Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Rampf um den Weltmarkt

tun können, als beiß man jeden jungen Mann und jede Jungfrau vor der Ehe¬
schließung mit einer körperlich, geistig oder moralisch schlechten oder angefaulten
Person warnt. Jeder Versuch rationeller Menschcnzüchtung würde heute der
Lächerlichkeit verfallen, und mit Recht. Aus der Weltgeschichte sind zwei Fülle
bekannt -- Woltmann erwähnt sie beide --, wo es nicht beim Versuch geblieben
ist. In Sparta hatte die Reinzucht die Wirkung, daß die neuntausend Spartiaten
Lykurgs im Laufe von sechshundert Jahren uns siebenhundert zusammenschmolzen;
und was aus dem arischen Herrcnvolke Indiens geworden ist, das sich, als
Kaste hermetisch abgesperrt, nicht einmal durch den Hauch des Mundes eines
Menschen von niedrer Kaste verunreinigen lassen mochte, das ist uns erst jüngst
wieder einmal zu Gemüte geführt worden, als ihre aufgeputzten Elefanten den
Einzug des englischen Vizekönigs verherrlichten, der mit einer Handvoll euro¬
päischer Soldaten ihr ZweihnndertnMionenreich beherrscht und ausbeutet. Wolt¬
mann selbst sieht ein, daß, auch wenn eine physiologisch richtige Züchtung Erfolg
verspräche, man sich zu ihr uicht entschließen dürfte, weil die Bedingungen all¬
gemeiner Vvlkskrnft und Volksgesundheit und die Voraussetzungen höherer
Kultur einander widersprechen. Das städtische, das industrielle, das Gelehrten- lind
das Künstlerleben bringen eine Menge unvermeidlicher Gesundheitsschüdigungen
mit sich; wo dagegen Gesundheit nud Körperkraft als einziges Ziel erstrebt werden,
wo, mit Konstantin Rößler zu reden, ein Olymp rotbäckiger Hausknechte das
Ideal ist, oder sagen wir lieber, ein Volk kräftiger Bauern und Jäger, da wird
es um Wissenschaft, Kunst, Technik und Industrie übel bestellt sein. So ver¬
mag also die Biologie den Regeln politischen Verhaltens, die nur auch ohne
si I- e kennen, keine neuen brauchbaren Ratschläge hinzuzufügen.




Der Kampf um den Weltmarkt
Z. Englands Aufkommen als Handels- und Seemacht (Schluß)

! ach der Berechnung von Seeley hat England von 1688 bis 1815,
der Schlacht von Wnterloo, das heißt in einem Zeitraum von
126 Jahren allein mit Frankreich 64 Kriegsjahre gehabt, also
fast ein nnunterbrochnes Ringen zwischen diesen beiden damals
mächtigsten Staaten Europas. England kannte nur ein Ziel
in seinem Kampfe: Gewinnung der Seeherrschaft und damit Erwerbung von
Kolonien; Frankreich strebte zwei Zielen nach: es wollte die politisch führende
Stellung in Europa haben und zugleich die erste Seemacht werden. Daran,
daß es sich zwei Ziele steckte, ist es gescheitert. Sein Streben, in Europa die
erste Rolle zu spielen, war die wurde, verletzbare Stelle, an der Englands
Diplomatie einsetzte. Bei dem Kampfe, den Frankreich mit England ausfocht,
hatte es immer noch einen Gegner auf dem Festlande. Die englische Diplo¬
matie verband sich zunächst mit Habsburg gegen Frankreich, und sie über-
wand sogar ihren innerlichen Widerwillen gegen Friedrich den Großen undM


Grenzboten >t> 19W 10
Der Rampf um den Weltmarkt

tun können, als beiß man jeden jungen Mann und jede Jungfrau vor der Ehe¬
schließung mit einer körperlich, geistig oder moralisch schlechten oder angefaulten
Person warnt. Jeder Versuch rationeller Menschcnzüchtung würde heute der
Lächerlichkeit verfallen, und mit Recht. Aus der Weltgeschichte sind zwei Fülle
bekannt — Woltmann erwähnt sie beide —, wo es nicht beim Versuch geblieben
ist. In Sparta hatte die Reinzucht die Wirkung, daß die neuntausend Spartiaten
Lykurgs im Laufe von sechshundert Jahren uns siebenhundert zusammenschmolzen;
und was aus dem arischen Herrcnvolke Indiens geworden ist, das sich, als
Kaste hermetisch abgesperrt, nicht einmal durch den Hauch des Mundes eines
Menschen von niedrer Kaste verunreinigen lassen mochte, das ist uns erst jüngst
wieder einmal zu Gemüte geführt worden, als ihre aufgeputzten Elefanten den
Einzug des englischen Vizekönigs verherrlichten, der mit einer Handvoll euro¬
päischer Soldaten ihr ZweihnndertnMionenreich beherrscht und ausbeutet. Wolt¬
mann selbst sieht ein, daß, auch wenn eine physiologisch richtige Züchtung Erfolg
verspräche, man sich zu ihr uicht entschließen dürfte, weil die Bedingungen all¬
gemeiner Vvlkskrnft und Volksgesundheit und die Voraussetzungen höherer
Kultur einander widersprechen. Das städtische, das industrielle, das Gelehrten- lind
das Künstlerleben bringen eine Menge unvermeidlicher Gesundheitsschüdigungen
mit sich; wo dagegen Gesundheit nud Körperkraft als einziges Ziel erstrebt werden,
wo, mit Konstantin Rößler zu reden, ein Olymp rotbäckiger Hausknechte das
Ideal ist, oder sagen wir lieber, ein Volk kräftiger Bauern und Jäger, da wird
es um Wissenschaft, Kunst, Technik und Industrie übel bestellt sein. So ver¬
mag also die Biologie den Regeln politischen Verhaltens, die nur auch ohne
si I- e kennen, keine neuen brauchbaren Ratschläge hinzuzufügen.




