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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Rußland und Japan
von Rapitänleutnant Uavl Schultz

MWDußland hat sich eine große Basis geschaffen. Die ganze östliche Hülste
Europas und die nördliche Hälfte Asiens nennt es sein eigen.

^MM
MINicht eingeengt durch kräftige Rassen oder trennende Ge¬
birge, sondern glücklich gelegen, hatte es im Westen und im Norden
hochentwickelte Kulturstaaten als Nachbarn, die ihm viele ihrer
besten Männer als Erzieher und Lehrer abtraten, die ihm einen großen Teil
ihrer hohen Kultur schenkten. Im Süden und im Osten dagegen lag ein weites,
reiches Gebiet, auf dem sich sein kräftiges Volk entwickeln konnte, auf dem es
sich eine Basis schaffen konnte, die den Stürmen der Jahrhunderte trotzen wird.

Seine bisherigen Eroberungen hatten immer den Keim zu neuen Er¬
oberungen in sich und tragen ihn teilweise heute noch in sich, bis die russischen
Grenzen frei sind: frei sind von Nomadenvölkern, die diese Grenzen nicht achten;
frei sind von Handelshindernissen, die ihm einen Zugang zum eisfreien Meere
verlegen und die Ausnutzung der großen Schätze des Riesenkontinentalstaates
hindern.

Die Organisation und die Beherrschung großer Gebiete sind durch das ver¬
besserte Verkehrs- und Nachrichtenwesen außerordentlich erleichtert worden. Die
Staaten sowohl wie auch die Grenzen des Einzelstaates sind dadurch einander
näher gerückt. Es sind deshalb die Staaten, deren Grenzpfähle eine gewaltige
Ländermasse umschließen, nicht nur lebensfähig und zur Existenz berechtigt ge¬
worden, sondern da sie, innerlich ausgeglichen, die Produkte des Nordens und
des Südens in sich vereinigen und gewaltige Strecken kultivierbaren Landes und
aufnahmefähiger Absatzgebiete einschließen, sind sie die Staaten der Zukunft
geworden. Nur eins müssen sie haben: eine gesunde Rasse, die durch Bluth¬
und Interessengemeinschaft zusammen gekittet wird, und -- das hat Rußland,
je länger es wartet, je mehr.

Rußland hat Zeit, sehr dick Zeit! Wenn es jahrzehntelang keinen Schritt
vorwärts tut, so kann es sich das erlauben. Auf Jahrtausende basiert, wird
das russische Volk noch große Zeiten, noch schwere Kämpfe bestehn müssen, bis
es sich zur freien Höhe eines großen Kulturvolks durchgerungen haben wird.
Aber die folgenden Geschlechter werden den großen Machthabern Dank wissen^


Grenzboten I 1904 41


Rußland und Japan
von Rapitänleutnant Uavl Schultz

MWDußland hat sich eine große Basis geschaffen. Die ganze östliche Hülste
Europas und die nördliche Hälfte Asiens nennt es sein eigen.

^MM
MINicht eingeengt durch kräftige Rassen oder trennende Ge¬
birge, sondern glücklich gelegen, hatte es im Westen und im Norden
hochentwickelte Kulturstaaten als Nachbarn, die ihm viele ihrer
besten Männer als Erzieher und Lehrer abtraten, die ihm einen großen Teil
ihrer hohen Kultur schenkten. Im Süden und im Osten dagegen lag ein weites,
reiches Gebiet, auf dem sich sein kräftiges Volk entwickeln konnte, auf dem es
sich eine Basis schaffen konnte, die den Stürmen der Jahrhunderte trotzen wird.

Seine bisherigen Eroberungen hatten immer den Keim zu neuen Er¬
oberungen in sich und tragen ihn teilweise heute noch in sich, bis die russischen
Grenzen frei sind: frei sind von Nomadenvölkern, die diese Grenzen nicht achten;
frei sind von Handelshindernissen, die ihm einen Zugang zum eisfreien Meere
verlegen und die Ausnutzung der großen Schätze des Riesenkontinentalstaates
hindern.

