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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die ungarische Verfassungskrise

Erfüllung entgegengeführt hat. Aber auch auf dem Wege zur Höhe ihrer Ent¬
wicklung wird die deutsche Flotte niemals aufhören, den Idealen des deutschen
Volkes beigezählt zu werden, das an ihr hängen wird mit all der Liebe, die
es der stolzen Erfüllung eines schönen Jugendtraums zuzuwenden berechtigt ist.
Die Flotte ist es, von deren Masten die Flagge als ein Wahrzeichen nationaler
Blüte und Größe winkt, die Flotte, die dem Deutschen auch in den fernsten
Ländern den festen Händedruck der Heimat und die Bürgschaft bringt: Du hast
H. I, ein Vaterland!




Die ungarische Verfassungskrise
Julius Patzelt in Wien von

as ungarische Abgeordnetenhaus ist beinahe seit einem Jahre
arbeitsunfähig. Trotz eiuer scheinbar riesigen Mehrheit hat die
Opposition schon drei Ministerien gestürzt, aus dem Kampf um
die Erhöhung des Nekrutenkontingents entwickelte sich ein heftiger
Streit um die gemeinsame Armee und zugleich eine Verfassungs¬
krise, die den Rahmen der seit 1867 geltenden dualistischen Organisation der
Monarchie zu sprengen droht. Für das Anstand vielleicht überraschend, sind
diese Zustände tatsächlich doch in der innerpolitischcn Entwicklung Ungarns
seit dem Jahre 1867 begründet.

Nach dem Jahre 1848 waren bekanntlich die Krone und die magyarische
Nation darüber in Streit geraten, ob die Verfassung von 1848 für Ungarn
noch zu Recht bestehe oder nicht. Die Krone verneinte diese Frage, während
die Nation an der Kontinuität dieser Verfassung festhielt. Im Jahre 1867
kam endlich auf folgender Grundlage ein Vergleich zustande: Die Krone er¬
kannte die staatsrechtliche Selbständigkeit Ungarns an und genehmigte die
Einführung eines Verantwortlicher Ministeriums, wogegen die magyarische
Nation die Notwendigkeit anerkannte, eine Reihe die Gesamtmonarchie be¬
treffender Angelegenheiten (äußere Politik, Heerwesen und gemeinsame Finanzen)
im Einverständnis mit Österreich zu behandeln, und das Majestütsrecht auf
die Führung, das Kommando und die innere Organisation der gemeinsamen
Armee nicht mehr anzweifelte (Paragraph 11 des ungarischen Ausgleichs¬
gesetzes). Die liberalen und die konservativen Gruppen des ungarischen Reichs¬
tags hatten diesen Ausgleich rückhaltlos anerkannt, nur die äußerste Linke
verwarf ihn, indem sie die bedingungslose Wiederherstellung der Verfassung
von 1843 forderte. Gewiß war damals die Mehrheit der "Nation" auf der
Seite der Anhänger des "Ausgleichs," und er schien für alle Zeiten gesichert
zu sein, als Mitte der siebziger Jahre die große Krise in der seit 1867 in
Ungarn herrschenden liberalen Partei durch den Eintritt eines Teils der
staatsrechtlichen Opposition unter Koloman Tiszas Führung in die Regierungs¬
partei beendet wurde. Jedoch Tisza selbst war im Herzen kein grundsätzlicher
und aufrichtiger Anhänger der Gesetzgebung von 1867 geworden. Zudem er


Die ungarische Verfassungskrise

Erfüllung entgegengeführt hat. Aber auch auf dem Wege zur Höhe ihrer Ent¬
wicklung wird die deutsche Flotte niemals aufhören, den Idealen des deutschen
Volkes beigezählt zu werden, das an ihr hängen wird mit all der Liebe, die
es der stolzen Erfüllung eines schönen Jugendtraums zuzuwenden berechtigt ist.
Die Flotte ist es, von deren Masten die Flagge als ein Wahrzeichen nationaler
Blüte und Größe winkt, die Flotte, die dem Deutschen auch in den fernsten
Ländern den festen Händedruck der Heimat und die Bürgschaft bringt: Du hast
H. I, ein Vaterland!




Die ungarische Verfassungskrise
Julius Patzelt in Wien von

as ungarische Abgeordnetenhaus ist beinahe seit einem Jahre
arbeitsunfähig. Trotz eiuer scheinbar riesigen Mehrheit hat die
Opposition schon drei Ministerien gestürzt, aus dem Kampf um
die Erhöhung des Nekrutenkontingents entwickelte sich ein heftiger
Streit um die gemeinsame Armee und zugleich eine Verfassungs¬
krise, die den Rahmen der seit 1867 geltenden dualistischen Organisation der
Monarchie zu sprengen droht. Für das Anstand vielleicht überraschend, sind
diese Zustände tatsächlich doch in der innerpolitischcn Entwicklung Ungarns
seit dem Jahre 1867 begründet.

