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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zu Theodor Mommsens Apotheose.

Gewiß, wir Deutschen können dafür
dankbar sein, daß wir auch "einen solchen Kerl" gehabt haben, wie Mommsen war.
Ein Gelehrter, der mit stählerner Kraft und Stetigkeit seiner Forscherarbeit lebte
und zugleich eine volkstümliche Gestalt nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutsch¬
land war, und in Italien erst recht. In Rom sind ihm die größten Ehrungen
erzeigt worden, und er war dort jedem Quiriten lieb und bekannt, der kleine
Mann, nur Sehnen und Muskeln, das Auge über die große Brille hinweg leuchtend
aufblickend, der wallende weiße Haarschmuck, der sich unter dem runden Filzhut
hervordrängte. Seine Büste ist neben der Winkelmnnns und Herzens dem Pantheon
der großen Männer in den kapitolinischen Museen eingegliedert. Es gibt zwar keine
Piazza Mommsen, aber doch eine Via Mommsen in Roni. Und wenn Mommsen
in der Straßenbahn von Berlin nach Charlottenburg fuhr und unbekümmert um
die Menschen seiner Umgebung eifrig die letzten Korrekturbogen las, die noch naß,
aus der Druckerei gekommen waren, dann stießen sich die Insassen des Wagens an:
Das ist er. So saß er täglich da, in sich gebückt, aber nicht unbekannt, und die
"Woche" des Meisters der Reklame und der geistigen Versimpelung, des erfolg¬
reichen schert, der sich der elegantesten Equipage in der Reichshauptstadt rühmt,
streckte alle ihre tausend Fühlhörner aus, um etwas von Mommsen und über
Mommsen zu erlangen. Nach seinem Tode sammelte man Mommsenanekdoten, die
der Abteilung "Vermischtes" in den Tageszeitungen zur Zierde gereichten. Auch
manche der wandernden Scherze, die gleich Schmetterlingen, eine Blume suchend,
herumschwirren, hefteten sich an seine Persönlichkeit, wie das so geht. Auch hier
gilts: "Wer da hat, dem wird gegeben."

Worin lag nun eigentlich der Grund für diese seltne Volkstümlichkeit? Berlin
ist immer ein besonders dankbarer Boden gewesen für die Kreierung von Zeitgrößen.
Aber die Volkstümlichkeit ist noch etwas andres als die Salonverehrung. War es
die Ehrerbietung für die seltne Arbeitskraft und die außerordentliche Arbeitsleistung
dieses Mannes? Arbeiten allein macht nicht populär. Dazu muß mindestens noch
die Gabe und der Trieb kommen, die Öffentlichkeit irgendwie zu beschäftigen. Daß
dieser Trieb in Mommsen sehr lebendig war, beweisen seine nationalen und inter¬
nationalen Kundgebungen, die fliegenden Blätter, die er an die Zeitungen verstreute,
und die geflügelten Worte, die epigrammatisch, scharf, einseitig, bitter Zeiterscheinungen
charakterisierten.

Mit solchen Worten wird seine Eigentümlichkeit offenbar. Gerade in ihnen
treten die Züge des "Herrenmenschen" hervor, der sich freut, daß ihm die Geister
Untertan sind. Und eben diese erregten die Aufmerksamkeit und riefen bisweilen
auch Leidenschaften wach zur Beistimmung oder zum Kampf. In ihnen stigmati¬
sierte er vor allem seine Feinde. Denn das ist charakteristisch für seine Art, er
hatte ein starkes Bedürfnis zu lieben und zu hassen; und zwar gilt von ihm nicht,
was jenem großen Politiker der Konfliktszeit sein Grabstein nachrühmt: "Er hat
geliebet die Gerechtigkeit und gehasset die Ungerechtigkeit" -- nein, er liebte die
Menschen, die ihn verehrten, mit ihm arbeiten wollten und sich ihm zur Ver¬
fügung stellten, und er haßte oder verachtete jeden, der seinen Weg kreuzte, ohne
mit ihm zu gehn, sei es auf seinem Arbeitsgebiet, sei es in den Idealen seiner
Weltanschauung. Wie viele haben das erfahren von seinen Zeitgenossen, was
Mommsens Abneigung bedeutete, und sie Habens getragen je nach ihrer Gesinnung,
August Zumpt, der fleißige stille Gelehrte, Ernst Curtius, der auch im vertrauten
Kreise niemals ein bitteres Wort über Mommsen sagte, der Theologe I. A. Dörner,
von andern zu schweigen. Und auch als Historiker hat Mommsen diese Kraft zu
lieben und zu hassen reichlich betätigt. Treitschke wollte er als Historiker nicht
gelten lassen. Aber in seiner römischen Geschichte arbeitet er, wo er charakterisiert
und wertet, ebensowenig wie dieser deutsche Patriot, der bisweilen preußischer ist
als die Preußen, mit dem Griffel objektiver Darstellung. Die Leidenschaften der
Konfliktszeit, die Verachtung der offiziellen Gesinnungslosigkeit, der ideenarmen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zu Theodor Mommsens Apotheose.

