Zeit zum Eintauchen fehlt." Dennoch wendet das Publikum
diesen Briefen ein gespanntes Interesse zu, sie bieten wenn auch nur in wenigen, eiligen
und großen Strichen ein Spiegelbild seines Seelenlebens während jener größten Periode
unsrer neuern Geschichte. Bismarck selbst hat nicht das Jahr 1870 mit seinem folgen¬
reichen Ausgange, sondern die Schleswig-holsteinische Periode als die bedeutsamste
seines Wirkens bezeichnet. Vom diplomatisch-fachmännischer Standpunkt aus hat
er damit unzweifelhaft Recht. Das Widerspiel der diplomatischen Kräfte war un¬
streitig bei weitem das schmierigste in der Schleswig-holsteinischen Frage, Preußen
im lockern Bunde mit Österreich allen Großmächten und den deutschen Staaten
gegenüber, im Innern durch Parteikämpfe zerrissen und dennoch seinen Weg fort¬
schreitend bis zu dem Ziele, das sich Bismarck schon 1863 gesetzt hatte, als er
— wie der soeben verstorbne Keudell berichtet — am Sylvesterabend am Kamin¬
feuer aussprach: „Die up ewig Ungedeckte» müssen doch einmal preußisch werde«,
das ist das Ziel, nach dem ich strebe, ob ich es erreiche, steht bei Gott." Von
derselben Anschauung beseelt war mich Roon, aber nnr langsam näherte sich der
König diesem Standpunkte. War es doch schon eine gewaltige Leistung Bismarcks
so bald nach dem Frankfurter Fürsteutage und unter Ablehnung des Allianz¬
anerbietens Kaiser Alexanders, Österreich an den Streitwagen der preußischen
Politik zu spannen, der ihr alsbald zum Triumphwagen werden sollte, und dann
denselben Weg und dasselbe fest ins Auge gefaßte Ziel auch gegen Österreich zu
behaupten. Im Jahre 1870 an der Spitze der geeinten deutschen Volkskraft, mit dem



') Stuttgart, I. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger.
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[0368] Maßgebliches und Unmaßgebliches Großmächten gleich zu sein, festhält, während das deutsche Flottengesetz erst seit 1900 in .Kraft und nur darauf zugeschnitten ist, den stetig wachsenden Seeinter¬ essen des Reichs das nötige Rückgrat zu geben. Es ist bei solchen Erörterungen gut, sich zu vergegenwärtigen, daß das eng¬ lische Jahresbudget zur Zeit noch mehr als das Dreifache des deutschen beträgt, für 1902 660 Millionen gegen 205 Millionen Mark, und daß auch „nach voller Ausführung des Flottenplans die deutsche Flotte — wie Graf Bülow erst am 22. Januar dieses Jahres wieder im Reichstag ausgeführt hat — erst die vierte oder die fünfte Stelle unter den Flotten der Welt einnehmen wird."" Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß unter diesen Umständen ein „Halt! in unserm Flvttcnplan einem freiwilligen Verzicht ans die Vertretung unsrer See- intcrcssen, einer Abrüstung gleichkäme. Das aber kann keine Regierung und keine <?. F. Volksvertretung zulassen. Bismarcks Briefe an seine Gattin aus dem Kriege 1870/71.*) Als zu Weihnachten 1900 Bismarcks Briefe an seine Braut und Gattin in viele Tau¬ sende von Familien ihren Einzug hielten, sah sich die Verlagshandlung zu ihrem Bedauern zu der Mitteilung genötigt, daß die Fcldzugsbriefe ans dem Jahre 1870/71 leider unauffindbar seien. Überall war nachgesucht und nachgeforscht worden, man beruhigte sich schließlich in der Annahme, daß die Briefe verliehen und nicht zurück¬ gegeben worden oder, wie manches andre, bei dem eiligen Umzug im März 1890 abhanden gekommen seien. Im vergangnen Herbst wurde uun bei Bauveränderuugeu in Friedrichsruhe der Dachboden abgeräumt, und da fand man zwischen Kisten und Kasten eine kleine holzgeschnitzte Truhe und in dieser mit seidnem Bande zusammengebunden die vermißten Briefe. Bekannt von diesen war nur der aus Veudresse vom 3. September datierte Sedcmbrief. Wie man sich erinnern wird, war die betreffende Feldpost seinerzeit Franktireurs in die Hände geraten, und ein Faksimile dieses Briefes erschien später im „Figaro." Die Sammlung selbst ist nicht sehr umfangreich. Von der Zeit an, wo die Verhandlungen in der Verfassungsfrage in Versailles begannen, gebrach es dem überlasteten Staatsmann oft an Zeit. Ein Teil der Briefe trägt infolge dessen das Gepräge der größten Eile; einmal schreibt er mit Bleistift „weil ihm die Zeit zum Eintauchen fehlt." Dennoch wendet das Publikum diesen Briefen ein gespanntes Interesse zu, sie bieten wenn auch nur in wenigen, eiligen und großen Strichen ein Spiegelbild seines Seelenlebens während jener größten Periode unsrer neuern Geschichte. Bismarck selbst hat nicht das Jahr 1870 mit seinem folgen¬ reichen Ausgange, sondern die Schleswig-holsteinische Periode als die bedeutsamste seines Wirkens bezeichnet. Vom diplomatisch-fachmännischer Standpunkt aus hat er damit unzweifelhaft Recht. Das Widerspiel der diplomatischen Kräfte war un¬ streitig bei weitem das schmierigste in der Schleswig-holsteinischen Frage, Preußen im lockern Bunde mit Österreich allen Großmächten und den deutschen Staaten gegenüber, im Innern durch Parteikämpfe zerrissen und dennoch seinen Weg fort¬ schreitend bis zu dem Ziele, das sich Bismarck schon 1863 gesetzt hatte, als er — wie der soeben verstorbne Keudell berichtet — am Sylvesterabend am Kamin¬ feuer aussprach: „Die up ewig Ungedeckte» müssen doch einmal preußisch werde«, das ist das Ziel, nach dem ich strebe, ob ich es erreiche, steht bei Gott." Von derselben Anschauung beseelt war mich Roon, aber nnr langsam näherte sich der König diesem Standpunkte. War es doch schon eine gewaltige Leistung Bismarcks so bald nach dem Frankfurter Fürsteutage und unter Ablehnung des Allianz¬ anerbietens Kaiser Alexanders, Österreich an den Streitwagen der preußischen Politik zu spannen, der ihr alsbald zum Triumphwagen werden sollte, und dann denselben Weg und dasselbe fest ins Auge gefaßte Ziel auch gegen Österreich zu behaupten. Im Jahre 1870 an der Spitze der geeinten deutschen Volkskraft, mit dem ') Stuttgart, I. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/368>, abgerufen am 04.05.2024.