Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Von einem Menschen, der mir fremd geworden ist. Ich weiß, daß ich es selbst (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches "Crispi in Friedrichsruh." Es gehört zu den bemerkenswerten Zeichen Zwischen den Zeilen liest man den weitern Wunsch Englands, durch einen Man hat oft davon gesprochen, daß der französisch-russische Zweibund sich Maßgebliches und Unmaßgebliches Von einem Menschen, der mir fremd geworden ist. Ich weiß, daß ich es selbst (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches „Crispi in Friedrichsruh." Es gehört zu den bemerkenswerten Zeichen Zwischen den Zeilen liest man den weitern Wunsch Englands, durch einen Man hat oft davon gesprochen, daß der französisch-russische Zweibund sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0268" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242336"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_931" prev="#ID_930"> Von einem Menschen, der mir fremd geworden ist. Ich weiß, daß ich es selbst<lb/> bin, von dem ich erzähle, und fühle doch meine Hand wie die eines andern, und<lb/> mein Leben, als ob es mir nicht mehr gehörte, was ja auch der Fall ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_932"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> „Crispi in Friedrichsruh."</head> <p xml:id="ID_933"> Es gehört zu den bemerkenswerten Zeichen<lb/> der Zeit, wie sehr man sich von italienischer Seite befleißigt hat, vor der Reise<lb/> des Königspaares nach Paris die Straße dorthin zu kehren und unliebsame Er¬<lb/> innerungen wegzuräumen. Wenn in den Trinksprücheu, die König Viktor Emanuel<lb/> mit Herrn Loubet gewechselt hat, der alten Waffenbrüderschaft dennoch keine Er¬<lb/> wähnung getan worden ist, so belehrt uns die ministerielle römische „Tribuna,"<lb/> daß dies „nicht nur aus Schonung der Verbündeten Italiens" geschehen sei, sondern<lb/> „weil der Zweibund und der Dreibund nicht mehr als widerstreitende Elemente<lb/> erscheinen und ihre Glieder einander die Hand drücken können, ohne daß bedenk¬<lb/> liche Vorbehalte geargwohnt werden." Der „Daily Telegraph" hat diesen Gedanken<lb/> noch weiter dahin kommentiert, daß die Gewalt der Umstände die großen Mittel¬<lb/> meermächte zu engerm Zusammenschluß bringe. „Es sieht sehr danach aus, als<lb/> ob wir am Vorabend der Auflösung der offiziellen Bündnisse und ihrer Er¬<lb/> setzung durch Gruppen stünden, die ohne äußere Form durch gemeinsame Jnteressen-<lb/> sympathien verbunden werden." Dieser Satz drückt den Wunsch Englands aus, deu<lb/> ihm lästigen Zweibund aufgelöst zu sehen und selbst statt Rußlands an die Seite<lb/> Frankreichs zu treten. Die freilich recht dürftige englisch-französische Schieds¬<lb/> gerichtsabmachung ist ein Schritt auf diesem Wege.</p><lb/> <p xml:id="ID_934"> Zwischen den Zeilen liest man den weitern Wunsch Englands, durch einen<lb/> „Zusammenschluß der Mittelmeermächte" das Mittelländische Meer unter Umständen<lb/> zu einem mars elÄU8um zu machen und die russische Flotte bei ihrer Bewegung<lb/> von der Ostsee nach Ostasien gelegentlich auf den Weg um das Kap zu verweisen.<lb/> Vielleicht auch die deutsche. Zum Glück werden alle Dinge in dieser Welt nicht<lb/> so heiß gegessen, wie sie gekocht werden, zumal bei Monarchenbegegnungen. Die<lb/> Begeisterung der Presse bei solchen Gelegenheiten gleicht leicht dem übermäßigen<lb/> und deshalb mächtig herausquellenden Schaum im Champagnerglase. Ist König<lb/> Viktor Emanuel erst wieder zu Hause, so wird sich ihm auch die Überzeugung ge¬<lb/> bieterisch wieder aufdrängen, daß die Anlehnung an die Republik nur die republi¬<lb/> kanische Richtung in Italien stärken kann, die ohnehin vielleicht kaum noch der<lb/> Stärkung bedarf, während der Platz des alten savoyischen Königshauses doch nur<lb/> an der Seite der großen und starken Monarchien Europas sein kann. Die uner¬<lb/> müdlichen, jetzt scheinbar gekrönten Anstrengungen des französischen Botschafters<lb/> Barrere in Rom gelten doch am allerletzten der Befestigung der italienischen<lb/> Dynastie, die sich im Gefolge der französischen Politik sehr bald vor die Wahl ge¬<lb/> stellt sehen würde, Satrapie Frankreichs oder überhaupt uicht mehr zu sein. Hierzu<lb/> kommt, daß sich auch die französische Republik immer noch, trotz aller Kloster-<lb/> stürmerei, als Soldat des Papsttums betrachtet, und daß es nur einer klerikalen<lb/> Kammermehrheit bedarf, die g<zstg, on-i psr ^ranoo« im Dienste der Wiederherstellung<lb/> der weltlichen Gewalt von neuem aufleben zu lassen. Die heutige Richtung in<lb/> Frankreich wird ja nicht immer die maßgebende bleiben, im Gegenteil, die Extreme<lb/> berühren sich. Auf das antiklerikale Regime wird in gegebner Zeit ein klerikales<lb/> folgen, und Italien wird dann allen Grund haben, sich nach Freunden umzusehen,<lb/> die mit ihm durch dauernde Interessen verbunden sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_935" next="#ID_936"> Man hat oft davon gesprochen, daß der französisch-russische Zweibund sich<lb/> weit mehr gegen England als gegen Deutschland richte. Je nach Umständen mag</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0268]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Von einem Menschen, der mir fremd geworden ist. Ich weiß, daß ich es selbst
bin, von dem ich erzähle, und fühle doch meine Hand wie die eines andern, und
mein Leben, als ob es mir nicht mehr gehörte, was ja auch der Fall ist.