Gewiß, wir Deutschen können dafür
dankbar sein, daß wir auch „einen solchen Kerl" gehabt haben, wie Mommsen war.
Ein Gelehrter, der mit stählerner Kraft und Stetigkeit seiner Forscherarbeit lebte
und zugleich eine volkstümliche Gestalt nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutsch¬
land war, und in Italien erst recht. In Rom sind ihm die größten Ehrungen
erzeigt worden, und er war dort jedem Quiriten lieb und bekannt, der kleine
Mann, nur Sehnen und Muskeln, das Auge über die große Brille hinweg leuchtend
aufblickend, der wallende weiße Haarschmuck, der sich unter dem runden Filzhut
hervordrängte. Seine Büste ist neben der Winkelmnnns und Herzens dem Pantheon
der großen Männer in den kapitolinischen Museen eingegliedert. Es gibt zwar keine
Piazza Mommsen, aber doch eine Via Mommsen in Roni. Und wenn Mommsen
in der Straßenbahn von Berlin nach Charlottenburg fuhr und unbekümmert um
die Menschen seiner Umgebung eifrig die letzten Korrekturbogen las, die noch naß,
aus der Druckerei gekommen waren, dann stießen sich die Insassen des Wagens an:
Das ist er. So saß er täglich da, in sich gebückt, aber nicht unbekannt, und die
„Woche" des Meisters der Reklame und der geistigen Versimpelung, des erfolg¬
reichen schert, der sich der elegantesten Equipage in der Reichshauptstadt rühmt,
streckte alle ihre tausend Fühlhörner aus, um etwas von Mommsen und über
Mommsen zu erlangen. Nach seinem Tode sammelte man Mommsenanekdoten, die
der Abteilung „Vermischtes" in den Tageszeitungen zur Zierde gereichten. Auch
manche der wandernden Scherze, die gleich Schmetterlingen, eine Blume suchend,
herumschwirren, hefteten sich an seine Persönlichkeit, wie das so geht. Auch hier
gilts: „Wer da hat, dem wird gegeben."

Worin lag nun eigentlich der Grund für diese seltne Volkstümlichkeit? Berlin
ist immer ein besonders dankbarer Boden gewesen für die Kreierung von Zeitgrößen.
Aber die Volkstümlichkeit ist noch etwas andres als die Salonverehrung. War es
die Ehrerbietung für die seltne Arbeitskraft und die außerordentliche Arbeitsleistung
dieses Mannes? Arbeiten allein macht nicht populär. Dazu muß mindestens noch
die Gabe und der Trieb kommen, die Öffentlichkeit irgendwie zu beschäftigen. Daß
dieser Trieb in Mommsen sehr lebendig war, beweisen seine nationalen und inter¬
nationalen Kundgebungen, die fliegenden Blätter, die er an die Zeitungen verstreute,
und die geflügelten Worte, die epigrammatisch, scharf, einseitig, bitter Zeiterscheinungen
charakterisierten.

Mit solchen Worten wird seine Eigentümlichkeit offenbar. Gerade in ihnen
treten die Züge des „Herrenmenschen" hervor, der sich freut, daß ihm die Geister
Untertan sind. Und eben diese erregten die Aufmerksamkeit und riefen bisweilen
auch Leidenschaften wach zur Beistimmung oder zum Kampf. In ihnen stigmati¬
sierte er vor allem seine Feinde. Denn das ist charakteristisch für seine Art, er
hatte ein starkes Bedürfnis zu lieben und zu hassen; und zwar gilt von ihm nicht,
was jenem großen Politiker der Konfliktszeit sein Grabstein nachrühmt: „Er hat
geliebet die Gerechtigkeit und gehasset die Ungerechtigkeit" — nein, er liebte die
Menschen, die ihn verehrten, mit ihm arbeiten wollten und sich ihm zur Ver¬
fügung stellten, und er haßte oder verachtete jeden, der seinen Weg kreuzte, ohne
mit ihm zu gehn, sei es auf seinem Arbeitsgebiet, sei es in den Idealen seiner
Weltanschauung. Wie viele haben das erfahren von seinen Zeitgenossen, was
Mommsens Abneigung bedeutete, und sie Habens getragen je nach ihrer Gesinnung,
August Zumpt, der fleißige stille Gelehrte, Ernst Curtius, der auch im vertrauten
Kreise niemals ein bitteres Wort über Mommsen sagte, der Theologe I. A. Dörner,
von andern zu schweigen. Und auch als Historiker hat Mommsen diese Kraft zu
lieben und zu hassen reichlich betätigt. Treitschke wollte er als Historiker nicht
gelten lassen. Aber in seiner römischen Geschichte arbeitet er, wo er charakterisiert
und wertet, ebensowenig wie dieser deutsche Patriot, der bisweilen preußischer ist
als die Preußen, mit dem Griffel objektiver Darstellung. Die Leidenschaften der
Konfliktszeit, die Verachtung der offiziellen Gesinnungslosigkeit, der ideenarmen


