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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Lex Douglas und Gasthausreform

Küste die Stadt Ceuta, Doch ist Spanien den Engländern in deren Besetzung
zuvorgekommen.

Die marokkanische Frage ist für England eng mit der von Gibraltar ver¬
knüpft. Beide harren ihrer gemeinsamen Lösung, die jedoch für England große
Opfer erheischen würde. Um sich diese -- bei seinen zahlreichen Engagements
an andern Stellen -- vorläufig noch zu ersparen, wünscht England die Lösung
der marokkanischen Frage möglichst hinauszuschieben. Nur der Ausbruch einer
vollständigen Anarchie, der den Anfenthalt in Marokko und den Handel mit ihm
für Ausländer unmöglich mandelt würde, oder die Aufrollung der Frage durch
eine andre Macht -- etwa Frankreich -- würde England zwingen, ihr sofort
näher zu treten, Alls keinen Fall dürfte es eine Lösung ohne seine Beteiligung
dulden; denn bei der Verminderung des Werth von Gibraltar würde England
in dem Allgenblick, wo die gesamte Küste Marokkos, ohne daß es dort einen
Stützpunkt erhielte, in den Besitz andrer europäischer Mächte überginge, die
Herrschaft über das westliche Einfahrttor zum Mittelmeer verlieren.




H.ex Douglas und Gasthausreform

>er Antrag des Grafen Douglas, der durch die Bremer Heerschau
der gemäßigten und radikalen Alkvholgegner wieder deutlicher in
den Vordergrund gerückt ist, hat im vorigen Jahre im preußischen
Abgeordnetenhause, was nach den bisherigen Erfahrungen nicht
I eiufcich erwartet werden konnte, ein einmütiges Verlangen sämt¬
licher Parteien zutage gebracht, daß auch die gesetzliche Gewalt gegen deu
Alkoholmißbrauch angewandt werden müsse. Aber über das Wie und das Wie¬
weit war man sehr verschiedner Ansicht. Vom Negieruugstische wurde be¬
zweifelt, ob der vorgeschlagne Weg, der anch die "Bedürfnisfrage" wieder
ausrotte, der zweckmäßige sei; die Forderung, deu Verkauf von Branntwein
morgens vor 7 oder 8 Uhr zu verbieten, sei schwer durchführbar. Auch von
den "wohlerworbnen Rechten und berechtigten Interessen," die man doch nicht
verletzen dürfe, war dabei wieder die Rede.

Die Erfahrungen, die man in den letzten Jahrzehnten bei den Versuchen,
die Gesetzgebung der Einzelstaaten gegen den Alkoholmißbrauch zu mobilisieren,
gemacht hat, sind leider nicht sehr ermutigend. Kommt in Preußen eine Lex
Douglas wirklich zu stände, so wird auch mit ihrer Hilfe schwerlich die Axt
an die Wurzel des Übels gelegt werden können. Nützlich mag es sein, wenn der
Branutweinvertauf in den Morgenstunden eingeschränkt, halbwüchsigen Jungen
und Trunkenbolden kein Schnaps verabfolgt wird, in Wartesälen und öffent¬
lichen Räumen die Erwachsenen durch Plakate, in den Schulen die Jugend
durch Belehrung auf die Schädlichkeit des Alkohols hingewiesen werden. Aber
damit wird der Kern der Sache noch lange nicht getroffen. Er liegt anderswo,


Lex Douglas und Gasthausreform

Küste die Stadt Ceuta, Doch ist Spanien den Engländern in deren Besetzung
zuvorgekommen.

Die marokkanische Frage ist für England eng mit der von Gibraltar ver¬
knüpft. Beide harren ihrer gemeinsamen Lösung, die jedoch für England große
Opfer erheischen würde. Um sich diese — bei seinen zahlreichen Engagements
an andern Stellen — vorläufig noch zu ersparen, wünscht England die Lösung
der marokkanischen Frage möglichst hinauszuschieben. Nur der Ausbruch einer
vollständigen Anarchie, der den Anfenthalt in Marokko und den Handel mit ihm
für Ausländer unmöglich mandelt würde, oder die Aufrollung der Frage durch
eine andre Macht — etwa Frankreich — würde England zwingen, ihr sofort
näher zu treten, Alls keinen Fall dürfte es eine Lösung ohne seine Beteiligung
dulden; denn bei der Verminderung des Werth von Gibraltar würde England
in dem Allgenblick, wo die gesamte Küste Marokkos, ohne daß es dort einen
Stützpunkt erhielte, in den Besitz andrer europäischer Mächte überginge, die
Herrschaft über das westliche Einfahrttor zum Mittelmeer verlieren.




H.ex Douglas und Gasthausreform

>er Antrag des Grafen Douglas, der durch die Bremer Heerschau
der gemäßigten und radikalen Alkvholgegner wieder deutlicher in
den Vordergrund gerückt ist, hat im vorigen Jahre im preußischen
Abgeordnetenhause, was nach den bisherigen Erfahrungen nicht
I eiufcich erwartet werden konnte, ein einmütiges Verlangen sämt¬
licher Parteien zutage gebracht, daß auch die gesetzliche Gewalt gegen deu
Alkoholmißbrauch angewandt werden müsse. Aber über das Wie und das Wie¬
weit war man sehr verschiedner Ansicht. Vom Negieruugstische wurde be¬
zweifelt, ob der vorgeschlagne Weg, der anch die „Bedürfnisfrage" wieder
ausrotte, der zweckmäßige sei; die Forderung, deu Verkauf von Branntwein
morgens vor 7 oder 8 Uhr zu verbieten, sei schwer durchführbar. Auch von
den „wohlerworbnen Rechten und berechtigten Interessen," die man doch nicht
verletzen dürfe, war dabei wieder die Rede.

Die Erfahrungen, die man in den letzten Jahrzehnten bei den Versuchen,
die Gesetzgebung der Einzelstaaten gegen den Alkoholmißbrauch zu mobilisieren,
gemacht hat, sind leider nicht sehr ermutigend. Kommt in Preußen eine Lex
Douglas wirklich zu stände, so wird auch mit ihrer Hilfe schwerlich die Axt
an die Wurzel des Übels gelegt werden können. Nützlich mag es sein, wenn der
Branutweinvertauf in den Morgenstunden eingeschränkt, halbwüchsigen Jungen
und Trunkenbolden kein Schnaps verabfolgt wird, in Wartesälen und öffent¬
lichen Räumen die Erwachsenen durch Plakate, in den Schulen die Jugend
durch Belehrung auf die Schädlichkeit des Alkohols hingewiesen werden. Aber
damit wird der Kern der Sache noch lange nicht getroffen. Er liegt anderswo,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/458>, abgerufen am 04.05.2024.