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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Maszgel'lichez und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches
Von der Krisis des Christentums,

Zwei beachtenswerte Versuche, den
Zwiespalt zwischen Glauben und modernen Wissen zu heben, liegen uns heute vor.
Das Buch des Magdeburgischen Superintendenten August Trümpelmann: Die
moderneWeltanschauuug und das apostolische Glaubensbekenntnis (Berlin,
C. A. Schwetschke und Sohn, 1901) hat in den theologischen Kreisen eine lebhafte
Erregung hervorgerufen und wird vielen nach einem festen Halt suchenden Laien
diesen bieten. Trümpelmanu berichtigt zunächst einen falschen Sprachgebrauch, Die
von christlicher, panthcistischer, materialistischer Weltanschnnnng sprechen, meinen Welt¬
erklärung oder Weltwertnng; Weltanschauungen gibts nur zwei- die antike von
der Erdscheibe und der darauf gestülpten Himmelsglocke oder von der Erdkugel, die
im Mittelpunkt einer Kristallkugel schwebt, und die von Kopernikus begründete
moderne. Der christliche Glaube verträgt sich mit beiden Anschauungen; aber die
patriotische und die scholastische Theologie hatten ihn mit der antiken so unlösbar
verflochten, daß er mit dieser in Stücke gegangen wäre, wenn ihn nicht Luther
(der übrigens, wie Trümpelmann selbst hervorhebt, das kopernikanische System ab¬
gelehnt hat) auf seinen geistigen Kern: die Rechtfertigung durch Christus, zurück¬
geführt hätte. Die Verschmelzung des Christentums mit der neue" Weltanschauung
ist bis heute noch nicht vollzogen. Für solche, die an der Verschmelzung arbeiten
wollen, erhebt sich zunächst die Frage: Welches Christentum sollen wir in das
neue Weltbild einfügen? Die Antwort lautet: Weder das römisch-katholische, noch
das evangelische in seiner orthodoxen oder in irgend einer freien Form, noch das
Christentum Christi, von dem jetzt so viel gesprochen wird. Dieses nicht, weil wir
es vorderhand nicht kennen, obwohl es der sich stetig läuternde christliche Geist in
Zukunft wahrscheinlich einmal erkennen wird, denn dieser Geist allein, sofern der
Geist des Herrn in ihm mächtig wird, ist Richter über die Schrift und sondert
in ihr das Göttliche vom Zufälligen und Menschlichen ub. Unzweifelhaft fest steht
nnr ein Christentum: das des apostolischen Glaubensbekenntnisses, von dem Trümpel¬
mann die zwei anstößigen Artikel: die Jnngfrauengeburt und die Höllenfahrt preis
gibt, während er die übrigen in einer Weise erklärt, die sich mit der heutige" Welt¬
anschauung verträgt. Er ruft: "In die Gemeinde muß endlich die volle Wahr¬
heit hinein; nnr die volle Wahrheit bewahrt sie davor, ein Raub des Uuglnubens
zu werden. Fort namentlich und der Inspiration!" Es müsse ans jeden Versuch
verzichtet werden, die uuerbaulicheu Teile der Bibel zu retten und die Wahrheit
zu verhüllen, daß sich ihre Verfasser mit allen ihren Zeitgenossen in so ziemlich
allem, was die Natur betrifft, geirrt haben. Einen kurzeu Abriß der Metaphysik,
der Kosmologie und der Erlösungslehre, die sich der Verfasser mit Hilfe der Ent¬
wicklungstheorie gebildet hat, findet man Seite 195 bis 198. Der wichtigste Satz
daraus lautet: "Eben darin liegt das Wunder, und eben das ist die Offenbarung
der Herrlichkeit Gottes, eine Welt aus sich hervorgehn oder sein zu lassen, deren
Daseinswurzeln unlöslich in ihm rud", und dennoch der so gebundnen Welt eine
solche Bewegungsfreiheit zu geben, daß aus ihr ein Geschöpf erstehn kann, das sich
zum Selbstbewußtsein und damit zur Freiheit erhebt: der Mensch." Die Sünde
erklärt Trümpelmann als Atavismus, als Rückfall in das tierische Triebleben. Wir
zweifeln nicht daran, daß solcher Rückfall Sünde ist, leugnen aber, daß sich der
Umfang dieses Begriffs mit dem der Sünde deckt. Sünden und Verbrechen, die
wir diabolisch nennen, haben gar nichts Tierisches an sich. Wenn ein Intrigant
aus Nachsucht oder aus reiner Bosheit einen rechtschaffnen Menschen zu Gründe
richtet, so gehören die drei Bestandteile seiner Untat: der feine Plan, das ästhe¬
tische Wohlgefallen um Plan und an seiner gelungner Durchführung und die Freude
am Schmerz des Besiegten nicht dem tierischen Triebleben, sondern dem Geistes¬
leben an und setzen sogar einen hohen Grad der geistigen Entwicklung voraus.
