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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

Reichsspiegel

Graf Bülow als "Gegner" von Repressivgesetzen. Die "Frankfurter
Zeitung" stellt die Behauptung auf, das; der Reichskanzler ein Gegner von Repressiv¬
gesetzen sei. Eine solche Behauptung in solcher Allgemeinheit auszusprechen, ist
wohl weder sachlich zutreffend noch politisch ganz unbedenklich. Vor vilen deshalb,
weil damit der Sozialdemokratie und dem Anarchismus, der ja auch in Deutschland
sein Wesen treibt, ein Freibrief ausgestellt würde, von dem Graf Bülow sicher¬
lich sehr weit entfernt ist. Er hat sich für einen Gegner einer "nervösen Gesetzgebung"
erklärt, d. h. eiuer solchen, die "b ii-alö gemacht wird. Solche Gesetze leiden
meist an dem Fehler, daß die Ausführung eines ihnen zugrunde liegenden an sich
richtigen Gedankens schließlich in den Händen des Gendarmen oder des Schutz¬
manns bleibt. Man hat das an der Maigesetzgebung gesehen, die durch jenen
rheinischen Priester zu Fall gebracht wurde, den ein Gendarm an sein Pferd ge¬
bunden hatte. -- Graf Bülow hat sich ferner dagegen ausgesprochen, seinerseits
im Reichstage Repressivmaßuahmen zu beantragen, für die mit Sicherheit nicht auf
eine Mehrheit zu rechnen sei. Maßgebend für ihn ist dabei weniger die Abneigung
gegen Nepressivmasznahmen an sich als gegen Vorlagen, deren Ablehnung die Re¬
gierung der Sozialdemokratie gegenüber von neuem einer Niederlage aussetzen und
damit das Übel nur verschlimmern würde. Wenn dagegen el" dahingehender konser¬
vativer Antrag die Zustimmung der Mehrheit, des Zentrums und der National¬
liberalen, finden sollte, so besteht gar kein Zweifel, daß der Bundesrat, also auch
die durch den Grafen Bülow vertretene Stimme Preußens, ihm zustimmen würde.
Aber soweit siud wir noch nicht. Jedenfalls ist es besser, keine solchen Ma߬
nahmen zu beantragen, als gegen eine durch Zentrum, Liberale und Sozialdemokraten
gebildete Mehrheit damit zu unterliege".

Nun kann man ja mit einigem Anschein von Recht einwenden: Fürst Bis¬
marck dachte anders, er stand auf dem Standpunkt, die Regierung habe nach ihrer
Überzeugung ihre Schuldigkeit zu tun; lasse der Reichstag sie dabei im Stich, so
sei sie doch vor ihrem Gewissen und vor der Geschichte gerechtfertigt und im Besitz
einer vollwertigen Quittung. So konnte, so mußte Bismarck handeln. Bis-
marck blieb eben Bismarck, auch wenn der Reichstag ihm zehn Vorlagen abgelehnt
hätte. Solche Stöße konnten ihn in seiner großen historischen Stellung und Be¬
deutung nicht berühre,,, er blieb nach wie vor der Schöpfer des Reichs, Deutsch¬
lands schaffende Kraft und das Zünglein an der Wage der enropäischen Politik.
Seine Autorität im Lande hätte nicht die geringste Einbuße erlitten. Das ist
noch so geblieben, als er längst nicht mehr im Amte war. Denn als zum achtzigsten
Geburtstage der Reichstag ihm den Ehrengruß versagte, wurde Bismnrcks geschicht¬
liche Gestalt dadurch nicht verkleinert, sondern sie stieg mächtig in die Höhe, soweit
das überhaupt für sie noch möglich war. Aber die Nachfolger Bismarcks sind eben
seine Nachfolger. Sie können für sich nicht die welthistorischen Verdienste in
Anspruch nehmen, die ihm eine Stellung hoch über allen Staatsmännern und
Parlamenten anwiesen. Parlamentarische Niederlagen in so vitalen Fragen haben
vielmehr für die heutige Regierung, ganz abgesehen von der persönlichen Seite, haben
vor allem auch für die Krone eine schwere sachliche und prinzipielle Bedeutung. Graf
Bülow würde schwerlich die bürgerlichen Parteien so fortgesetzt und dringend zur
Einmütigkeit und zum Zusammenhalten ernähren, wenn ihm nicht daran läge, hinter
sich endlich eine festgeschlossene und entschlossene Majorität zu wissen, an deren
Spitze er im gegebne" Augenblick handeln kann.erlaen

Die Regiernngsnutorität in politischen Existenzfragen schweren Niedg
auszusetzen, würde sehr unweise sein, jede solche Niederlage bedeutete einen weit¬
hin sichtbaren Erfolg der Sozialdemokratie. So lauge sich aber im Zentrum noch
Leute finden, die für die sozialdemokratischen Angriffsformationen der Berufsvereine
und ihre Anerkennung schwärmen, während gerade das Zentrum berufen wäre,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

