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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Politik vielleicht vergeblich erstreben, hier einfache Kenntnis der tatsächlichen
Verhältnisse erreichen, nämlich daß in Deutschland ausschließlich deutsche Ver¬
sicherung genommen wird!




Die älteste Heimatskunde Westfalens
Julius pistor von

> an hat vom deutschen Humanismus gesagt, er sei mit der äußern
Form, in der er fast ausschließlich zum Ausdruck kam, der latei¬
nischen Sprache, seinem ganzen Wesen nach ein Kind des
klassischen Altertums und vertrete überhaupt eine undeutsche
Richtung. Und doch ist nichts so einseitig und so wenig gerecht¬
fertigt wie dieser Vorwurf. Unter den mancherlei Einwänden, die sich gegen
eine solche Auffassung macheu lassen, mag hier nur auf den Umstand hin¬
gewiesen werden, daß gerade der Humanismus als der Begründer einer natio-
nalen Geschichtsschreibung in Deutschland anzusehen ist, die in den Werken eines
Franz Jrcnieus, Jakob Wimphcling, eines Beatus Rhenanus u. a. in. ihre schönsten
Blüten trieb. Aber damit sind seine nationalen Verdienste noch nicht erschöpft.
Waren die Jünger des Humanismus auch von der lebhaftesten Teilnahme für die
Altertümer und die Landeskunde Italiens erfüllt, so wandten sie sich, angeregt
durch die wieder aufgefundnen Geschichtswerke des Taeitus, bald mit gleichem,
wenn nicht mit noch größerm Eifer der Erforschung der Heimat zu, Zunächst
galt es, den Spuren der römischen Eroberer auf deutschem Boden nachzugehn,
die Wohnsitze der germanischen Völkerschaften zu ermitteln, die Lage der
geschichtlich wichtigen Örtlichkeiten festzustellen. Aber hierbei blieb es nicht.
Bald führte lebhafte Vaterlandsliebe zur Abfassung zahlreicher Lobreden und
Lobgedichte auf einzelne Städte und Länder, denen sich dann eine ganze Reihe
höchst wertvoller Landesbeschreibungen anschloß. Mögen übrigens auch auf
diese lobrednerischen Darstellungen antike Vorbilder stark eingewirkt haben, auf
dem Gebiete der Landesbeschreibung, die ihrer Natur nach eine individuelle Be-
handlung des Gegenstandes verlangt, ist eine größere Abhängigkeit von jenen
Mustern nicht erkennbar.

Diese Selbständigkeit und eigentümliche Art zeigt sich besonders stark aus¬
geprägt in Werner Nolevincks "Lob Westfalens" (ve lkruclv vkwrik Faxonisk,
nun" ^v8t"I>alias cliewe), einer Landes- und Volkskunde aus der Zeit des
Frühhumanismus, die zuerst um 1478 in Köln erschien/") Nolevinck war selbst
Westfale und stammte aus einer, wie es scheint, begüterten Meierfamilie.
Geboren 1425 in Laar bei Horstmar im Münsterlande, verblieb er bis zum
zwölften Lebensjahr im Elternhause und besuchte dann auswärts, vermutlich
in Münster, eine Schule. Von da ging er nach Köln, wo er Ende 1443 oder
Anfang 1444 als Angehöriger der juristischen Fakultät der dortigen Universität



') Herausgegeben und übersetzt von L. Troß (Köln, 1865), an dessen wohlgelungne Über¬
tragung ich mich im folgenden zumeist anlehne.

Politik vielleicht vergeblich erstreben, hier einfache Kenntnis der tatsächlichen
Verhältnisse erreichen, nämlich daß in Deutschland ausschließlich deutsche Ver¬
sicherung genommen wird!




Die älteste Heimatskunde Westfalens
Julius pistor von

> an hat vom deutschen Humanismus gesagt, er sei mit der äußern
Form, in der er fast ausschließlich zum Ausdruck kam, der latei¬
nischen Sprache, seinem ganzen Wesen nach ein Kind des
klassischen Altertums und vertrete überhaupt eine undeutsche
Richtung. Und doch ist nichts so einseitig und so wenig gerecht¬
fertigt wie dieser Vorwurf. Unter den mancherlei Einwänden, die sich gegen
eine solche Auffassung macheu lassen, mag hier nur auf den Umstand hin¬
gewiesen werden, daß gerade der Humanismus als der Begründer einer natio-
nalen Geschichtsschreibung in Deutschland anzusehen ist, die in den Werken eines
Franz Jrcnieus, Jakob Wimphcling, eines Beatus Rhenanus u. a. in. ihre schönsten
Blüten trieb. Aber damit sind seine nationalen Verdienste noch nicht erschöpft.
Waren die Jünger des Humanismus auch von der lebhaftesten Teilnahme für die
Altertümer und die Landeskunde Italiens erfüllt, so wandten sie sich, angeregt
durch die wieder aufgefundnen Geschichtswerke des Taeitus, bald mit gleichem,
wenn nicht mit noch größerm Eifer der Erforschung der Heimat zu, Zunächst
galt es, den Spuren der römischen Eroberer auf deutschem Boden nachzugehn,
die Wohnsitze der germanischen Völkerschaften zu ermitteln, die Lage der
geschichtlich wichtigen Örtlichkeiten festzustellen. Aber hierbei blieb es nicht.
Bald führte lebhafte Vaterlandsliebe zur Abfassung zahlreicher Lobreden und
Lobgedichte auf einzelne Städte und Länder, denen sich dann eine ganze Reihe
höchst wertvoller Landesbeschreibungen anschloß. Mögen übrigens auch auf
diese lobrednerischen Darstellungen antike Vorbilder stark eingewirkt haben, auf
dem Gebiete der Landesbeschreibung, die ihrer Natur nach eine individuelle Be-
handlung des Gegenstandes verlangt, ist eine größere Abhängigkeit von jenen
Mustern nicht erkennbar.