Die Unmöglichkeit, das Sündenbewußtsein und überhaupt das Gewissen entwicklnngs-


Maszgel'lichez und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches
Von der Krisis des Christentums,

Zwei beachtenswerte Versuche, den
Zwiespalt zwischen Glauben und modernen Wissen zu heben, liegen uns heute vor.
Das Buch des Magdeburgischen Superintendenten August Trümpelmann: Die
moderneWeltanschauuug und das apostolische Glaubensbekenntnis (Berlin,
C. A. Schwetschke und Sohn, 1901) hat in den theologischen Kreisen eine lebhafte
Erregung hervorgerufen und wird vielen nach einem festen Halt suchenden Laien
diesen bieten. Trümpelmanu berichtigt zunächst einen falschen Sprachgebrauch, Die
von christlicher, panthcistischer, materialistischer Weltanschnnnng sprechen, meinen Welt¬
erklärung oder Weltwertnng; Weltanschauungen gibts nur zwei- die antike von
der Erdscheibe und der darauf gestülpten Himmelsglocke oder von der Erdkugel, die
im Mittelpunkt einer Kristallkugel schwebt, und die von Kopernikus begründete
moderne. Der christliche Glaube verträgt sich mit beiden Anschauungen; aber die
patriotische und die scholastische Theologie hatten ihn mit der antiken so unlösbar
verflochten, daß er mit dieser in Stücke gegangen wäre, wenn ihn nicht Luther
(der übrigens, wie Trümpelmann selbst hervorhebt, das kopernikanische System ab¬
gelehnt hat) auf seinen geistigen Kern: die Rechtfertigung durch Christus, zurück¬
geführt hätte. Die Verschmelzung des Christentums mit der neue» Weltanschauung
ist bis heute noch nicht vollzogen. Für solche, die an der Verschmelzung arbeiten
wollen, erhebt sich zunächst die Frage: Welches Christentum sollen wir in das
neue Weltbild einfügen? Die Antwort lautet: Weder das römisch-katholische, noch
das evangelische in seiner orthodoxen oder in irgend einer freien Form, noch das
Christentum Christi, von dem jetzt so viel gesprochen wird. Dieses nicht, weil wir
es vorderhand nicht kennen, obwohl es der sich stetig läuternde christliche Geist in
Zukunft wahrscheinlich einmal erkennen wird, denn dieser Geist allein, sofern der
Geist des Herrn in ihm mächtig wird, ist Richter über die Schrift und sondert
in ihr das Göttliche vom Zufälligen und Menschlichen ub. Unzweifelhaft fest steht
nnr ein Christentum: das des apostolischen Glaubensbekenntnisses, von dem Trümpel¬
mann die zwei anstößigen Artikel: die Jnngfrauengeburt und die Höllenfahrt preis
gibt, während er die übrigen in einer Weise erklärt, die sich mit der heutige» Welt¬
anschauung verträgt. Er ruft: „In die Gemeinde muß endlich die volle Wahr¬
heit hinein; nnr die volle Wahrheit bewahrt sie davor, ein Raub des Uuglnubens
zu werden. Fort namentlich und der Inspiration!" Es müsse ans jeden Versuch
verzichtet werden, die uuerbaulicheu Teile der Bibel zu retten und die Wahrheit
zu verhüllen, daß sich ihre Verfasser mit allen ihren Zeitgenossen in so ziemlich
allem, was die Natur betrifft, geirrt haben. Einen kurzeu Abriß der Metaphysik,
der Kosmologie und der Erlösungslehre, die sich der Verfasser mit Hilfe der Ent¬
wicklungstheorie gebildet hat, findet man Seite 195 bis 198. Der wichtigste Satz
daraus lautet: „Eben darin liegt das Wunder, und eben das ist die Offenbarung
der Herrlichkeit Gottes, eine Welt aus sich hervorgehn oder sein zu lassen, deren
Daseinswurzeln unlöslich in ihm rud«, und dennoch der so gebundnen Welt eine
solche Bewegungsfreiheit zu geben, daß aus ihr ein Geschöpf erstehn kann, das sich
zum Selbstbewußtsein und damit zur Freiheit erhebt: der Mensch." Die Sünde
erklärt Trümpelmann als Atavismus, als Rückfall in das tierische Triebleben. Wir
zweifeln nicht daran, daß solcher Rückfall Sünde ist, leugnen aber, daß sich der
Umfang dieses Begriffs mit dem der Sünde deckt. Sünden und Verbrechen, die
wir diabolisch nennen, haben gar nichts Tierisches an sich. Wenn ein Intrigant
aus Nachsucht oder aus reiner Bosheit einen rechtschaffnen Menschen zu Gründe
richtet, so gehören die drei Bestandteile seiner Untat: der feine Plan, das ästhe¬
tische Wohlgefallen um Plan und an seiner gelungner Durchführung und die Freude
am Schmerz des Besiegten nicht dem tierischen Triebleben, sondern dem Geistes¬
leben an und setzen sogar einen hohen Grad der geistigen Entwicklung voraus.