Reichsspiegel

Graf Bülow als „Gegner" von Repressivgesetzen. Die „Frankfurter
Zeitung" stellt die Behauptung auf, das; der Reichskanzler ein Gegner von Repressiv¬
gesetzen sei. Eine solche Behauptung in solcher Allgemeinheit auszusprechen, ist
wohl weder sachlich zutreffend noch politisch ganz unbedenklich. Vor vilen deshalb,
weil damit der Sozialdemokratie und dem Anarchismus, der ja auch in Deutschland
sein Wesen treibt, ein Freibrief ausgestellt würde, von dem Graf Bülow sicher¬
lich sehr weit entfernt ist. Er hat sich für einen Gegner einer „nervösen Gesetzgebung"
erklärt, d. h. eiuer solchen, die »b ii-alö gemacht wird. Solche Gesetze leiden
meist an dem Fehler, daß die Ausführung eines ihnen zugrunde liegenden an sich
richtigen Gedankens schließlich in den Händen des Gendarmen oder des Schutz¬
manns bleibt. Man hat das an der Maigesetzgebung gesehen, die durch jenen
rheinischen Priester zu Fall gebracht wurde, den ein Gendarm an sein Pferd ge¬
bunden hatte. — Graf Bülow hat sich ferner dagegen ausgesprochen, seinerseits
im Reichstage Repressivmaßuahmen zu beantragen, für die mit Sicherheit nicht auf
eine Mehrheit zu rechnen sei. Maßgebend für ihn ist dabei weniger die Abneigung
gegen Nepressivmasznahmen an sich als gegen Vorlagen, deren Ablehnung die Re¬
gierung der Sozialdemokratie gegenüber von neuem einer Niederlage aussetzen und
damit das Übel nur verschlimmern würde. Wenn dagegen el» dahingehender konser¬
vativer Antrag die Zustimmung der Mehrheit, des Zentrums und der National¬
liberalen, finden sollte, so besteht gar kein Zweifel, daß der Bundesrat, also auch
die durch den Grafen Bülow vertretene Stimme Preußens, ihm zustimmen würde.
Aber soweit siud wir noch nicht. Jedenfalls ist es besser, keine solchen Ma߬
nahmen zu beantragen, als gegen eine durch Zentrum, Liberale und Sozialdemokraten
gebildete Mehrheit damit zu unterliege».

Nun kann man ja mit einigem Anschein von Recht einwenden: Fürst Bis¬
marck dachte anders, er stand auf dem Standpunkt, die Regierung habe nach ihrer
Überzeugung ihre Schuldigkeit zu tun; lasse der Reichstag sie dabei im Stich, so
sei sie doch vor ihrem Gewissen und vor der Geschichte gerechtfertigt und im Besitz
einer vollwertigen Quittung. So konnte, so mußte Bismarck handeln. Bis-
marck blieb eben Bismarck, auch wenn der Reichstag ihm zehn Vorlagen abgelehnt
hätte. Solche Stöße konnten ihn in seiner großen historischen Stellung und Be¬
deutung nicht berühre,,, er blieb nach wie vor der Schöpfer des Reichs, Deutsch¬
lands schaffende Kraft und das Zünglein an der Wage der enropäischen Politik.
Seine Autorität im Lande hätte nicht die geringste Einbuße erlitten. Das ist
noch so geblieben, als er längst nicht mehr im Amte war. Denn als zum achtzigsten
Geburtstage der Reichstag ihm den Ehrengruß versagte, wurde Bismnrcks geschicht¬
liche Gestalt dadurch nicht verkleinert, sondern sie stieg mächtig in die Höhe, soweit
das überhaupt für sie noch möglich war. Aber die Nachfolger Bismarcks sind eben
seine Nachfolger. Sie können für sich nicht die welthistorischen Verdienste in
Anspruch nehmen, die ihm eine Stellung hoch über allen Staatsmännern und
Parlamenten anwiesen. Parlamentarische Niederlagen in so vitalen Fragen haben
vielmehr für die heutige Regierung, ganz abgesehen von der persönlichen Seite, haben
vor allem auch für die Krone eine schwere sachliche und prinzipielle Bedeutung. Graf
Bülow würde schwerlich die bürgerlichen Parteien so fortgesetzt und dringend zur
Einmütigkeit und zum Zusammenhalten ernähren, wenn ihm nicht daran läge, hinter
sich endlich eine festgeschlossene und entschlossene Majorität zu wissen, an deren
Spitze er im gegebne» Augenblick handeln kann.erlaen

Die Regiernngsnutorität in politischen Existenzfragen schweren Niedg
auszusetzen, würde sehr unweise sein, jede solche Niederlage bedeutete einen weit¬
hin sichtbaren Erfolg der Sozialdemokratie. So lauge sich aber im Zentrum noch
Leute finden, die für die sozialdemokratischen Angriffsformationen der Berufsvereine
und ihre Anerkennung schwärmen, während gerade das Zentrum berufen wäre,