(Fortsetzung folgt)
Maßgebliches und Unmaßgebliches
„Crispi in Friedrichsruh." Es gehört zu den bemerkenswerten Zeichen
der Zeit, wie sehr man sich von italienischer Seite befleißigt hat, vor der Reise
des Königspaares nach Paris die Straße dorthin zu kehren und unliebsame Er¬
innerungen wegzuräumen. Wenn in den Trinksprücheu, die König Viktor Emanuel
mit Herrn Loubet gewechselt hat, der alten Waffenbrüderschaft dennoch keine Er¬
wähnung getan worden ist, so belehrt uns die ministerielle römische „Tribuna,"
daß dies „nicht nur aus Schonung der Verbündeten Italiens" geschehen sei, sondern
„weil der Zweibund und der Dreibund nicht mehr als widerstreitende Elemente
erscheinen und ihre Glieder einander die Hand drücken können, ohne daß bedenk¬
liche Vorbehalte geargwohnt werden." Der „Daily Telegraph" hat diesen Gedanken
noch weiter dahin kommentiert, daß die Gewalt der Umstände die großen Mittel¬
meermächte zu engerm Zusammenschluß bringe. „Es sieht sehr danach aus, als
ob wir am Vorabend der Auflösung der offiziellen Bündnisse und ihrer Er¬
setzung durch Gruppen stünden, die ohne äußere Form durch gemeinsame Jnteressen-
sympathien verbunden werden." Dieser Satz drückt den Wunsch Englands aus, deu
ihm lästigen Zweibund aufgelöst zu sehen und selbst statt Rußlands an die Seite
Frankreichs zu treten. Die freilich recht dürftige englisch-französische Schieds¬
gerichtsabmachung ist ein Schritt auf diesem Wege.
Zwischen den Zeilen liest man den weitern Wunsch Englands, durch einen
„Zusammenschluß der Mittelmeermächte" das Mittelländische Meer unter Umständen
zu einem mars elÄU8um zu machen und die russische Flotte bei ihrer Bewegung
von der Ostsee nach Ostasien gelegentlich auf den Weg um das Kap zu verweisen.
Vielleicht auch die deutsche. Zum Glück werden alle Dinge in dieser Welt nicht
so heiß gegessen, wie sie gekocht werden, zumal bei Monarchenbegegnungen. Die
Begeisterung der Presse bei solchen Gelegenheiten gleicht leicht dem übermäßigen
und deshalb mächtig herausquellenden Schaum im Champagnerglase. Ist König
Viktor Emanuel erst wieder zu Hause, so wird sich ihm auch die Überzeugung ge¬
bieterisch wieder aufdrängen, daß die Anlehnung an die Republik nur die republi¬
kanische Richtung in Italien stärken kann, die ohnehin vielleicht kaum noch der
Stärkung bedarf, während der Platz des alten savoyischen Königshauses doch nur
an der Seite der großen und starken Monarchien Europas sein kann. Die uner¬
müdlichen, jetzt scheinbar gekrönten Anstrengungen des französischen Botschafters
Barrere in Rom gelten doch am allerletzten der Befestigung der italienischen
Dynastie, die sich im Gefolge der französischen Politik sehr bald vor die Wahl ge¬
stellt sehen würde, Satrapie Frankreichs oder überhaupt uicht mehr zu sein. Hierzu
kommt, daß sich auch die französische Republik immer noch, trotz aller Kloster-
stürmerei, als Soldat des Papsttums betrachtet, und daß es nur einer klerikalen
Kammermehrheit bedarf, die g<zstg, on-i psr ^ranoo« im Dienste der Wiederherstellung
der weltlichen Gewalt von neuem aufleben zu lassen. Die heutige Richtung in
Frankreich wird ja nicht immer die maßgebende bleiben, im Gegenteil, die Extreme
berühren sich. Auf das antiklerikale Regime wird in gegebner Zeit ein klerikales
folgen, und Italien wird dann allen Grund haben, sich nach Freunden umzusehen,
die mit ihm durch dauernde Interessen verbunden sind.
Man hat oft davon gesprochen, daß der französisch-russische Zweibund sich
weit mehr gegen England als gegen Deutschland richte. Je nach Umständen mag
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