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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Das rote Gespenst bei Licht

An gütigen Stimmen sind bei der Hauptwahl 1903 gegen 1898 mehr
abgegeben worden: 1742894; diese setzen sich zusammen aus:

Zuwachs an Wahlberechtigten. .......1090154
Verminderung der Wahlenthaltung......656926
1747 080

^
hiervon ab Verminderung der ungiltigen Stimmen 4186
bleiben 1742894, die sich gliedern in
Zuwachs der Sozialdemokraten....... 903695
der Nicht-Sozialdemokraten........ 889199
bleibt eine Vermehrung der Sozinldemokratie
um netto............. 64496 Stimmen.

Und deshalb soviel Lärm!

Das ist der eigentliche tatsächliche Wahlerfolg dieser Partei,
wie er sich bei Licht besehen darstellt.

Von großem Interesse wäre es, festzustellen, wie groß der zahlenmäßige
Anteil der beiden Gruppen 1. am Zuwachs der Wahlberechtigten, 2. an der
Verminderung der Wahlenthaltuug in Wirklichkeit ist. Dazu ist ein genaues
Studium des Zahlenmaterials der 397 Wahlkreise nötig, das hier zu weit
führen würde; aber auch dabei wäre in den meisten Fällen nur eine Wahrschein¬
lichkeitsberechnung möglich. Der Gewinn der Nationalliberalen z. B. um beinahe
342000 Stimmen wird wesentlich aus der Verminderung der Wahlenthaltung
stammen, der Gewinn des Zentrums von 420000 Stimmen wird auf dem
Zuwachs der Bevölkerung und dem Rückgang andrer Parteien beruhen, auf
der Verminderung der Wahlcnthaltuug nur zum geringern Teile. Die
100000 Poleustimmeu werden zum kleinern Teile der Bevölkerungszunahme,
zum größern der erfolgreichem Agitation, also einer Verminderung der Wahl-
enthaltnng zuzuschreiben sein. Auch die Polen haben wie die Sozialdemokraten
diesesmal Zühlkandidaten aufgestellt, auch sind ihnen viele Stimmen zugefallen,
die ehedem dem Zentrum gehörten. Die 89000 konservativen Stimmen rühren
dagegen wohl vom Rückgang andrer Parteien und der verminderten Wahlent¬
haltung her. Andrerseits ist der Rückgang der Freisinnigen Vereinigung, der
Freisinnigen und der Deutschen Volkspartei mit 80000 Stimmen wohl zum
wesentlichen Teile den Sozialdemokraten zugute gekommen. Das Einzelstudium
der 397 Wahlkreise wird eine Menge interessanter Tatsachen zutage fördern und
den Aufmarsch der Parteien wesentlich aufklären. Das Material ist in dem ge¬
nannten Hefte vollständig enthalten, es erübrigt nur, für die einzelnen Wahlkreise
und darin für die einzelnen Parteien genan die Schlußfolgerungen zu ziehn.

Der Richtigkeit ziemlich nahe dürfte die folgende Wahrscheinlichkeits-

berechnnng kommen:

Sozialdemokraten Nicht-Sozialdemokraten
Stimmenzahl 1898 rund . . . 2100 000 6645000
Zuwachs der Bevölkerung, . , 540000 450000
Verminderung der Wahlenthaltung 300 000 350 000
Zuwachs aus andern Parteien 70000 40000
3010000 6485000
Zusammen: 9 495 000 giltige Stimmen.

Mancher Leser wird fragen, wie ist es denn nur möglich, daß das Plus
von nur 64000 Stimmen den Sozialdemokraten 25 Mandate mehr verschaffen
konnte? Diese an sich sehr berechtigte Frage läßt sich nur aus den Stich-


Das rote Gespenst bei Licht

An gütigen Stimmen sind bei der Hauptwahl 1903 gegen 1898 mehr
abgegeben worden: 1742894; diese setzen sich zusammen aus:

Zuwachs an Wahlberechtigten. .......1090154
Verminderung der Wahlenthaltung......656926
1747 080

^
hiervon ab Verminderung der ungiltigen Stimmen 4186
bleiben 1742894, die sich gliedern in
Zuwachs der Sozialdemokraten....... 903695
der Nicht-Sozialdemokraten........ 889199
bleibt eine Vermehrung der Sozinldemokratie
um netto............. 64496 Stimmen.

Und deshalb soviel Lärm!

Das ist der eigentliche tatsächliche Wahlerfolg dieser Partei,
wie er sich bei Licht besehen darstellt.