Diese Selbständigkeit und eigentümliche Art zeigt sich besonders stark aus¬
geprägt in Werner Nolevincks „Lob Westfalens" (ve lkruclv vkwrik Faxonisk,
nun« ^v8t»I>alias cliewe), einer Landes- und Volkskunde aus der Zeit des
Frühhumanismus, die zuerst um 1478 in Köln erschien/") Nolevinck war selbst
Westfale und stammte aus einer, wie es scheint, begüterten Meierfamilie.
Geboren 1425 in Laar bei Horstmar im Münsterlande, verblieb er bis zum
zwölften Lebensjahr im Elternhause und besuchte dann auswärts, vermutlich
in Münster, eine Schule. Von da ging er nach Köln, wo er Ende 1443 oder
Anfang 1444 als Angehöriger der juristischen Fakultät der dortigen Universität



') Herausgegeben und übersetzt von L. Troß (Köln, 1865), an dessen wohlgelungne Über¬
tragung ich mich im folgenden zumeist anlehne.
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[0704] Politik vielleicht vergeblich erstreben, hier einfache Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse erreichen, nämlich daß in Deutschland ausschließlich deutsche Ver¬ sicherung genommen wird! Die älteste Heimatskunde Westfalens Julius pistor von > an hat vom deutschen Humanismus gesagt, er sei mit der äußern Form, in der er fast ausschließlich zum Ausdruck kam, der latei¬ nischen Sprache, seinem ganzen Wesen nach ein Kind des klassischen Altertums und vertrete überhaupt eine undeutsche Richtung. Und doch ist nichts so einseitig und so wenig gerecht¬ fertigt wie dieser Vorwurf. Unter den mancherlei Einwänden, die sich gegen eine solche Auffassung macheu lassen, mag hier nur auf den Umstand hin¬ gewiesen werden, daß gerade der Humanismus als der Begründer einer natio- nalen Geschichtsschreibung in Deutschland anzusehen ist, die in den Werken eines Franz Jrcnieus, Jakob Wimphcling, eines Beatus Rhenanus u. a. in. ihre schönsten Blüten trieb. Aber damit sind seine nationalen Verdienste noch nicht erschöpft. Waren die Jünger des Humanismus auch von der lebhaftesten Teilnahme für die Altertümer und die Landeskunde Italiens erfüllt, so wandten sie sich, angeregt durch die wieder aufgefundnen Geschichtswerke des Taeitus, bald mit gleichem, wenn nicht mit noch größerm Eifer der Erforschung der Heimat zu, Zunächst galt es, den Spuren der römischen Eroberer auf deutschem Boden nachzugehn, die Wohnsitze der germanischen Völkerschaften zu ermitteln, die Lage der geschichtlich wichtigen Örtlichkeiten festzustellen. Aber hierbei blieb es nicht. Bald führte lebhafte Vaterlandsliebe zur Abfassung zahlreicher Lobreden und Lobgedichte auf einzelne Städte und Länder, denen sich dann eine ganze Reihe höchst wertvoller Landesbeschreibungen anschloß. Mögen übrigens auch auf diese lobrednerischen Darstellungen antike Vorbilder stark eingewirkt haben, auf dem Gebiete der Landesbeschreibung, die ihrer Natur nach eine individuelle Be- handlung des Gegenstandes verlangt, ist eine größere Abhängigkeit von jenen Mustern nicht erkennbar. Diese Selbständigkeit und eigentümliche Art zeigt sich besonders stark aus¬ geprägt in Werner Nolevincks „Lob Westfalens" (ve lkruclv vkwrik Faxonisk, nun« ^v8t»I>alias cliewe), einer Landes- und Volkskunde aus der Zeit des Frühhumanismus, die zuerst um 1478 in Köln erschien/") Nolevinck war selbst Westfale und stammte aus einer, wie es scheint, begüterten Meierfamilie. Geboren 1425 in Laar bei Horstmar im Münsterlande, verblieb er bis zum zwölften Lebensjahr im Elternhause und besuchte dann auswärts, vermutlich in Münster, eine Schule. Von da ging er nach Köln, wo er Ende 1443 oder Anfang 1444 als Angehöriger der juristischen Fakultät der dortigen Universität ') Herausgegeben und übersetzt von L. Troß (Köln, 1865), an dessen wohlgelungne Über¬ tragung ich mich im folgenden zumeist anlehne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/704>, abgerufen am 05.05.2024.