Nach dem Jahre 1848 waren bekanntlich die Krone und die magyarische
Nation darüber in Streit geraten, ob die Verfassung von 1848 für Ungarn
noch zu Recht bestehe oder nicht. Die Krone verneinte diese Frage, während
die Nation an der Kontinuität dieser Verfassung festhielt. Im Jahre 1867
kam endlich auf folgender Grundlage ein Vergleich zustande: Die Krone er¬
kannte die staatsrechtliche Selbständigkeit Ungarns an und genehmigte die
Einführung eines Verantwortlicher Ministeriums, wogegen die magyarische
Nation die Notwendigkeit anerkannte, eine Reihe die Gesamtmonarchie be¬
treffender Angelegenheiten (äußere Politik, Heerwesen und gemeinsame Finanzen)
im Einverständnis mit Österreich zu behandeln, und das Majestütsrecht auf
die Führung, das Kommando und die innere Organisation der gemeinsamen
Armee nicht mehr anzweifelte (Paragraph 11 des ungarischen Ausgleichs¬
gesetzes). Die liberalen und die konservativen Gruppen des ungarischen Reichs¬
tags hatten diesen Ausgleich rückhaltlos anerkannt, nur die äußerste Linke
verwarf ihn, indem sie die bedingungslose Wiederherstellung der Verfassung
von 1843 forderte. Gewiß war damals die Mehrheit der „Nation" auf der
Seite der Anhänger des „Ausgleichs," und er schien für alle Zeiten gesichert
zu sein, als Mitte der siebziger Jahre die große Krise in der seit 1867 in
Ungarn herrschenden liberalen Partei durch den Eintritt eines Teils der
staatsrechtlichen Opposition unter Koloman Tiszas Führung in die Regierungs¬
partei beendet wurde. Jedoch Tisza selbst war im Herzen kein grundsätzlicher
und aufrichtiger Anhänger der Gesetzgebung von 1867 geworden. Zudem er


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[0286] Die ungarische Verfassungskrise Erfüllung entgegengeführt hat. Aber auch auf dem Wege zur Höhe ihrer Ent¬ wicklung wird die deutsche Flotte niemals aufhören, den Idealen des deutschen Volkes beigezählt zu werden, das an ihr hängen wird mit all der Liebe, die es der stolzen Erfüllung eines schönen Jugendtraums zuzuwenden berechtigt ist. Die Flotte ist es, von deren Masten die Flagge als ein Wahrzeichen nationaler Blüte und Größe winkt, die Flotte, die dem Deutschen auch in den fernsten Ländern den festen Händedruck der Heimat und die Bürgschaft bringt: Du hast H. I, ein Vaterland! Die ungarische Verfassungskrise Julius Patzelt in Wien von as ungarische Abgeordnetenhaus ist beinahe seit einem Jahre arbeitsunfähig. Trotz eiuer scheinbar riesigen Mehrheit hat die Opposition schon drei Ministerien gestürzt, aus dem Kampf um die Erhöhung des Nekrutenkontingents entwickelte sich ein heftiger Streit um die gemeinsame Armee und zugleich eine Verfassungs¬ krise, die den Rahmen der seit 1867 geltenden dualistischen Organisation der Monarchie zu sprengen droht. Für das Anstand vielleicht überraschend, sind diese Zustände tatsächlich doch in der innerpolitischcn Entwicklung Ungarns seit dem Jahre 1867 begründet. Nach dem Jahre 1848 waren bekanntlich die Krone und die magyarische Nation darüber in Streit geraten, ob die Verfassung von 1848 für Ungarn noch zu Recht bestehe oder nicht. Die Krone verneinte diese Frage, während die Nation an der Kontinuität dieser Verfassung festhielt. Im Jahre 1867 kam endlich auf folgender Grundlage ein Vergleich zustande: Die Krone er¬ kannte die staatsrechtliche Selbständigkeit Ungarns an und genehmigte die Einführung eines Verantwortlicher Ministeriums, wogegen die magyarische Nation die Notwendigkeit anerkannte, eine Reihe die Gesamtmonarchie be¬ treffender Angelegenheiten (äußere Politik, Heerwesen und gemeinsame Finanzen) im Einverständnis mit Österreich zu behandeln, und das Majestütsrecht auf die Führung, das Kommando und die innere Organisation der gemeinsamen Armee nicht mehr anzweifelte (Paragraph 11 des ungarischen Ausgleichs¬ gesetzes). Die liberalen und die konservativen Gruppen des ungarischen Reichs¬ tags hatten diesen Ausgleich rückhaltlos anerkannt, nur die äußerste Linke verwarf ihn, indem sie die bedingungslose Wiederherstellung der Verfassung von 1843 forderte. Gewiß war damals die Mehrheit der „Nation" auf der Seite der Anhänger des „Ausgleichs," und er schien für alle Zeiten gesichert zu sein, als Mitte der siebziger Jahre die große Krise in der seit 1867 in Ungarn herrschenden liberalen Partei durch den Eintritt eines Teils der staatsrechtlichen Opposition unter Koloman Tiszas Führung in die Regierungs¬ partei beendet wurde. Jedoch Tisza selbst war im Herzen kein grundsätzlicher und aufrichtiger Anhänger der Gesetzgebung von 1867 geworden. Zudem er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/286>, abgerufen am 05.05.2024.