Von großem Interesse wäre es, festzustellen, wie groß der zahlenmäßige
Anteil der beiden Gruppen 1. am Zuwachs der Wahlberechtigten, 2. an der
Verminderung der Wahlenthaltuug in Wirklichkeit ist. Dazu ist ein genaues
Studium des Zahlenmaterials der 397 Wahlkreise nötig, das hier zu weit
führen würde; aber auch dabei wäre in den meisten Fällen nur eine Wahrschein¬
lichkeitsberechnung möglich. Der Gewinn der Nationalliberalen z. B. um beinahe
342000 Stimmen wird wesentlich aus der Verminderung der Wahlenthaltung
stammen, der Gewinn des Zentrums von 420000 Stimmen wird auf dem
Zuwachs der Bevölkerung und dem Rückgang andrer Parteien beruhen, auf
der Verminderung der Wahlcnthaltuug nur zum geringern Teile. Die
100000 Poleustimmeu werden zum kleinern Teile der Bevölkerungszunahme,
zum größern der erfolgreichem Agitation, also einer Verminderung der Wahl-
enthaltnng zuzuschreiben sein. Auch die Polen haben wie die Sozialdemokraten
diesesmal Zühlkandidaten aufgestellt, auch sind ihnen viele Stimmen zugefallen,
die ehedem dem Zentrum gehörten. Die 89000 konservativen Stimmen rühren
dagegen wohl vom Rückgang andrer Parteien und der verminderten Wahlent¬
haltung her. Andrerseits ist der Rückgang der Freisinnigen Vereinigung, der
Freisinnigen und der Deutschen Volkspartei mit 80000 Stimmen wohl zum
wesentlichen Teile den Sozialdemokraten zugute gekommen. Das Einzelstudium
der 397 Wahlkreise wird eine Menge interessanter Tatsachen zutage fördern und
den Aufmarsch der Parteien wesentlich aufklären. Das Material ist in dem ge¬
nannten Hefte vollständig enthalten, es erübrigt nur, für die einzelnen Wahlkreise
und darin für die einzelnen Parteien genan die Schlußfolgerungen zu ziehn.

Der Richtigkeit ziemlich nahe dürfte die folgende Wahrscheinlichkeits-

berechnnng kommen:

Sozialdemokraten Nicht-Sozialdemokraten
Stimmenzahl 1898 rund . . . 2100 000 6645000
Zuwachs der Bevölkerung, . , 540000 450000
Verminderung der Wahlenthaltung 300 000 350 000
Zuwachs aus andern Parteien 70000 40000
3010000 6485000
Zusammen: 9 495 000 giltige Stimmen.

Mancher Leser wird fragen, wie ist es denn nur möglich, daß das Plus
von nur 64000 Stimmen den Sozialdemokraten 25 Mandate mehr verschaffen
konnte? Diese an sich sehr berechtigte Frage läßt sich nur aus den Stich-


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[0558] Das rote Gespenst bei Licht An gütigen Stimmen sind bei der Hauptwahl 1903 gegen 1898 mehr abgegeben worden: 1742894; diese setzen sich zusammen aus: Zuwachs an Wahlberechtigten. .......1090154 Verminderung der Wahlenthaltung......656926 1747 080 ^ hiervon ab Verminderung der ungiltigen Stimmen 4186 bleiben 1742894, die sich gliedern in Zuwachs der Sozialdemokraten....... 903695 der Nicht-Sozialdemokraten........ 889199 bleibt eine Vermehrung der Sozinldemokratie um netto............. 64496 Stimmen. Und deshalb soviel Lärm! Das ist der eigentliche tatsächliche Wahlerfolg dieser Partei, wie er sich bei Licht besehen darstellt. Von großem Interesse wäre es, festzustellen, wie groß der zahlenmäßige Anteil der beiden Gruppen 1. am Zuwachs der Wahlberechtigten, 2. an der Verminderung der Wahlenthaltuug in Wirklichkeit ist. Dazu ist ein genaues Studium des Zahlenmaterials der 397 Wahlkreise nötig, das hier zu weit führen würde; aber auch dabei wäre in den meisten Fällen nur eine Wahrschein¬ lichkeitsberechnung möglich. Der Gewinn der Nationalliberalen z. B. um beinahe 342000 Stimmen wird wesentlich aus der Verminderung der Wahlenthaltung stammen, der Gewinn des Zentrums von 420000 Stimmen wird auf dem Zuwachs der Bevölkerung und dem Rückgang andrer Parteien beruhen, auf der Verminderung der Wahlcnthaltuug nur zum geringern Teile. Die 100000 Poleustimmeu werden zum kleinern Teile der Bevölkerungszunahme, zum größern der erfolgreichem Agitation, also einer Verminderung der Wahl- enthaltnng zuzuschreiben sein. Auch die Polen haben wie die Sozialdemokraten diesesmal Zühlkandidaten aufgestellt, auch sind ihnen viele Stimmen zugefallen, die ehedem dem Zentrum gehörten. Die 89000 konservativen Stimmen rühren dagegen wohl vom Rückgang andrer Parteien und der verminderten Wahlent¬ haltung her. Andrerseits ist der Rückgang der Freisinnigen Vereinigung, der Freisinnigen und der Deutschen Volkspartei mit 80000 Stimmen wohl zum wesentlichen Teile den Sozialdemokraten zugute gekommen. Das Einzelstudium der 397 Wahlkreise wird eine Menge interessanter Tatsachen zutage fördern und den Aufmarsch der Parteien wesentlich aufklären. Das Material ist in dem ge¬ nannten Hefte vollständig enthalten, es erübrigt nur, für die einzelnen Wahlkreise und darin für die einzelnen Parteien genan die Schlußfolgerungen zu ziehn. Der Richtigkeit ziemlich nahe dürfte die folgende Wahrscheinlichkeits- berechnnng kommen: Sozialdemokraten Nicht-Sozialdemokraten Stimmenzahl 1898 rund . . . 2100 000 6645000 Zuwachs der Bevölkerung, . , 540000 450000 Verminderung der Wahlenthaltung 300 000 350 000 Zuwachs aus andern Parteien 70000 40000 3010000 6485000 Zusammen: 9 495 000 giltige Stimmen. Mancher Leser wird fragen, wie ist es denn nur möglich, daß das Plus von nur 64000 Stimmen den Sozialdemokraten 25 Mandate mehr verschaffen konnte? Diese an sich sehr berechtigte Frage läßt sich nur aus den Stich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/558>, abgerufen am 05.05.2024.