Der Kampf um den Weltmarkt
Z. Englands Aufkommen als Handels- und Seemacht (Schluß)

! ach der Berechnung von Seeley hat England von 1688 bis 1815,
der Schlacht von Wnterloo, das heißt in einem Zeitraum von
126 Jahren allein mit Frankreich 64 Kriegsjahre gehabt, also
fast ein nnunterbrochnes Ringen zwischen diesen beiden damals
mächtigsten Staaten Europas. England kannte nur ein Ziel
in seinem Kampfe: Gewinnung der Seeherrschaft und damit Erwerbung von
Kolonien; Frankreich strebte zwei Zielen nach: es wollte die politisch führende
Stellung in Europa haben und zugleich die erste Seemacht werden. Daran,
daß es sich zwei Ziele steckte, ist es gescheitert. Sein Streben, in Europa die
erste Rolle zu spielen, war die wurde, verletzbare Stelle, an der Englands
Diplomatie einsetzte. Bei dem Kampfe, den Frankreich mit England ausfocht,
hatte es immer noch einen Gegner auf dem Festlande. Die englische Diplo¬
matie verband sich zunächst mit Habsburg gegen Frankreich, und sie über-
wand sogar ihren innerlichen Widerwillen gegen Friedrich den Großen undM


Grenzboten >t> 19W 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241295"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Rampf um den Weltmarkt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_356" prev="#ID_355"> tun können, als beiß man jeden jungen Mann und jede Jungfrau vor der Ehe¬<lb/>
schließung mit einer körperlich, geistig oder moralisch schlechten oder angefaulten<lb/>
Person warnt. Jeder Versuch rationeller Menschcnzüchtung würde heute der<lb/>
Lächerlichkeit verfallen, und mit Recht. Aus der Weltgeschichte sind zwei Fülle<lb/>
bekannt &#x2014; Woltmann erwähnt sie beide &#x2014;, wo es nicht beim Versuch geblieben<lb/>
ist. In Sparta hatte die Reinzucht die Wirkung, daß die neuntausend Spartiaten<lb/>
Lykurgs im Laufe von sechshundert Jahren uns siebenhundert zusammenschmolzen;<lb/>
und was aus dem arischen Herrcnvolke Indiens geworden ist, das sich, als<lb/>
Kaste hermetisch abgesperrt, nicht einmal durch den Hauch des Mundes eines<lb/>
Menschen von niedrer Kaste verunreinigen lassen mochte, das ist uns erst jüngst<lb/>
wieder einmal zu Gemüte geführt worden, als ihre aufgeputzten Elefanten den<lb/>
Einzug des englischen Vizekönigs verherrlichten, der mit einer Handvoll euro¬<lb/>
päischer Soldaten ihr ZweihnndertnMionenreich beherrscht und ausbeutet. Wolt¬<lb/>
mann selbst sieht ein, daß, auch wenn eine physiologisch richtige Züchtung Erfolg<lb/>
verspräche, man sich zu ihr uicht entschließen dürfte, weil die Bedingungen all¬<lb/>
gemeiner Vvlkskrnft und Volksgesundheit und die Voraussetzungen höherer<lb/>
Kultur einander widersprechen. Das städtische, das industrielle, das Gelehrten- lind<lb/>
das Künstlerleben bringen eine Menge unvermeidlicher Gesundheitsschüdigungen<lb/>
mit sich; wo dagegen Gesundheit nud Körperkraft als einziges Ziel erstrebt werden,<lb/>
wo, mit Konstantin Rößler zu reden, ein Olymp rotbäckiger Hausknechte das<lb/>
Ideal ist, oder sagen wir lieber, ein Volk kräftiger Bauern und Jäger, da wird<lb/>
es um Wissenschaft, Kunst, Technik und Industrie übel bestellt sein. So ver¬<lb/>
mag also die Biologie den Regeln politischen Verhaltens, die nur auch ohne<lb/>
si<note type="byline"> I-</note> e kennen, keine neuen brauchbaren Ratschläge hinzuzufügen. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Kampf um den Weltmarkt<lb/>
Z. Englands Aufkommen als Handels- und Seemacht (Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_357" next="#ID_358"> ! ach der Berechnung von Seeley hat England von 1688 bis 1815,<lb/>
der Schlacht von Wnterloo, das heißt in einem Zeitraum von<lb/>
126 Jahren allein mit Frankreich 64 Kriegsjahre gehabt, also<lb/>
fast ein nnunterbrochnes Ringen zwischen diesen beiden damals<lb/>
mächtigsten Staaten Europas. England kannte nur ein Ziel<lb/>
in seinem Kampfe: Gewinnung der Seeherrschaft und damit Erwerbung von<lb/>