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[0886] Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel Graf Bülow als „Gegner" von Repressivgesetzen. Die „Frankfurter Zeitung" stellt die Behauptung auf, das; der Reichskanzler ein Gegner von Repressiv¬ gesetzen sei. Eine solche Behauptung in solcher Allgemeinheit auszusprechen, ist wohl weder sachlich zutreffend noch politisch ganz unbedenklich. Vor vilen deshalb, weil damit der Sozialdemokratie und dem Anarchismus, der ja auch in Deutschland sein Wesen treibt, ein Freibrief ausgestellt würde, von dem Graf Bülow sicher¬ lich sehr weit entfernt ist. Er hat sich für einen Gegner einer „nervösen Gesetzgebung" erklärt, d. h. eiuer solchen, die »b ii-alö gemacht wird. Solche Gesetze leiden meist an dem Fehler, daß die Ausführung eines ihnen zugrunde liegenden an sich richtigen Gedankens schließlich in den Händen des Gendarmen oder des Schutz¬ manns bleibt. Man hat das an der Maigesetzgebung gesehen, die durch jenen rheinischen Priester zu Fall gebracht wurde, den ein Gendarm an sein Pferd ge¬ bunden hatte. — Graf Bülow hat sich ferner dagegen ausgesprochen, seinerseits im Reichstage Repressivmaßuahmen zu beantragen, für die mit Sicherheit nicht auf eine Mehrheit zu rechnen sei. Maßgebend für ihn ist dabei weniger die Abneigung gegen Nepressivmasznahmen an sich als gegen Vorlagen, deren Ablehnung die Re¬ gierung der Sozialdemokratie gegenüber von neuem einer Niederlage aussetzen und damit das Übel nur verschlimmern würde. Wenn dagegen el» dahingehender konser¬ vativer Antrag die Zustimmung der Mehrheit, des Zentrums und der National¬ liberalen, finden sollte, so besteht gar kein Zweifel, daß der Bundesrat, also auch die durch den Grafen Bülow vertretene Stimme Preußens, ihm zustimmen würde. Aber soweit siud wir noch nicht. Jedenfalls ist es besser, keine solchen Ma߬ nahmen zu beantragen, als gegen eine durch Zentrum, Liberale und Sozialdemokraten gebildete Mehrheit damit zu unterliege». Nun kann man ja mit einigem Anschein von Recht einwenden: Fürst Bis¬ marck dachte anders, er stand auf dem Standpunkt, die Regierung habe nach ihrer Überzeugung ihre Schuldigkeit zu tun; lasse der Reichstag sie dabei im Stich, so sei sie doch vor ihrem Gewissen und vor der Geschichte gerechtfertigt und im Besitz einer vollwertigen Quittung. So konnte, so mußte Bismarck handeln. Bis- marck blieb eben Bismarck, auch wenn der Reichstag ihm zehn Vorlagen abgelehnt hätte. Solche Stöße konnten ihn in seiner großen historischen Stellung und Be¬ deutung nicht berühre,,, er blieb nach wie vor der Schöpfer des Reichs, Deutsch¬ lands schaffende Kraft und das Zünglein an der Wage der enropäischen Politik. Seine Autorität im Lande hätte nicht die geringste Einbuße erlitten. Das ist noch so geblieben, als er längst nicht mehr im Amte war. Denn als zum achtzigsten Geburtstage der Reichstag ihm den Ehrengruß versagte, wurde Bismnrcks geschicht¬ liche Gestalt dadurch nicht verkleinert, sondern sie stieg mächtig in die Höhe, soweit das überhaupt für sie noch möglich war. Aber die Nachfolger Bismarcks sind eben seine Nachfolger. Sie können für sich nicht die welthistorischen Verdienste in Anspruch nehmen, die ihm eine Stellung hoch über allen Staatsmännern und Parlamenten anwiesen. Parlamentarische Niederlagen in so vitalen Fragen haben vielmehr für die heutige Regierung, ganz abgesehen von der persönlichen Seite, haben vor allem auch für die Krone eine schwere sachliche und prinzipielle Bedeutung. Graf Bülow würde schwerlich die bürgerlichen Parteien so fortgesetzt und dringend zur Einmütigkeit und zum Zusammenhalten ernähren, wenn ihm nicht daran läge, hinter sich endlich eine festgeschlossene und entschlossene Majorität zu wissen, an deren Spitze er im gegebne» Augenblick handeln kann.erlaen Die Regiernngsnutorität in politischen Existenzfragen schweren Niedg auszusetzen, würde sehr unweise sein, jede solche Niederlage bedeutete einen weit¬ hin sichtbaren Erfolg der Sozialdemokratie. So lauge sich aber im Zentrum noch Leute finden, die für die sozialdemokratischen Angriffsformationen der Berufsvereine und ihre Anerkennung schwärmen, während gerade das Zentrum berufen wäre,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/886>, abgerufen am 05.05.2024.