Die Unmöglichkeit, das Sündenbewußtsein und überhaupt das Gewissen entwicklnngs-


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[0058] Maszgel'lichez und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Von der Krisis des Christentums, Zwei beachtenswerte Versuche, den Zwiespalt zwischen Glauben und modernen Wissen zu heben, liegen uns heute vor. Das Buch des Magdeburgischen Superintendenten August Trümpelmann: Die moderneWeltanschauuug und das apostolische Glaubensbekenntnis (Berlin, C. A. Schwetschke und Sohn, 1901) hat in den theologischen Kreisen eine lebhafte Erregung hervorgerufen und wird vielen nach einem festen Halt suchenden Laien diesen bieten. Trümpelmanu berichtigt zunächst einen falschen Sprachgebrauch, Die von christlicher, panthcistischer, materialistischer Weltanschnnnng sprechen, meinen Welt¬ erklärung oder Weltwertnng; Weltanschauungen gibts nur zwei- die antike von der Erdscheibe und der darauf gestülpten Himmelsglocke oder von der Erdkugel, die im Mittelpunkt einer Kristallkugel schwebt, und die von Kopernikus begründete moderne. Der christliche Glaube verträgt sich mit beiden Anschauungen; aber die patriotische und die scholastische Theologie hatten ihn mit der antiken so unlösbar verflochten, daß er mit dieser in Stücke gegangen wäre, wenn ihn nicht Luther (der übrigens, wie Trümpelmann selbst hervorhebt, das kopernikanische System ab¬ gelehnt hat) auf seinen geistigen Kern: die Rechtfertigung durch Christus, zurück¬ geführt hätte. Die Verschmelzung des Christentums mit der neue» Weltanschauung ist bis heute noch nicht vollzogen. Für solche, die an der Verschmelzung arbeiten wollen, erhebt sich zunächst die Frage: Welches Christentum sollen wir in das neue Weltbild einfügen? Die Antwort lautet: Weder das römisch-katholische, noch das evangelische in seiner orthodoxen oder in irgend einer freien Form, noch das Christentum Christi, von dem jetzt so viel gesprochen wird. Dieses nicht, weil wir es vorderhand nicht kennen, obwohl es der sich stetig läuternde christliche Geist in Zukunft wahrscheinlich einmal erkennen wird, denn dieser Geist allein, sofern der Geist des Herrn in ihm mächtig wird, ist Richter über die Schrift und sondert in ihr das Göttliche vom Zufälligen und Menschlichen ub. Unzweifelhaft fest steht nnr ein Christentum: das des apostolischen Glaubensbekenntnisses, von dem Trümpel¬ mann die zwei anstößigen Artikel: die Jnngfrauengeburt und die Höllenfahrt preis gibt, während er die übrigen in einer Weise erklärt, die sich mit der heutige» Welt¬ anschauung verträgt. Er ruft: „In die Gemeinde muß endlich die volle Wahr¬ heit hinein; nnr die volle Wahrheit bewahrt sie davor, ein Raub des Uuglnubens zu werden. Fort namentlich und der Inspiration!" Es müsse ans jeden Versuch verzichtet werden, die uuerbaulicheu Teile der Bibel zu retten und die Wahrheit zu verhüllen, daß sich ihre Verfasser mit allen ihren Zeitgenossen in so ziemlich allem, was die Natur betrifft, geirrt haben. Einen kurzeu Abriß der Metaphysik, der Kosmologie und der Erlösungslehre, die sich der Verfasser mit Hilfe der Ent¬ wicklungstheorie gebildet hat, findet man Seite 195 bis 198. Der wichtigste Satz daraus lautet: „Eben darin liegt das Wunder, und eben das ist die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, eine Welt aus sich hervorgehn oder sein zu lassen, deren Daseinswurzeln unlöslich in ihm rud«, und dennoch der so gebundnen Welt eine solche Bewegungsfreiheit zu geben, daß aus ihr ein Geschöpf erstehn kann, das sich zum Selbstbewußtsein und damit zur Freiheit erhebt: der Mensch." Die Sünde erklärt Trümpelmann als Atavismus, als Rückfall in das tierische Triebleben. Wir zweifeln nicht daran, daß solcher Rückfall Sünde ist, leugnen aber, daß sich der Umfang dieses Begriffs mit dem der Sünde deckt. Sünden und Verbrechen, die wir diabolisch nennen, haben gar nichts Tierisches an sich. Wenn ein Intrigant aus Nachsucht oder aus reiner Bosheit einen rechtschaffnen Menschen zu Gründe richtet, so gehören die drei Bestandteile seiner Untat: der feine Plan, das ästhe¬ tische Wohlgefallen um Plan und an seiner gelungner Durchführung und die Freude am Schmerz des Besiegten nicht dem tierischen Triebleben, sondern dem Geistes¬ leben an und setzen sogar einen hohen Grad der geistigen Entwicklung voraus. Die Unmöglichkeit, das Sündenbewußtsein und überhaupt das Gewissen entwicklnngs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/58>, abgerufen am 04.05.2024.