Kolonien; Frankreich strebte zwei Zielen nach: es wollte die politisch führende<lb/>
Stellung in Europa haben und zugleich die erste Seemacht werden. Daran,<lb/>
daß es sich zwei Ziele steckte, ist es gescheitert. Sein Streben, in Europa die<lb/>
erste Rolle zu spielen, war die wurde, verletzbare Stelle, an der Englands<lb/>
Diplomatie einsetzte. Bei dem Kampfe, den Frankreich mit England ausfocht,<lb/>
hatte es immer noch einen Gegner auf dem Festlande. Die englische Diplo¬<lb/>
matie verband sich zunächst mit Habsburg gegen Frankreich, und sie über-<lb/>
wand sogar ihren innerlichen Widerwillen gegen Friedrich den Großen undM</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten &gt;t&gt; 19W 10</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0081] Der Rampf um den Weltmarkt tun können, als beiß man jeden jungen Mann und jede Jungfrau vor der Ehe¬ schließung mit einer körperlich, geistig oder moralisch schlechten oder angefaulten Person warnt. Jeder Versuch rationeller Menschcnzüchtung würde heute der Lächerlichkeit verfallen, und mit Recht. Aus der Weltgeschichte sind zwei Fülle bekannt — Woltmann erwähnt sie beide —, wo es nicht beim Versuch geblieben ist. In Sparta hatte die Reinzucht die Wirkung, daß die neuntausend Spartiaten Lykurgs im Laufe von sechshundert Jahren uns siebenhundert zusammenschmolzen; und was aus dem arischen Herrcnvolke Indiens geworden ist, das sich, als Kaste hermetisch abgesperrt, nicht einmal durch den Hauch des Mundes eines Menschen von niedrer Kaste verunreinigen lassen mochte, das ist uns erst jüngst wieder einmal zu Gemüte geführt worden, als ihre aufgeputzten Elefanten den Einzug des englischen Vizekönigs verherrlichten, der mit einer Handvoll euro¬ päischer Soldaten ihr ZweihnndertnMionenreich beherrscht und ausbeutet. Wolt¬ mann selbst sieht ein, daß, auch wenn eine physiologisch richtige Züchtung Erfolg verspräche, man sich zu ihr uicht entschließen dürfte, weil die Bedingungen all¬ gemeiner Vvlkskrnft und Volksgesundheit und die Voraussetzungen höherer Kultur einander widersprechen. Das städtische, das industrielle, das Gelehrten- lind das Künstlerleben bringen eine Menge unvermeidlicher Gesundheitsschüdigungen mit sich; wo dagegen Gesundheit nud Körperkraft als einziges Ziel erstrebt werden, wo, mit Konstantin Rößler zu reden, ein Olymp rotbäckiger Hausknechte das Ideal ist, oder sagen wir lieber, ein Volk kräftiger Bauern und Jäger, da wird es um Wissenschaft, Kunst, Technik und Industrie übel bestellt sein. So ver¬ mag also die Biologie den Regeln politischen Verhaltens, die nur auch ohne si I- e kennen, keine neuen brauchbaren Ratschläge hinzuzufügen. Der Kampf um den Weltmarkt Z. Englands Aufkommen als Handels- und Seemacht (Schluß) ! ach der Berechnung von Seeley hat England von 1688 bis 1815, der Schlacht von Wnterloo, das heißt in einem Zeitraum von 126 Jahren allein mit Frankreich 64 Kriegsjahre gehabt, also fast ein nnunterbrochnes Ringen zwischen diesen beiden damals mächtigsten Staaten Europas. England kannte nur ein Ziel in seinem Kampfe: Gewinnung der Seeherrschaft und damit Erwerbung von Kolonien; Frankreich strebte zwei Zielen nach: es wollte die politisch führende Stellung in Europa haben und zugleich die erste Seemacht werden. Daran, daß es sich zwei Ziele steckte, ist es gescheitert. Sein Streben, in Europa die erste Rolle zu spielen, war die wurde, verletzbare Stelle, an der Englands Diplomatie einsetzte. Bei dem Kampfe, den Frankreich mit England ausfocht, hatte es immer noch einen Gegner auf dem Festlande. Die englische Diplo¬ matie verband sich zunächst mit Habsburg gegen Frankreich, und sie über- wand sogar ihren innerlichen Widerwillen gegen Friedrich den Großen undM Grenzboten >t> 19W 10

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/81
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/81>, abgerufen am 02.05.2024.