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[0256] Maßgebliches und Unmaßgebliches Zu Theodor Mommsens Apotheose. Gewiß, wir Deutschen können dafür dankbar sein, daß wir auch „einen solchen Kerl" gehabt haben, wie Mommsen war. Ein Gelehrter, der mit stählerner Kraft und Stetigkeit seiner Forscherarbeit lebte und zugleich eine volkstümliche Gestalt nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutsch¬ land war, und in Italien erst recht. In Rom sind ihm die größten Ehrungen erzeigt worden, und er war dort jedem Quiriten lieb und bekannt, der kleine Mann, nur Sehnen und Muskeln, das Auge über die große Brille hinweg leuchtend aufblickend, der wallende weiße Haarschmuck, der sich unter dem runden Filzhut hervordrängte. Seine Büste ist neben der Winkelmnnns und Herzens dem Pantheon der großen Männer in den kapitolinischen Museen eingegliedert. Es gibt zwar keine Piazza Mommsen, aber doch eine Via Mommsen in Roni. Und wenn Mommsen in der Straßenbahn von Berlin nach Charlottenburg fuhr und unbekümmert um die Menschen seiner Umgebung eifrig die letzten Korrekturbogen las, die noch naß, aus der Druckerei gekommen waren, dann stießen sich die Insassen des Wagens an: Das ist er. So saß er täglich da, in sich gebückt, aber nicht unbekannt, und die „Woche" des Meisters der Reklame und der geistigen Versimpelung, des erfolg¬ reichen schert, der sich der elegantesten Equipage in der Reichshauptstadt rühmt, streckte alle ihre tausend Fühlhörner aus, um etwas von Mommsen und über Mommsen zu erlangen. Nach seinem Tode sammelte man Mommsenanekdoten, die der Abteilung „Vermischtes" in den Tageszeitungen zur Zierde gereichten. Auch manche der wandernden Scherze, die gleich Schmetterlingen, eine Blume suchend, herumschwirren, hefteten sich an seine Persönlichkeit, wie das so geht. Auch hier gilts: „Wer da hat, dem wird gegeben." Worin lag nun eigentlich der Grund für diese seltne Volkstümlichkeit? Berlin ist immer ein besonders dankbarer Boden gewesen für die Kreierung von Zeitgrößen. Aber die Volkstümlichkeit ist noch etwas andres als die Salonverehrung. War es die Ehrerbietung für die seltne Arbeitskraft und die außerordentliche Arbeitsleistung dieses Mannes? Arbeiten allein macht nicht populär. Dazu muß mindestens noch die Gabe und der Trieb kommen, die Öffentlichkeit irgendwie zu beschäftigen. Daß dieser Trieb in Mommsen sehr lebendig war, beweisen seine nationalen und inter¬ nationalen Kundgebungen, die fliegenden Blätter, die er an die Zeitungen verstreute, und die geflügelten Worte, die epigrammatisch, scharf, einseitig, bitter Zeiterscheinungen charakterisierten. Mit solchen Worten wird seine Eigentümlichkeit offenbar. Gerade in ihnen treten die Züge des „Herrenmenschen" hervor, der sich freut, daß ihm die Geister Untertan sind. Und eben diese erregten die Aufmerksamkeit und riefen bisweilen auch Leidenschaften wach zur Beistimmung oder zum Kampf. In ihnen stigmati¬ sierte er vor allem seine Feinde. Denn das ist charakteristisch für seine Art, er hatte ein starkes Bedürfnis zu lieben und zu hassen; und zwar gilt von ihm nicht, was jenem großen Politiker der Konfliktszeit sein Grabstein nachrühmt: „Er hat geliebet die Gerechtigkeit und gehasset die Ungerechtigkeit" — nein, er liebte die Menschen, die ihn verehrten, mit ihm arbeiten wollten und sich ihm zur Ver¬ fügung stellten, und er haßte oder verachtete jeden, der seinen Weg kreuzte, ohne mit ihm zu gehn, sei es auf seinem Arbeitsgebiet, sei es in den Idealen seiner Weltanschauung. Wie viele haben das erfahren von seinen Zeitgenossen, was Mommsens Abneigung bedeutete, und sie Habens getragen je nach ihrer Gesinnung, August Zumpt, der fleißige stille Gelehrte, Ernst Curtius, der auch im vertrauten Kreise niemals ein bitteres Wort über Mommsen sagte, der Theologe I. A. Dörner, von andern zu schweigen. Und auch als Historiker hat Mommsen diese Kraft zu lieben und zu hassen reichlich betätigt. Treitschke wollte er als Historiker nicht gelten lassen. Aber in seiner römischen Geschichte arbeitet er, wo er charakterisiert und wertet, ebensowenig wie dieser deutsche Patriot, der bisweilen preußischer ist als die Preußen, mit dem Griffel objektiver Darstellung. Die Leidenschaften der Konfliktszeit, die Verachtung der offiziellen Gesinnungslosigkeit, der ideenarmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/256>, abgerufen am 06.05.2024.