Die Organisation und die Beherrschung großer Gebiete sind durch das ver¬
besserte Verkehrs- und Nachrichtenwesen außerordentlich erleichtert worden. Die
Staaten sowohl wie auch die Grenzen des Einzelstaates sind dadurch einander
näher gerückt. Es sind deshalb die Staaten, deren Grenzpfähle eine gewaltige
Ländermasse umschließen, nicht nur lebensfähig und zur Existenz berechtigt ge¬
worden, sondern da sie, innerlich ausgeglichen, die Produkte des Nordens und
des Südens in sich vereinigen und gewaltige Strecken kultivierbaren Landes und
aufnahmefähiger Absatzgebiete einschließen, sind sie die Staaten der Zukunft
geworden. Nur eins müssen sie haben: eine gesunde Rasse, die durch Bluth¬
und Interessengemeinschaft zusammen gekittet wird, und — das hat Rußland,
je länger es wartet, je mehr.

Rußland hat Zeit, sehr dick Zeit! Wenn es jahrzehntelang keinen Schritt
vorwärts tut, so kann es sich das erlauben. Auf Jahrtausende basiert, wird
das russische Volk noch große Zeiten, noch schwere Kämpfe bestehn müssen, bis
es sich zur freien Höhe eines großen Kulturvolks durchgerungen haben wird.
Aber die folgenden Geschlechter werden den großen Machthabern Dank wissen^


Grenzboten I 1904 41
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[0321] [Abbildung] Rußland und Japan von Rapitänleutnant Uavl Schultz MWDußland hat sich eine große Basis geschaffen. Die ganze östliche Hülste Europas und die nördliche Hälfte Asiens nennt es sein eigen. ^MM MINicht eingeengt durch kräftige Rassen oder trennende Ge¬ birge, sondern glücklich gelegen, hatte es im Westen und im Norden hochentwickelte Kulturstaaten als Nachbarn, die ihm viele ihrer besten Männer als Erzieher und Lehrer abtraten, die ihm einen großen Teil ihrer hohen Kultur schenkten. Im Süden und im Osten dagegen lag ein weites, reiches Gebiet, auf dem sich sein kräftiges Volk entwickeln konnte, auf dem es sich eine Basis schaffen konnte, die den Stürmen der Jahrhunderte trotzen wird. Seine bisherigen Eroberungen hatten immer den Keim zu neuen Er¬ oberungen in sich und tragen ihn teilweise heute noch in sich, bis die russischen Grenzen frei sind: frei sind von Nomadenvölkern, die diese Grenzen nicht achten; frei sind von Handelshindernissen, die ihm einen Zugang zum eisfreien Meere verlegen und die Ausnutzung der großen Schätze des Riesenkontinentalstaates hindern. Die Organisation und die Beherrschung großer Gebiete sind durch das ver¬ besserte Verkehrs- und Nachrichtenwesen außerordentlich erleichtert worden. Die Staaten sowohl wie auch die Grenzen des Einzelstaates sind dadurch einander näher gerückt. Es sind deshalb die Staaten, deren Grenzpfähle eine gewaltige Ländermasse umschließen, nicht nur lebensfähig und zur Existenz berechtigt ge¬ worden, sondern da sie, innerlich ausgeglichen, die Produkte des Nordens und des Südens in sich vereinigen und gewaltige Strecken kultivierbaren Landes und aufnahmefähiger Absatzgebiete einschließen, sind sie die Staaten der Zukunft geworden. Nur eins müssen sie haben: eine gesunde Rasse, die durch Bluth¬ und Interessengemeinschaft zusammen gekittet wird, und — das hat Rußland, je länger es wartet, je mehr. Rußland hat Zeit, sehr dick Zeit! Wenn es jahrzehntelang keinen Schritt vorwärts tut, so kann es sich das erlauben. Auf Jahrtausende basiert, wird das russische Volk noch große Zeiten, noch schwere Kämpfe bestehn müssen, bis es sich zur freien Höhe eines großen Kulturvolks durchgerungen haben wird. Aber die folgenden Geschlechter werden den großen Machthabern Dank wissen^ Grenzboten I 1904 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/321>, abgerufen am 06.05.2024.